ArchiveAugust 2010

Urlaubs-Lektüre

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In den Bücherregalen meiner Freund_innen und Bekannten stehen meist Romane, die von Männern geschrieben wurden, nur selten reihen sich ein Astrid-Lindgren-Klassiker aus vergangen Tagen oder ungelesene Bachmann-Texte dazwischen. Nun gut, vielleicht auch wenig verwunderlich. Schon in der Schule analysieren wir im Deutsch-Unterricht nur Kafka und Jandl, lesen Goethe, Grass und Handke und auch im Englisch-Unterricht sieht es nicht anders aus. Besonders bemühte Leherer_innen vermitteln vielleicht noch etwas, das sie mit dem Stempel „Frauen-Literatur“ versehen. Schluss damit. Die Denkwerkstatt empfiehlt fünf großartige Romane, die noch dazu urlaubstauglich sind (In diesem Sinne wurden Bachmann und Jelinek ausgeklammert).

Connie Palmen: Die Freundschaft (Diogenes Verlag)
Der meiner Ansicht nach beste Roman der niederländischen Autorin, in dem sie die Geschichte der Freundschaft zweier Frauen erzählt. „Ein brillanter, schnoddriger, ironischer, philosophischer Roman, getarnt als Entwicklungsroman einer Freundschaft“, sagt der Norddeutsche Rundfunk.

Marlen Haushofer: Die Wand (z.B. Ullstein und List Verlag)
Ein absoluter Klassiker, der wichtigste Roman der 1970 verstorbenen Österreicherin. „Eine Frau wacht eines Morgens auf einer Jagdhütte in den Bergen auf und findet sich eingeschlossen von einer unsichtbaren Wand, hinter der kein Leben mehr existiert“, ist im Klappentext zu lesen. Unzählige Werkbesprechungen finden sich im Netz, der atmosphärische, kafkaeske Text lässt viele Interpretationsmöglichkeiten offen und fesselt ungemein. Der Stoff wird im übrigen gerade verfilmt, in der Hauptrolle wird Martina Gedeck zu sehen sein.

Francoise Sagan: Bonjour Tristesse (z.B. Ullstein und Penguin Verlag)
Der Überraschungserfolg einer 18-jährigen Französin, 1954 in Paris veröffentlicht, 1958 verfilmt. Der Roman „machte seine Autorin über Nacht berühmt, brachte ihr aber auch schärfste Kritik wegen seiner angeblichen Unmoral ein: Für ein Mädchen, das frei und zu seinem reinen Vergnügen über seinen Körper auch gegenüber dem anderen Geschlecht bestimmt und seine Sexualität ohne Sorgen oder Schuldgefühle auslebt, war die Zeit zwar langsam reif, aber die Zeitgenossen noch nicht.“

Erica Jong: Fear of Flying (z.B. Signet Verlag)
„Fear of Flying“ ist mir erst begegnet, nachdem ich „Bitterfotze“ gelesen hatte. (Im Buch der Schwedin Maria Sveland wird der 1973 veröffentlichte  Roman mehrmals zitiert.) Obwohl der Roman weit mehr ist als das, wurde er vor allem aufgrund der Schilderungen von Sexualität diskutiert. „Männliche Schriftsteller wie Henry Miller oder Philip Roth konnten schon lange über Sex schreiben. Aber nicht Frauen. Ich wusste zwar, wie viele Vorurteile es gibt, aber nicht, was mich erwarten würde. Ich wurde als Hure und Schlampe beschimpft, in einer Talkshow sagte der Moderator zu mir: ‚Geben Sie es zu – Sie wollen nur im Stehen pinkeln können.'“, sagte Jong dazu dem Stern gegenüber.

Sylvia Plath: The Bell Jar (z.B. Harper Perennial Modern Classics)
Wer Sylvia Plath ist, muss ich an dieser Stelle vermutlich nicht erklären. Und auch ihr Roman wird den meisten Leser_innen bekannt sein. Wer ihn noch nicht zuhause im Regal stehen hat, sollte das schleunigst nachholen. „The Bell Jar tells the story of a gifted young woman’s mental breakdown beginning during a summer internship as a junior editor at a magazine in New York City in the early 1950s. The real Plath committed suicide in 1963 and left behind this scathingly sad, honest and perfectly-written book, which remains one of the best-told tales of a woman’s descent into insanity“, sagt ein Klappentext.

