Weil die Leistung zählt…

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„Integration durch Leistung“, so lautet das neue Motto des Staatssekretärs für Integration Sebastian Kurz. Die ÖVP möchte die „Top 100 Migranten“ (sic!) „vor den Vorhang holen“ und der österreichischen Bevölkerung zeigen, dass doch gar nicht alle Migrant_innen schlecht sind – sondern zum Beispiel erfolgreiche Unternehmer_innen und Sportler_innen. Und weil in Österreich nicht auf die Herkunft, sondern auf die Leistung geschaut wird, sollen die restlichen Migrant_innen hinter dem Vorgang bitteschön ihren Vorbildern nacheifern.

Die Redaktion des Stadtmagazins „biber“ greift in der aktuellen Ausgabe dem Staatssektretär unter die Arme und präsentiert „33 Frauen für Österreich“ – erfolgreiche Frauen aus Wirtschaft, Politik und Sport mit Migrationshintergrund. Gleich daneben ist eine Anzeige der Frauenministerin Heinsch-Hosek abgedruckt, die darauf aufmerksam macht, dass österreichische Mädchen sich für die falschen Lehrberufe entscheiden: für die schlecht bezahlten nämlich. „Es geht darum, dass du dich genau informierst und deine Chancen auf Karriere und besseres Gehalt checkst. Wir unterstützen dich dabei, deinen eigenen Weg zu gehen!“, ist da zu lesen. 346 Euro Lehrlingsentschädigung bekommt eine Friseurin monatlich, 496 Euro eine Automechanikerin.


Anzeige im aktuellen „biber“

Wer einige Seiten weiterblättert, findet die nächste Anzeige der Regierung, Sebastian Kurz wirbt für seinen „Nationalen Aktionsplan für Integration“. Auch Maria Fekter hat auf zwei Seiten inseriert, ja, das ganze Magazin ist mit bezahlten Anzeigen von Ministerien zugepflastert. Und diese Anzeigentexte sagen viel über das österreichische Politikverständnis aus. „Wer sich anstrengt, kann alles erreichen“, so lautet der Tenor. Trotz „Geschlecht: weiblich“ oder „Name: Dragovic“ im Pass.

„Bei Migrantinnen und Migranten müsse man die Motivation und die Eigenverantwortung stärken und der Mehrheitsgesellschaft zeigen, dass es auf die Leistung ankommt. Vorurteile sollen abgebaut werden, gerade dadurch, dass man auch die positiven Beispiele von Integration zeigt. (…) Diese sollen als Botschafter fungieren und zeigen: Integration funktioniert, wenn man sich anpasst und wenn man etwas leistet“, schreibt Herr Kurz. „Ich halte nichts von Klischeebildern, Stereotypen oder den Bezeichnungen typisch männlich oder typisch weiblich. Das Ziel muss stets die Sache sein. Grundsätzlich stehe ich auf dem Standpunkt: Es zählt die Leistung, nicht das Geschlecht. An Frauen richte ich den Appell: Seien Sie konsequent und lassen Sie sich nicht von Ihrem Weg abbringen!“, sagt Finanzministerin Fekter im PR-Interview.


Everything’s Gonna Be Alright!

Also, liebe Frauen und Migrant_innen: Strengt euch an! Irgendwie seid ihr ja anscheinend doch für selbst für eure Lage verantwortlich – mit Leistungswille kann mensch  in Österreich nämlich alles erreichen. Vor allem, wenn dieser Mensch weiß und männlich ist und aus einer gutbürgerlichen Familie stammt. Zahlreiche Studien belegen nämlich seit vielen Jahren, dass in Österreich Bildungsstandards zunehmend vererbt werden: Wer an einer Universität studiert, hat oft auch Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss. In der Rangliste der reichsten Österreicher_innen, die regelmäßig veröffentlicht wird, finden sich abgesehen von einigen Ausnahmeerscheinungen wie Stronach und Mateschitz vor allem Menschen, die ihr Kapital geerbt haben. Und obwohl Frauen Männer in Sachen Bildung überholt haben, sind sie nach wie vor kaum in Führungspositionen zu finden und verdienen wesentlich weniger – Vermögen ist in Österreich männlich. Ähnlich sieht die Statistik für Menschen mit Migrationshintergrund aus – an den Universitäten studieren etwa überwiegend „Mehrheitsösterreicher_innen“.

Der Mythos, dass jede und jeder alles erreichen kann, die neoliberalen Prinzipien Leistung und Eigenverantwortung wirken also nahezu wie eine Verhöhnung. Insbesondere deshalb, weil die Politik trotz bekannter Faktenlage seit Jahrzehnten tatenlos zusieht. Bildungsreformen werden nicht in Angriff genommen, Maßnahmen zur Förderung von Gleichberechtigung bzw. Chancengleichheit gerinnen zu zahnlosen Kompromisslösungen. Allen voran steht die ÖVP, die sämtliche Reformen blockiert und mit „Leistungsträgern“ wie Strasser oder Grasser in den eigenen Reihen glänzt. Dort hat mensch aber offensichtlich die wahren Blockierer_innen gefunden: Die Menschen, die sich einfach zu wenig anstrengen und anpassen.

