ArchiveJuni 2010

Einmal Brüssel und zurück

E

Das europäische Parlamentsgebäude in Brüssel hätte man sich vielleicht ein wenig glamouröser vorgestellt. Vor dem klobigen Bau halten laufend dunkle Wagen, Marke Mercedes, zwischen die  Männer und Frauen in Anzügen drängen sich Besucher_innengruppen: Renter_innen aus Niedersachsen, Abiturient_innen aus Hamburg und: wir, Blogger und Bloggerinnen (begleitet von Initiator Marco Schreuder und Renate Papay), gewillt, sich innerhalb von vier Tagen mit dem abstrakten Gebilde „EU“ näher auseinanderzusetzen.


Gruppe. Im Parlament


Draußen

Eine Konferenz der Grünen Fraktion steht zu Beginn auf dem Programm, „Financing Culture in the Digital Era“. Die Grünen haben im Parlament nur 55 Sitze (Christdemokraten: 265), aber auch Grüne Abgeordnete sind für Lobbyist_innen interessant. Wenn es um heikle Entscheidungen geht, können sie einem schon einmal bis zur Toilettentür folgen, erzählt eine Mitarbeiterin von Ulrike Lunacek. Lobbying betreiben in Brüssel Unternehmen, Branchen, Verbände, NGOs, Städte und Regionen. Jede_r hat hier eine Vertretung, finanzkräftige Länder wie Bayern besitzen gar ihr eigenes Schloss. Unweit vom Parlamentsgebäude wird dort der jährliche Maibaum aufgestellt und zum Oktoberfest geladen.


Belgische Spezialität: Fett mit Fett

Auf der Konferenz der Grünen erfährt man nicht viel Neues. Künstler_innen könnten vom Internet auch profitieren, erzählt eine spanische Juristin. Schließlich könne sie jemand im Netz entdecken und anschließend ein Konzert besuchen. Ein junger, unauffälliger Mann auf dem Podium stellt sich als Peter Sunde, Co-Founder der Pirate Bay, heraus. Sunde erzählt von seinem neuen Projekt – Flattr, einer Social Micropayment Plattform. Das Konzept ist einfach: Erst wird ein Beitrag bezahlt, dann entscheidet man per Mausklick, an welche Künstler_innen (oder andere Anbieter_innen von Content) der bereitgestellte Kuchen verteilt wird.

Der anschließende Vortrag in der ständigen Vertretung Österreichs gestaltet sich unfreiwillig komisch. Hier wird klar: Kommunikation auf Europa-Ebene ist äußerst komplex. Unzählige Ausschüsse und (Rats-)Arbeitsgruppen treffen in Brüssel stündlich zusammen, Informationen wollen für die Regierung in Wien aufbereitet und übersetzt werden. Schließlich „liefert (die Vertetung) der Bundesregierung Berichte, Analysen und Vorausschauen als Grundlage für die Ausformung der österreichischen EU-Positionen“.  Auch die ansässigen Korrespondent_innen werden mit Hintergrundinformationen versorgt, „zitabel“ ist der zuständige Pressesprecher jedoch nicht – jede offizielle Aussage muss die Instanzen durchlaufen und abgesegnet werden.


Eva Lichtenberger, Marco Schreuder und Ulrike Lunacek

Beim Besuch der EU-Kommission werden wir morgens in den „Kreis der Wissenden“ aufgenommen. Das erklärt uns zumindest der Vortragende. Die europäischen Institutionen und ihre Aufgaben können nämlich für den Laien auch (sehr) vereinfacht dargestellt werden. In der Kommission sitzen die Arbeitssklaven, erzählt uns der Deutsche mit flämischem Akzent. Diese erarbeiten Entwürfe für die Gesetzgebung und schicken diese an den Europäischen Rat und das Parlament. Dort werden die Vorschläge dann mit Veränderungsvorschlägen versehen und zurückgeschickt. Bis man sich sich eines Tages einig ist. Die Power-Point-Präsentation zeigt Bilder aus den 50er Jahren, alte Männer in Anzügen stehen steif aufgereiht da. „Da war noch keine Rede von Gender Mainstreaming“, kommentiert er. Aber eigentlich müssen auch auf den aktuellen Fotos Frauen mit der Lupe gesucht werden.


eubrennt

Das Verbindungsbüro der Stadt Wien, in dem wir zu Kaffee und Kuchen eingeladen werden, sitzt in einem luxuriösen belgischen Bürgerhaus. Villen reihen sich aneinander, dazwischen gibt es einige Pralinen-Läden, Innenaustatter und Boutiquen. Wohnen ist in Brüssel kaum leistbar, 400 Euro zahlt der Praktikant von Ulrike Lunacek für ein Zimmer als Untermieter. Für eine (kleine) eigene Wohnung hätte er mindestens 800 Euro investieren müssen, erzählt er. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich werden besonders im Viertel, in dem unser Hotel liegt, sichtbar: Arabische und afrikanische Migrant_innen haben es wie in allen europäischen Metropolen nicht bis in die Villenstraßen geschafft. In Brüssel finden sich aber auch die obligatorischen Touristen-Plätze, „mit dem gotischen Rathaus und seiner geschlossenen barocken Fassadenfront gilt (der Grand-Place) als einer der schönsten Plätze Europas“, sagt Wikipedia.