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 2

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Teil 2 des Interviews mit Paul Scheibelhofer, Soziologe und Gender- bzw. Männlichkeitswissenschafter:


Fühlst du dich manchmal als Einzelkämpfer – als Mann innerhalb der Gender Studies und als kritischer Männlichkeitsforscher im deutschsprachigen Raum?

Also ich habe mich in letzter Zeit explizit mehr auf deutschsprachigen Konferenzen beworben, weil ich gemerkt habe, dass ich fast nur mehr im englischsprachigen Raum unterwegs war. Und auch die Literatur, die ich zitiere, da muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass es auch deutschsprachige Literatur gibt, ja, da gibt es durchaus Entfremdungsprozesse, aber ich finde das auch total spannend, Literatur aus dem einen Kontext in den anderen zu Überführen und zu sehen, was da möglich ist. Derzeit probiere ich etwa feministische postkoloniale Zugänge für die Analyse von Migration, Rassismus und Männlichkeit fruchtbar zu machen.

Also ich mache eigentlich gar nicht so viel explizite Männerforschung, ich sehe mich auch eher als jemand, der Genderforschung mit Fokus auf Männlichkeit macht, pure Männerforschung – da spüre ich manchmal ein wenig Unbehagen. Auf Tagungen zu reinen Männerthemen kommt es zum Beispiel oftmals zum Streit zwischen kritischen und unkritischen Forschern. Wenn ich hingegen zwischen Queer-Theoretiker_innen sitze, fühle ich mich um einiges wohler, weil da doch ein politischer Grundkonsens besteht. Also ich bin es mittlerweile eher gewohnt, der einzige Mann in einem Raum zu sein, als mich mit einer Gruppe von Männerforschern zu unterhalten.

Mit welchem Konzept von Geschlecht arbeitest du wissenschaftlich? Braucht man als Soziologe das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit?

Ich habe da kein Konzept, das ich in zwei, drei Sätzen abschließend zusammenfassen könnte, das hat sich für mich auch geändert im Rahmen meiner akademischen Auseinandersetzung, es trägt die Spuren meiner bisherigen Laufbahn. Ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht ist mir prinzipiell sehr wichtig und ich finde Weiterentwicklungen in Richtung Queer Theory und Poststrukturalismus und kulturwissenschaftliche Ansätze sehr spannend, allerdings ist mir eine Rückbindung an soziale Verhältnisse sehr wichtig. Ich halte es für wichtig, sich zu fragen, wie Zweigeschlechtlichkeit hergestellt, kontrolliert und durch tausende Techniken stabilisiert wird.

Das sind eben ganz reale Effekte, wenn der Staat daran glaubt, dass es nur Männer und Frauen gibt. So lange so viele Institutionen darauf aufgebaut sind, dass es zwei Geschlechter gibt, gibt es gute Gründe, sich mit dieser zweigeschlechtlichen Welt auseinanderzusetzen. Ich würde Jeff Hearn zustimmen, wenn er sagt, im Endeffekt geht es darum, Männlichkeit aus der Welt zu schaffen. Männlichkeit ist ein Ausdruck patriarchaler Verhältnisse, bis wir in einer anderen Gesellschaft leben, ist es aber notwendig, sie kritisch zu beforschen.

Dein Dissertationsprojekt trägt den Titel: „Constructing Turkish Migrant Masculinities in an era of ‘Multicultural Trouble’”. Was darf man/frau sich darunter vorstellen?

Mein zentrales Interesse ist, wie in Zeiten verstärkten Integrations- und Diversitätspolitiken Bilder fremder Männlichkeit genutzt werden, um Migrant_innen zu disziplinieren und was von Seiten aktivistischer junger Männer mit Migrationshintergrund dem entgegengesetzt wird. Ich habe mich schon während meiner Diplomarbeit mit der Konstruktion migrantischer Männlichkeiten auseinandergesetzt und es hat sich ein Unbehagen bei mir breit gemacht, weil sich so viele Menschen für das Thema interessiert haben. Viele Leute meinten: Ja, das muss man doch einmal untersuchen, was mit diesen Jungs los ist. Und das habe ich dann als Anlass genommen, um die Perspektive zu verschieben.

