Positive Diskriminierung in Utopia

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„Die Männer und Die Frauen gibt es überhaupt nicht, und sie sollten auch nicht als platonische Idee zu moralischen Zwecken konstruiert werden, weil erst dadurch konkrete Individuen diskriminiert würden“, schreibt Georg Schildhammer auf standard.at. Unter dem Titel „Platon meets Gender-Mainstreaming“ widmet der Autor eine Reihe logischer, nein –  zynischer – Argumentationsketten einer Schmähung der „positiven Diskriminierung“. Denn wirklich ernst meinen kann der Autor seinen Text dann doch nicht.

Schon sein Eingangsbeispiel eines Chirurgen und einer Chirurgin, die sich beide um den selben Job bewerben, scheint sich eher im luftleeren Raum als in der Realität abzuspielen: „Peter ist 50, Single und Gehirnchirurg. Er hat hunderte von Operationen erfolgreich durchgeführt, international geforscht, publiziert und gelehrt und mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten. Sabine ist ebenfalls 50, Single und Gehirnchirurgin. Sie hat genau so viele Operationen erfolgreich durchgeführt wie Peter, im selben Umfang international geforscht, publiziert und gelehrt und dieselbe Anzahl und Art von Auszeichnungen erhalten wie ihr männlicher Kollege.“

Zumindest hierzulande ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass Sabine 50, erfolgreich und Single ist, während Peter drei Kinder hat, die von seiner Ehefrau betreut werden. Oder aber Sabine hat weit weniger Auszeichnungen, da sie während ihrer Karenzzeit nicht in Harvard studieren konnte und vermutlich hat sie auch weniger Publikationen vorzuweisen, weil sie an ihrer männlich dominierten Universität nicht (so wie Peter) vom Institutsvorstand in „wichtige Kreise“ eingeführt wurde.

„Peter und Sabine bewerben sich um den Posten eines Primarius/ einer Primaria an einem Wiener Spital. Sabine bekommt den Job. – Warum? Weil sie eine Frau ist“, fährt der Autor fort. Und das sei ungerecht und moralisch nicht vertretbar, so Schildhammer. Peter nehme als Bewerber nämlich nur eine passive Rolle ein, er selbst entscheide nicht über die Vergabe des Postens und diskriminiere somit Sabine auch nicht.

Nun, dem kann mensch nicht wirklich widersprechen – dennoch scheitert die gesamte Argumentationslogik des Autors an den praktischen Gegebenheiten. Die Arbeitswelt besteht nämlich nicht aus unabhängigen Individuen, die freie Entscheidungen treffen und in einem gesellschaftlichen Vakuum agieren. Vielmehr besteht sie aus einem partriarchalisch geprägten System mit entsprechenden Führungskulturen und einer Tradition der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Dies völlig auszublenden, wenn es um Dinge wie „positive Diskriminierung“ oder Quoten geht, ist schlicht irrsinnig. Zumindest, wenn entgegen eines falsch verstandenen Liberalismus Begriffe wie „Gerechtigkeit“ eine Bezugsgröße darstellen sollen.

„Um weder Peter, noch Sabine ad personam zu benachteiligen, beiden die gleiche Chance auf den angestrebten Posten zu ermöglichen und mittel- bis langfristig den erwünschten Männer-Frauen-Gleichstand hervorzurufen, kann es nur einen Weg geben: Unter allen gleich qualifizierten Bewerbern entscheidet das Los“, schließt der Autor. Vielleicht ist das auch gar keine so schlechte Idee. In Utopia.

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brigittethe

6 comments

  • *tief durchatmen*
    Ich glaube, ich sollte Thomas Morus „Utopia“ nochmal unter Genderaspekten lesen und dann kann ich dir vielleicht sagen, ob es da wirklich so gleichberechtigt zugeht.

    Nein mal ehrlich. Georg Schildhammer meint es gut. Und denkt zu kurz. Weil es eben nicht nur individuelle, sondern auch institutionelle Diskriminierung/Benachteiligung gibt usw. usf.
    Losen als ultimativ ethische Fragenklärung bei angenommenen Ideal-Alternativen… müsste mensch mal überdenken. Ich glaube aber, im Ethikunterricht früher kam da auch nichts bei raus.
    DENN (und an dieser Stelle glaube ich, ich wiederhole mich jedesmal)
    was als gleichwertige Alternative nebeneinander steht, wird vor dem Losen entschieden.