Am Grand-Place


Belgischer Luxus

An das Europaviertel Brüssels schließt Matongé, das afrikanische Viertel an. Ulrike Lunacek lädt uns auf Huhn mit Erdnusssauce und Mango-Salat ein, zwischen Kirschbier (ein belgisches Kuriosum) und Bananensaft erzählt sie uns von ihrer Arbeit als Europa-Politikerin. So wie die meisten hier fliegt sie jede Woche nach Österreich, dazwischen reihen sich Termine in Madrid, Straßburg und dem Kosovo. Als ehemalige Dolmetscherin und Referentin der Südwind-Agentur hat sie sich schon immer auf internationalem Boden wohler gefühlt. Auch das hektische Leben macht ihr nichts aus, nur die ständigen Flüge nach Straßburg (ohne Direktverbindung) würde sie gerne streichen. Trotz aller nationaler Zersplitterung erlebt Lunacek auch europäisches Wir-Gefühl. Zum Beispiel bei Gay-Parades auf dem Balkan, wo Menschen besonders mit Homophobie zu kämpfen haben – dort symbolisiert die Europafahne ein Europa, das Diskriminierung auf allen Ebenen bekämpft (oder zu mindest zu bekämpfen versucht).

„Gibt es hier W-Lan?“ ist der am häufigsten gesprochene Satz, wenn 24 Blogger_innen (geschätzte 23 davon mit iPhone im Gepäck) verreisen. Im Parlamentsgebäude ist das Netz jedoch vor Besucher_innen geschützt, ein Gast-Login würde zu viel (bürokratischen) Aufwand bedeuten. Am letzten Tag im Parlament setzt sich Christian Engström, Mitglied der schwedischen Piratenpartei, für uns auf ein Diskussions-Podium. Seinen Job könne er uns von Herzen weiter empfehlen, schließlich gebe es in Brüssel so viele Menschen, mit denen man ernsthafte politische Diskussionenen führen könne. Kein Fraktionszwang, kein Katz-und-Maus-Spiel zwischen einer Regierung und einer Opposition. Dass er sich nur für Informationspolitik interessiert, findet er selbst völlig legitim. Seine Partei würde fokussieren, nicht ausschließen.

Vor unserer Abreise treffen wir einen Mitarbeiter der Webredaktion des Europäischen Parlaments. Im Vortragsraum weist ein Plakat auf den Plastikmüll hin, der weltweit pro Sekunde entsteht. Der Beitrag des EU-Parlaments, wo 0,3l-Plastikflaschen jeden einzelnen Sitzplatz zieren, ist nicht aufgelistet.


In der Kommission: EU for Dummies

Die Webredaktion beschäftigt für jede Sprache der Mitgliedstaaten (zum Erstaunen einer mitgereisten Online-Standard-Journalistin) einen Redakteur oder Redakteurin, sogar Chats mit Abgeordneten werden auf Facebook organisiert – eine politische Färbung wird dabei tunlichst vermieden. Zurück bleibt das Gefühl, dass im Netz eine unüberschaubare Fülle von Informationen über „die EU“ zu finden ist. Tatsächlich mehr Transparenz, als angenommen.

Links:
IchmachPolitik.at – Zahlreiche Videos von unserer Reise
Bericht von Andreas Lindinger
Marco Schreuder – Unser Gastgeber und Gemeinderat der Grünen Wien
Europäisches Parlament

Fotos: Andreas Lindinger und Brigitte Theißl

Sex sells

S

Woran denkt ihr, wenn ihr ein solches Bild auf einer Website entdeckt? Also ich dachte erstmal nicht, dass ich auf der Homepage einer „New Media Consulting“ Agentur gelandet bin. Das Unternehmen „MindTake“ mit Sitz in Wien versucht offensichtlich, die Aufmerksamkeit potentieller Kundinnen und Kunden mit (den eigenen?) Mitarbeiter_innen zu erregen. Und, was sagt ihr zu diesem Konzept?

Screenshots www.mindtake.com

Einkommensschere

E

Nachdem der Frauenbericht 2010 abermals erschreckende Tatsachen offen gelegt hat, was die Einkommensschere in Österreich betrifft, präsentierte Frauenministerin Heinsch-Hosek am Mittwoch sogleich eine erste politische Kampfansage: Die Einkommenstransparenz wird im Gesetz verankert. Die Maßnahme sieht allerdings – ähnlich wie etwa der Nichtraucher_innenschutz – nach einem österreichischen Kompromiss-Paket aus. „Die Unternehmen werden den durchschnittlichen Verdienst von Männern und Frauen in vergleichbaren Positionen betriebsintern anonymisiert veröffentlichen“, heißt es in der Aussendung.

Verwirklicht werden soll das allerdings in einem „Stufenplan“, der bis 2014 „fast die Hälfte aller österreichischen Arbeitnehmenden“ erfassen wird. 2011 sind dazu nur Großbetriebe mit mehr als 1000 Mitarbeiter_innen verpflichtet, 2014 sind mittelständische Betriebe mit mehr als 150 Beschäftigten an der Reihe. Der Stufenplan wurde mit den Sozialpartnern und der Industriellenvereinigung abgesprochen – Sanktionen wird es keine geben.

Link: BKA Frauen

Neueste Beiträge

Neueste Kommentare

Archive

Kategorien