Weg von der Frage, wie diese Männer mit Migrationshintergrund jetzt eigentlich sind, hin zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen bestimmte Bilder fremder Männlichkeit produziert werden. Also wie im Reden über „den türkisch-muslimischen Mann“ ein bestimmtes rassistisches Wissen generiert wird. Und diese sogenannte Krise des Multikulturalismus, die ist denke ich sehr wichtig, um zu verstehen, wie derzeit über fremde Männlichkeit gesprochen wird. Aus der Politik kommen Signale, es gebe eben diese gefährlichen Parallel-Gesellschaften und wir müssen jetzt härter durchgreifen, indem wir Integrationsprogramme installieren und Einwanderer testen, wie ihre Einstellung zu Homosexualität und Gleichberechtigung aussieht.

In den 70er Jahren wurde noch darüber gesprochen, ob die so genannten Gastarbeiter gesund, stark und jung sind, um dann hier schlecht bezahlte, gefährliche Arbeit zu verrichten. Dieser Kontext hat sich geändert und damit einher gehen auch andere Bilder von Fremdheit – was ist wünschenswert, was ist bedrohlich, wer soll kommen, wer muss gehen? Für diese Fragen spielen Ideen von eigenen und fremden Kulturen eine wichtige Rolle und diese werden nicht zuletzt über Bilder von Geschlechterverhältnissen und Sexualität ausgehandelt. In meiner Dissertation schaue ich mir neben solchen Diskursen noch ethnographisch an, wie sich Männer, die der so genannten zweiten türkischen Generation angehören, in künstlerischer und politischer Form in diese Aushandlungsprozesse einreklamieren – welche alternativen Bilder da entwickelt werden und wie sie es schaffen oder nicht schaffen, den dominanten Bildern etwas entgegenzusetzen.

Deine Dissertation schreibst du an der CEU, einer Privatuniversität in Budapest. Warum nicht in Österreich?

Ich bin auf diese Universität gestoßen und mich hat es fasziniert, welche Leute dort unterrichten. Es gibt dort ein Gender-Studies Departement mit sehr hohem wissenschaftlichen Niveau und es werden auch Stipendien bezahlt. Ich finde, dass es spätestens bei der Dissertation jemanden geben muss, der einen dafür bezahlt. Man kann das nicht ewig auf Basis von Selbstausbeutung machen. Es ist aber auch recht widersprüchlich, dass ich dort studiere. Im Winter haben wir hier im Rahmen der Hochschulproteste für freien Hochschulzugang und demokratische Universitäten gekämpft und ich schreibe zugleich meine Dissertation an einer Universität, die sich als Elite-Institution am europäischen Hochschulsektor positioniert und nur sehr wenige Studierende aufnimmt.

Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Einerseits habe ich gemeinsam mit einer aktivistischen Gruppe an der CEU versucht, die Themen und Diskussionen der österreichischen Uniproteste auch dort publik zu machen und Leute anzuregen, sich über Bologna, elitäre Wissensproduktion etc. kritische Gedanken zu machen. Andererseits würde ich sagen, dass die Verhältnisse an der Uni Wien ja fast der worst case sind. Also komplett unterfinanziert, hierarchische Strukturen, etc. Da gibt es an der CEU eben klare Verhältnisse, sie versuchen, amerikanisch zu sein und das hat Vor- und Nachteile. Bei der Situation der österreichischen Unis sehe ich derzeit fast nur Nachteile, was jetzt nicht heißt, dass es nicht auch sehr tolle und kritische Lehrende, Forschende und Institute gibt. Man kann also nicht einfach sagen „gutes österreichisches System“ versus „böses System der CEU“. Hier gibt es, denke ich, keine einfachen Lösungen. Sehr wohl gibt es an beiden Orte gute Gründe für Studierenden- und Lehrendenproteste.

Siehst du dich in zwanzig Jahren noch immer als Wissenschafter? Wie hoch ist das Frustrationspotential im Bereich der Männlichkeitsforschung?

Ich bekomme durchaus sehr viel positives Feedback, also ich habe schon das Gefühl, dass, wenn diese erste Verwunderung verschwunden ist, es sehr viel Interesse für das Thema gibt. Es gibt aber auch kritische Rückmeldungen von feministischer Seite, die ich zum Teil gut nachvollziehen kann. Auf Ö1 etwa gab es vor kurzem eine komplett unkritische Sendereihe zu Männlichkeit und Gefühlen, da verstehe ich, dass Menschen damit ein Problem haben, wenn das Männlichkeitsforschung sein soll: Oje, wie können wir wieder richtige Männer werden? Kritische Männlichkeitsforschung macht eigentlich genau das Gegenteil. Männlichkeit zu dezentrieren, aus den Angeln zu heben und zu fragen, wie schaffen wir soziale Verhältnisse, in denen es nicht mehr um die Frage geht, was richtige und falsche Männlichkeit ist.

