Jugendliche Mädchen sind „weiter“ als Jungen – dieser Gemeinplatz ist häufig zu hören. Während sich Jungen zwischen 11 und 18 wie Kinder benehmen würden, seien Mädchen schon wesentlich erwachsener.
Die Erziehungswissenschafterin Sabine Jösting hat sich in einer heteronormativitätskritischen Studie mit männlichen Jugendlichen und deren Einordnung in eine heterosexuelle Ordnung auseinandergesetzt. „Jungen scheinen länger und exklusiver als Mädchen in der geschlechtshomogenen Gruppe zu verbleiben. Dabei stärkt der Ausschluss von Mädchen die symbolische Bedeutung der geschlechtshomogenen Gemeinschaft als Konstruktionsort und -mittel heterosexueller Männlichkeit“, schreibt Jösting.
Daraus entstehe der Eindruck, Jungen würden sich – im Gegensatz zu Mädchen – kindisch verhalten. Als Maßstab wird dabei die Beziehung zum „anderen“ Geschlecht herangezogen. Das Verhalten der Jungen in der geschlechtshomogenen Gruppe ist laut Jösting aber nicht „kindisch“, sondern dient dem spielerischen Einüben in männliche Umgangs- und Herrschaftsformen.
An Mädchen werden andere Maßstabe angesetzt: „Maßstab für den angeblichen Entwicklungsvorsprung der Mädchen ist die Ideologie einer erwachsenen Heterosexualität, die im Laufe der Adoleszenz eingeübt werden soll und die für Mädchen bereits sehr früh zum Entwicklungsziel erklärt wird. Während sich Mädchen in heterosexuelle Beziehungen einüben und Beziehungsarbeit leisten, bleiben die Jungen unter sich und üben sich in Dominanzstrukturen ein. Die Annahme, Mädchen seien weiter, erweist sich so gesehen als machterhaltendes Instrument zur Kostruktion von Männlichkeit.“
Literatur-Tipp:
Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Hg. v. Jutta Hartmann u.a. Wiesbaden 2007
Interessant, wie diese alltagsnahe Annahme von den „kindischen Jungen“ hinterfragt wird.
Das Männlichkeit in der homogenen Jungengruppe eingeübt wird, ist aber nicht wirklich neu und spätestens seit Meusers Buch „Geschlecht und Männlichkeit“ bekannt.
In ihrem Aufsatz beschreibt die Autorin ihre empirischen Beobachtungen und macht eine Rückbindung an die Theorie.
Meuser bezieht sich ja seinerseits auf Connell und Bourdieu und davor haben auch schon amerikanische Autoren der 70er Jahre zu Männlichkeit gearbeitet und feministische Arbeiten waren noch früher dran 🙂
[…] noch ein guter Tip aus der Denkwerkstatt: Wie kommt es, dass kleine Jungs immer als weniger reif als ihre Altersgenossinnen bezeichnet […]