  • Einen schönen guten Sonntagmorgen,

    ich möchte Ihren, Khaos.Kind, Gedanken aufgreifen: Ja, Sie haben recht! Die Diskriminierung findet – wenn überhaupt – VOR der Verlosung statt. Die Losverteilung in der Trommel bildet die Verteilung der qualifizierten KandidatInnen in der Gesellschaft ab. Dass beim Verlosen diese Verteilung reproduziert wird, ist mir klar. Gesetzt den Fall, diese Ungleichverteilung kam auf ungerechte (ich erkläre das weiter unten) Weise zustande, ist dies ein Grund für Änderungen – aber lange VOR der Bewerbung. Dazu müsste z.B. mehr in die Förderung von Frauen investiert werden, sodass diese bessere Chancen haben, überhaupt Gehirnchirurginnen zu werden. Im Moment der Bewerbung die Ungleichverteilung qualifizierter BewerberInnen und InhaberInnen von Primarius/a-Stellen zum Anlass zu nehmen, Sabine Peter vorzuziehen, ist diskriminierend Peter gegenüber. Stellen Sie sich außerdem folgendes vor: Sabine ist eine Einzelkämpferin, hat sich noch nie für Frauenrechte eingesetzt, ihr geht es nur um ihren eigenen Erfolg. Sie wählt seit ihrem 18. Lebensjahr ÖVP. Peter ist seit Jahren im Kampf um Gleichberechtigung von Frauen engagiert und wählt die Grünen. Einen Job (gemäß seiner Ausbildung) braucht und will er ebenso haben wie Sabine. Wer könnte es ihm verübeln? Wäre es nicht – schon alleine im Sinn Ihrer Intention, langfristig DIE Frauen zu fördern – widersinnig, hier aufgrund des Geschlechts Sabine zu bevorzugen? Es wäre aus meiner Sicht aber auch kein Grund, sie zu benachteiligen! Denn bei der vorliegenden Bewerbung, wie bei jeder Bewerbung, sollte NUR die Qualifikation zählen und nicht das Engagement zugunsten von Frauenrechten. Die Gefahr, dass durch die Pflichtquote die zweitbeste Bewerberin genommen wird, ist übrigens auch impliziert. Wollen Sie lieber von der zweitbesten Gehirnchirurgin operiert werden, bloß, weil sie eine Frau ist, oder vom besten Gehirnchirurgen? Das sind jetzt alles Argumente, die noch nichts darüber aussagen, ob und wie eine – etwaige – ungerechte Verteilung von Qualifikationen in der Gesellschaft behoben werden sollte. Es sagt nur, dass es unsinnig wäre, bei der Bewerbung Männer zu diskriminieren. Eine nicht unwesentliche Frage ist damit noch gar nicht beantwortet: Bildet die Ungleichverteilung in der Gesellschaft tatsächlich eine diskriminierende Praxis DER Männer gegenüber DEN Frauen ab? Dazu müsste man erforschen, was die Gründe dafür sind, dass es mehr qualifizierte Gehirnchirurgen gibt als Gehirnchirurginnen. Da könnte es tatsächlich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, eine „Verschwörung“ DER Männer geben. Vielleicht sind aber die Schwierigkeiten bloß die, dass Chefs sagen: „Wenn ich die Frau nehme, muss ich mir in spätestens 3 Jahren einen neuen Bewerber suchen, weil die Frau dann schwanger werden und eine Familie gründen will (das ist – in vielen Fällen zumindest – die wahrscheinlichere Erklärung. Ist es eine Diskriminierung, wenn der Chef nach betriebswirtschaftlichen Überlegungen vorgeht? Würden Sie als Chefin solche betriebswirtschaftlichen Überlegungen nicht anstellen, bevor sie bei Job-Besetzungen die Frau dem Mann vorziehen)? Es könnte aber auch so sein, dass viele Frauen (die Mehrzahl?) sagen: „Ich will mir diesen blöden Konkurrenzkampf, dieses elende „Karriere-Machen“ gar nicht antun. Ich möchte viel lieber eine Familie und ein gemütliches Leben.“ Das ist kein Aufruf, Frauen hinter den Herd zu stellen..! Alle meine Freundinnen haben Familie, sind emanzipiert und berufstätig, sagen aber von sich aus: „Top-Jobs wollen wir gar nicht, weil uns das echt zu stressig wäre.“ Es ließe sich auch nichts mit strukturellen Maßnahmen („Kinderkrippen“ etc.) verbessern (obwohl man sie natürlich anbieten sollte!), damit mehr Frauen Top-Positionen bekleiden. Denn die wollen das vielleicht gar nicht. Wollen Sie Mutter und Topmanagerin zugleich sein, wenn dies bedeutet, dass Sie 70, 80 Stunden pro Woche NICHT bei Ihrer Familie sind? Ich würde es nicht wollen, egal, ob ich ein Mann oder eine Frau wäre! Die Pflicht-Quote, und damit schließe ich, verändert nichts an den Ursachen einer (möglichen) Ungerechtigkeit Frauen gegenüber. Die müsste dort bekämpft werden, wo sie entsteht und nicht erst bei der Bewerbung. Denn dadurch wird sich aus meiner Sicht in der Gesellschaft nichts Grundlegendes verändern.