Links:
Teil 1 des Interviews
Website Paul Scheibelhofer mit ausführlicher Bibliographie und weiteren Links

Sexismus – Die Hirter-Debatte

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Das „Fasstypen-Plakat“ der Hirter-Brauerei (die Denkwerkstatt hatte den ersten Bericht) hat Wellen geschlagen. Es wird gemunkelt, es handle sich dabei um eine Sommerloch-Debatte, doch immerhin haben sich mittlerweile zahlreiche Journalist_innen und sogar Politikerinnen mit der Werbung auseinandergesetzt. Trotz aller Proteste wurde Hirter-Bier jedoch vom Werberat nur zu zukünftiger Sensibilisierung aufgefordert, eine Verurteilung erfolgte nicht.

Frauenstadträtin Sandra Frauenberger meldete sich etwa in der Debatte zu Wort – eine Selbstkontrolle der Werbewirtschaft sei nicht ausreichend, eine bundesweite Regelung zur Eindämmung sexistischer Werbung hingegen wünschenswert. Schützenhilfe kommt dabei von Maggie Jansenberger, Leiterin der Watchgroup gegen sexistische Werbung in Graz.  Auf der Website der Watchgroup werden sexistische Darstellungen in der Werbung gesammelt, Beschwerden an den Werberat können per Formular verschickt werden. Auch auf Wien.at stehen mittlerweile zwei Musterbriefe zum Download, die eine Beschwerde bei Unternehmen oder dem Werberat erleichtern sollen.

Michael Schmid fragt sich auf FM4.at, ob hinter einer sexistischen Werbekampagne nicht das bewusste Kalkül der Marketing-Abteilung steckt: „Mehr noch, der Protest ist längst Teil der Marketingstrategie geworden: Virales Marketing mit primitivsten Sexismen im Zeitalter der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Dort, wo früher Kredibilität im Vordergrund stand und über Jahre am positiven Image von Marken gebastelt wurde, regiert jetzt die Aufmerksamkeit allein. Und mit allen Mitteln, denn Protest verkauft sich in den Köpfen der Werbeindustrie offensichtlich ähnlich gut wie Sex.“

Tatsächlich reihten sich in den vergangenen Tagen Hirter-Werbespots auffallend oft in die Werbeschleife von Supermarkt-Radios. Hirter ist im Gespräch. Und auf der Website des Unternehmens wird bereits nach den männlichen Fasstypen gesucht: „Egal, ob Morchl, 1270 oder Pils – egal ob Glas oder Flasche – wichtig ist nur: schick uns ein Foto mit dem Hirter Bier, von dem du glaubst, dass es genau dein Typ ist. Es ist auch möglich, dass du gemeinsam mit deinen Freunden – genau wie die Dirndl`n auf unserem Plakat – eine Hirter-Fasstypen Gruppe bildest. Hauptsache, es macht durstig, ist lustig und passt zu unseren Hirter Fasstypen!“, ist da zu lesen. Das klingt nicht so, als ob sich die Gegenstücke zu den lustigen „Dirndl’n“ bis aufs Bierglas entblößen müssten.

Auf FM4 wurde auch eine Diskussionsrunde zum Thema (zum Nachhören: Link) gestartet – entsprechende Reaktionen waren vorprogrammiert. Er könne nicht verstehen, wer bei einer solchen Werbung konkret beleidigt oder verletzt würde, meinte etwa ein Anrufer. Und überhaupt seien es einmal wieder die politisch Überkorrekten, die hier einen künstlichen Aufschrei erzeugen. Nicht zuletzt gebe es viele andere Werbungen, die weitaus schlimmer seien. Nun, dem kann man/frau eigentlich nur zustimmen: Immer wieder übertrifft ein sexistischer Werbespot den anderen – doch keiner steht alleine für sich in einem luftleeren Raum. Werbung passiert innerhalb der Gesellschaft und rekurriert auf kollektives Wissen. Das Hirter-Plakat etwa aktualisiert unser Wissen, dass Frauen Objekte der Begierde sind, ihre nackten Körper sind das untrügerische Zeichen (der Signifikant) dafür. Dabei bildet es nur einen kleinen Baustein im System sexistischer Darstellungen, die eine entsprechende Ordnung  am Leben erhalten. „Men look at women; women watch themselves being looked at“, schrieb etwa John Berger. Oder anders gesprochen: „The Gaze is not about desire. It is about power.“