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brigittethe

4 comments

  • „die neoliberalen Prinzipien Leistung und Eigenverantwortung“ … meinst du damit konkrete Konzepte dieser Begriffe oder hältst du sie allgemein für neoliberal?

    Für mich sind das nämlich rein prinzipiell wichtige Begriffe für eine Gesellschaft, man darf halt nur nicht glauben, dass daraus der automatische Rückschluss „Wer nicht gut verdient, ist selbst schuld“ wird.

  • Ich meine damit den „Trend“ zur Eigenverantwortung in allen Bereichen, wie das sozialwissenschaftlich viel analysiert und diskutiert wurde. Ich finde überhaupt nicht, dass „Leistung“ negativ ist, aber wir sollten einmal darüber sprechen, was „Leistung“ eigentlich ist. Mit dem Leistungsbegriff der skizzierten Anzeigen kann ich nicht viel anfangen… Und es ärgert mich, wenn es eine politische Strategie sein soll, den Menschen zu sagen, dass sie einfach die falschen Entscheidungen treffen, anstatt andere Rahmenbedingungen zu schaffen (siehe Lehrberufe)…

  • Natürlich ist das (alleine) keine akzeptable politische Strategie. Aber es sollte ein Teil einer Strategie sein (dürfen).

    Dass FriseurInnen durchschnittlich weniger verdienen als AutomechanikerInnen (um bei deinem Beispiel zu bleiben) ist imo ein wirtschaftlich logischer Fakt und kein primäres Genderproblem. Im Friseurwesen ist weniger Geld im Spiel, als bei der Automechanik. Das wäre auch so, wenn alle Mädchen Mechanikerinnen würden und die Buben sich ins Friseurdasein stürzen würden. De facto verdienen ja auch männliche Friseurlehrlinge weniger als weibliche Automechanik-Lehrlinge. (Gibt es ein berufsinternes Gehaltsgefälle zwischen Geschlechtern, ist das ein neues Thema).

    Darum finde ich aber den Hinweis einer Ministerin legitim und die Ermutigung sogar notwendig, dass Frauen sich mehr für besser bezahlte Berufe interessieren sollen und müssen, wenn sie später mehr verdienen wollen. Natürlich muss man zeitgleich zum Beispiel auch möglich machen, dass Mädchen mit gleicher Chance in diese Lehrberufe aufgenommen werden. Wenn das nicht der Fall ist, ist die Aufforderung nur Hohn.

    Und mir ist auch klar, dass Rollenbilder dabei ein Problem darstellen,. Aber auch die lassen sich ja nicht so mal eben politisch steuern und ändern sich erst wirklich, wenn viele Mädchen ganz selbstverständlich Mechanikerinnen sind. Und bis dahin sind Aufforderungen/Ermutigungen doch ein legitimes Tool. Mich würde interessieren, welche weiteren konkreten Maßnahmen der Politik du dir da wünschen würdest.

    (Dass der heutige Leistungsbegriff (vor allem jener der ÖVP) komplett daneben ist, weil er strukturelle Ungerechtigkeiten ausblendet werden und Leistung mit Gehalt verwechselt, das ist ja dann wiederum nicht neu und dementsprechend widersprech ich dir da nicht. :))

  • Natürlich: Ermutigung ist gut und sinnvoll, nur zeigen die Statistiken leider, dass die vielen Förderprogramme, die Mädchen ermutigen wollen, relativ wenig Erfolg haben. Ich denke, es reicht nicht aus, einem Mädchen zu sagen, dass sie Mechanikerin oder Technikerin in einem Unternehmen werden soll, wenn ihre Klassenkolleginnen Kosmetikerinnen und Friseurinnen werden und in vielen solchen Unternehmen (fast) nur Männer arbeiten, für die z.B. sehr sexistische Umgangsformen oft völlig normal sind (-> oft genug selbst erlebt).

    Ich würde mir z.B. eine akademische Ausbildung für Kindergärtner_innnen wünschen und eine entsprechende gendersensible Pädagogik vom Kindergarten bis zur Matura. Die Gesamtschule befürworte ich auch. Übergangsweise könnte ich mir auch geschlechtergetrennte Klassen vorstellen, da z.B. Studien zeigen, dass Mädchen in reinen Mädchenklassen in Mathematik, Physik und Chemie besser abschneiden. Das kann man natürlich diskutieren – jedenfalls gibt es da viele interessante Konzepte, die z.B. in Skandinavien umgesetzt wurden.

    Und ein anderes Karenz-Modell wie in Island oder Schweden würde ich auch sehr begrüßen.

    Ich denke jedenfalls, dass nur solche Dinge langfristig etwas ändern können. Die Aufklärungs- und Ermutigungskampagnen sind dann eine Ergänzung, aber die alleine sind meiner Meinung nach viel zu wenig.

By brigittethe

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