    Mit freundlichem Gruß,
    Georg Schildhammer

  • Hallo Georg 🙂

    Es ist klar, dass Chancengleichheit nicht allein durch Quoten hergestellt werden kann, sondern nur über ein Bündel der verschiedensten Maßnahmen. Eben Talent- und Fähigkeitenförderung, die Ermöglichung Familie und Beruf zu vereinbaren etc. pp.
    Bei Bewerbungen zählt im Übrigen nie nur die Qualifikation. Die Fähigkeit sich in ein Team einzubinden, in höheren Positionen auch eine gewisse Führungsqualität und Sympathie spielen z.B. auch eine Rolle. Zudem strategische und taktische Überlegungen derjenigen, die auswählen. Legen sie Wert auf Innovation oder darauf, das jemand den Weg weiter führt, den sie angefangen haben. Die Palette ist da sehr breit gefächert und nicht alles hat mit Geschlecht zu tun. Aber teilweise eben auch und nicht immer bewusst (s. Institutionelle Diskriminierung oder Strukturelle Diskriminierung).

    Dein Beispiel mit der Gehirnchirurgie hinkt übrigens ein wenig. Ich kann schließlich nicht warten, bis der oder die weltbeste ChirurgIn von sonstwo eingeflogen werden kann, sondern muss nehmen, wer gerade da ist. Als PatientIn bin ich in einer Abhängigkeitsposition und nicht unbedingt in der finanziellen Lage mir die beste Klinik mit den besten Ärzten zu suchen. Unser Krankenversorgungssystem weist dahingehend nämlich eklatente Unterschiede auf.

    Ist es eine Diskriminierung, wenn der Chef nach betriebswirtschaftlichen Überlegungen vorgeht? Würden Sie als Chefin solche betriebswirtschaftlichen Überlegungen nicht anstellen, bevor sie bei Job-Besetzungen die Frau dem Mann vorziehen)?
    Als Chefin beziehe ich natürlich auch betriebswirtschaftliche Überlegungen mit ein. Aber wer sagt mir, dass nicht ein verpartnerter Mann in den nächsten 3 Jahren Kinder bekommt und Zuhause bleibt? Oder im nächsten Jahr ein Burnout? Oder einen Herzinfarkt?
    Potentiellen Kinderwunsch sollte ich unterstützen und es denjenigen dann ermöglichen und sie darin unterstützen, möglichst schnell wieder in ihren Beruf einzusteigen, sofern sie das wollen. Und wer nicht will, der macht Platz für jemand anderen.

    Es könnte aber auch so sein, dass viele Frauen (die Mehrzahl?) sagen: „Ich will mir diesen blöden Konkurrenzkampf, dieses elende „Karriere-Machen“ gar nicht antun. Ich möchte viel lieber eine Familie und ein gemütliches Leben.“
    Das ist dann meist ein Problem des „Betriebs“klimas und nur weil sich Männer tendenziell weniger darüber beschweren, nicht weniger schädlich für deren Gesundheit. Als gute Chefin will ich motivierte und engagierte Mitarbeitende auf ALLEN Ebenen. Das spart langfristig Zeit und Geld.