Hirter Bier kann übrigens nicht nur tolle Plakate, sondern noch tollere Werbespots inszenieren:

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 1

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Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender-Wissenschaft zu kommunizieren. Damit dies nicht zu kurz kommt, gibt es endlich wieder ein Interview mit einem Männlichkeits-Wissenschafter. Diesmal: Paul Scheibelhofer, ein Nachwuchs-Wissenschafter bzw. Soziologe, der vorwiegend zu den Themen Geschlecht (insbesondere Männlichkeit), Migration, Rassismus und Jugend forscht.

Du hast Soziologie studiert und beschäftigst dich jetzt vorrangig mit Gender Studies / Männlichkeitsforschung und Migration. Woher kommt dein Interesse für Gender Studies und Männlichkeitsforschung?

Mein Fokus auf Geschlechterforschung hat sich im Studium eigentlich ganz zufällig ergeben. Ich habe damals mit dem naiven Anspruch, die Welt verbessern zu wollen, zu studieren begonnen. Und einem wirklich kritischen Anspruch bin ich am Soziologie-Institut nur in Gender- oder Migrations-Seminaren begegnet. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass in Gender-Seminaren spannende Gesellschaftskritik passiert. Und dass es um viel mehr geht, als um Geschlechterverhältnisse. Sei es jetzt, sich Philosophiegeschichte aus Geschlechterperspektive anzusehen, zu analysieren, was Sexarbeit mit Globalisierung und ökonomischen Verhältnissen zu tun hat – also im Prinzip hatte ich das Gefühl, dass eigentlich die ganze Welt verhandelt wird. Und als ich dann ein Jahr lang in Amsterdam studiert habe, habe ich die Männlichkeitsforschung für mich entdeckt. Ich hatte zuvor schon immer meine Studienkolleginnen darum beneidet, dass sie nicht nur den Zugang zu diesen tollen theoretischen Ansätzen haben, sondern auch einen persönlichen Bezug entwickeln können. In der Männlichkeitsforschung ist das für mich jetzt ein „added value“, dieser persönliche Bezug und die Reflexionsmöglichkeiten.

Fehlt dir bei Frauenforschung oder Gender Studies also ein solch persönlicher Bezug?

Nein, nicht unbedingt, es ist eben ein anderer persönlicher Bezug. Und ich finde es schon kompliziert genug, als Mann Gender Studies zu machen und da auch Raum zu beanspruchen. Kritische Männlichkeitsforschung zu machen ist dann wohl auch ein bisschen ein Weg, um sich nicht all zu vielen Fragestellungen aussetzen zu müssen. Mein Interesse gilt zwar der Beforschung von Geschlechterverhältnissen, ich finde es in meiner eigenen Forschungsarbeit aber für mich einfacher, es zu legitimieren, als Mann Männer und Männlichkeit kritisch zu beforschen, als Frauen und Weiblichkeit.

Akademische Männerforschung hat sich bisher im deutschsprachigen Raum wenig etablieren können. Warum glaubst du, ist das so?

Nun ja… Ich denke, es hat ja auch lange genug gedauert, bis es die Geschlechterforschung überhaupt an die Uni geschafft hat. Mich überrascht es eher, dass es so viel Zuspruch zur Männlichkeitsforschung gibt. Es gibt zwar vielleicht noch keine Professuren, aber ich erlebe großes Interesse vieler Institute – bis hin zu problematischen Tendenzen. Es scheint mir, dass es sich Gender Studies Institute heute teilweise gar nicht mehr leisten können, Männlichkeitsforschung nicht zu machen. Es ist wohl ein Aushängeschild auch für Geldgeber_innen geworden, um zu zeigen, dass man mit der Zeit geht. In Anbetracht dieser Tendenzen gibt es, denke ich, auch gute Gründe dafür, zu hinterfragen, wie schnell sich Männlichkeitsforschung an den Universitäten etabliert, welche Männlichkeitsforschung das ist und welche Interessen da dahinterstecken.