    Die Pflicht-Quote, und damit schließe ich, verändert nichts an den Ursachen einer (möglichen) Ungerechtigkeit Frauen gegenüber. Die müsste dort bekämpft werden, wo sie entsteht und nicht erst bei der Bewerbung. Denn dadurch wird sich aus meiner Sicht in der Gesellschaft nichts Grundlegendes verändern.
    Die Pflichtquote hat auch gar nicht die Aufgabe, etwas an den Ursachen möglicher Ungerechtigkeiten zu verändern.
    Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet aber soweit ich das bisher verstanden habe, soll die Quote mehr Chancengleichheit ermöglichen. Es ist nämlich nicht so, dass es keine Frauen gibt, die in Aufsichtsratposten oder Vorstandsposten oder ins Topmanagement wollen. Vielleicht sind das nicht viele aber es wollen auch nicht alle Männer in derartige Positionen. Wenn nur ein Posten zu vergeben ist, reicht es auch, wenn sich nur eine Frau oder nur ein Mann auf diesen bewerben würde.
    Die Überlegung vor dem Auswahlverfahren wäre, wie „gleiche Qualifikation“ überhaupt definiert wird. Es wird kaum Menschen mit absolut gleichen Lebensläufen geben, auch nicht, wenn alle Bewerber männlich sind. Tendenziell wird Arbeit/Leistung von Frauen (auch von Frauen selbst) nämlich als niedriger/weniger wert eingeschätzt.
    Hierzu eine interessante Studie von 1997 über Vetternwirtschaft und Sexismus im Gutachterwesen von Wenneras/Wold
    Vor kurzem wurde eine Studie veröffentlicht, die obige Erkenntnisse wohl widerlegen. Leider hab ich von dieser nur das Abstract und ein Review.

    Schlussendlich stellt sich die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen und wie wir am Besten da hin kommen.
    Quoten bringen schnelle Erfolge, ob sie deswegen auch langfristig die richtige Wahl sind, bleibt offen und sollte weiter erforscht werden. Gegen nicht-personenbezogene Benachteiligung und in Ausnahmefällen hat sich die sogenannte positive Diskriminierung als hilfreich erwiesen. Wie die Quote ein Mittel bzw. eine Möglichkeit um eine gleichberechtigtere, chancengerechtere Welt zu erreichen. Nicht deren Endziel.

    Freundliche Grüße
    Khaos.Kind

  • Hallo, liebe(s) Khaos.Kind,

    wir können gerne „per du“ sein, no problem!

    Also, ich gestehe zu, dass die Verlosung gewisse technische (nicht moralische!) Probleme aufwirft und deshalb – wahrscheinlich – schwer bis gar nicht realisierbar wäre.

    Mein Anliegen war jedoch, sie als Gegenfolie zu verwenden, als ebensolche blinde Alternative gegenüber jener, bei gleicher Qualifikation ganz einfach der Frau den Job zu geben.

    Die „strukturelle ‚Diskriminierung'“ schenke ich dir, natürlich ist die vorhanden – zumindest prima facie (daher unter Anführungszeichen). Wir sollten nämlich unbedingt zuerst untersuchen, ob es sich dabei tatsächlich um eine Diskriminierung handelt. Denn das wäre sie aus meiner Sicht nur dann, wenn bei gleicher Qualifikation (und damit meine ich AUCH bei gleicher Chance / gleichem Risiko in Karenz zu gehen – also gleich für Frauen UND Männer) der Mann der Frau vorgezogen würde.

    Das wäre dann aus meiner Sicht tatsächlich eine Diskriminierung; die betriebswirtschaftliche Argumentation wäre keine.

    Ich denke, wir müssen das wirklich (daher: Lose!) maximal abstrahieren, damit es fair wird.

    Was den „hinkenden Gehirnchirurgen“ betrifft:

    Na, wenn ich in der Notaufnahme eingeliefert werde, kann ich ihn mir nicht mehr aussuchen. D’accord! Aber wenn ich vorher mit zu reden habe, würde ich schon wollen, dass der oder die Beste den Job kriegt…

    ;-))

    Solltest du Interesse an einer persönlichen Diskussion dieses Themas haben, stehe ich gerne bei Kaffee und Kuchen in einem Café deiner Wahl zur Verfügung: schildhammer@gmx.com.

    Via Mail oder Blog ist es leider ein wenig umständlich und mühsam.

    Schönen Restsonntag,
    Georg

  • PS: Was die Verbesserung der Chancen der nachfolgenden weiblichen Bewerbergenerationen betrifft, wenn ich bei der Elterngeneration die Quote entscheiden lasse, so mag das funktionieren – aber eben nur in Bezug auf die Gleichverteilung von Männern und Frauen in den Jobs. Die Qualität der Leistungen IN diesen Jobs könnte dadurch sinken.

    G.

By brigittethe

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