In den Medien taucht Männlichkeitsforschung meiner Beobachtung nach aktuell häufig im Zusammenhang mit Scheidungsvätern und dem Diskurs um eine Benachteiligung von Jungen im Schulunterricht auf. Teilst du diese Einschätzung?

Ja und ich bin oft überrascht – im negativen Sinn – welche Positionen da vertreten werden, wenn in den Medien Experten zu Männlichkeit eingeladen werden. Da fehlt mir häufig die feministisch-emanzipatorisch-gesellschaftskritische Perspektive. Ich wundere mich darüber, warum die Medien auf solche Leute zurückgreifen. Spannend finde ich dabei vor allem diesen Krisen-Diskurs. Diese Idee, dass Männlichkeit in der Krise ist, mit den unterschiedlichen Ausformungen. Also dass Buben etwa in einer Feminisierungskrise stecken, Lehrerinnen sie nicht zu „echten“ Männern erziehen können. Oder dass Väter in der Krise sind, weil die Mütter ihnen angeblich die Kinder verweigern. Diesen Diskurs muss man beobachten und versuchen zu verstehen, warum er so gut ankommt. Edgar Forster von der Uni Salzburg spricht in einem Text von einer Re-Souveränisierungsstratgie: Im Reden über den armen Mann und den armen Buben kommt es wieder zu einer Etablierung von hegemonialer oder konservativer Männlichkeit. Wenn Schüler von Lehrerinnen angeblich nicht zu „richtigen Männern“ erzogen werden können, steckt dahinter ein stark normatives Bild davon, was es heißt, ein „echter Mann“ zu sein. Und den meisten Väter-Rechtlern geht es offensichtlich nicht um die Frage, wie Reproduktionsarbeit gleichberechtigter organisiert werden kann, sondern es ist eher ein revanchistischer, anti-feministischer Diskurs. Er wird verwendet, um eine konservative Männlichkeit einzureklamieren. Ich habe das Gefühl, hier ist es besonders wichtig, etwas zu unternehmen und alternative Positionen stark zu machen.

Das ist also ein Anliegen deiner Forschungsarbeit?

In meiner derzeitigen Forschungsarbeit steht das noch nicht zentral, was sich aber zukünftig hoffentlich ändert. In der Lehre konzentriere ich mich nun vermehrt auf die kritische Analyse des männlichen Krisen-Diskurses und ich hoffe, dass sich da in näherer Zukunft auch ein Forschungsprojekt ergibt und das Thema nicht zu heiß ist für gewisse Geldgeber_innen. Lothar Böhnisch hat einmal bei einer Tagung gesagt, ein Problem der Männlichkeitsforschung ist, dass sie sich von der Frauenforschung emanzipieren muss.

Und mit welcher Begründung?

Dass, wenn es zu sehr die Frauenforschungs-Perspektive bleibt, es eine verzerrte Perspektive auf Männer entsteht und den realen männlichen Lebensweisen nicht gerecht wird. Ich habe daraufhin einen kleinen Streit mit ihm begonnen, weil ich das überhaupt nicht so sehe, also ich finde das für kritische Männlichkeitsforschung zentral, dass sie sich als Teil von Gender Studies und feministischer Forschung begreift. Es gibt diese Tendenz innerhalb der Männlichkeitsforschung, diese Idee, wir müssen jenseits feministischer Ideen eigene Forschung entwickeln und ich finde das sehr problematisch. Also es gibt, denke ich, durchaus viele Forscher, die etwas zu Männern machen und sich nicht explizit als feministisch verstehen.

Demnächst in Teil 2: Warum Männlichkeit eigentlich aus der Welt geschafft werden muss und warum die Universität Wien eine Art „worst case“ darstellt.

Paul Scheibelhofer lehrt kritische Männlichkeitsforschung sowie Migrationsforschung an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Er studierte Soziologie in Wien und Amsterdam, danach besuchte er den postgradualen Lehrgang Soziologie des Instituts für Höhere Studien, Wien und verfasst derzeit seine Dissertation am Gender Studies Department der Central European University, Budapest. Er engagiert sich in der Forschungsgruppe [KriMi] Kritische Migrationsforschung. In Forschungsprojekten und Publikationen beschäftigt er sich mit den Themen: Migration, Männlichkeit, Rassismus und Jugend.

Links: Interview mit Amerikanistik-Professor und Männlichkeits-Wissenschafter Klaus Rieser, Teil 1 und Teil 2

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