„Science: It’s a girl thing„, mit dieser Kampagne versucht die Europäische Kommission derzeit, Mädchen für Natur- und Technikwissenschaften zu begeistern. Und wieder einmal – Überraschung! – wird nicht daran gearbeitet, die Vergeschlechtlichung von Technik (=männlich) aufzubrechen, nein, junge Frauen in High Heels dürfen Nagellack und Lippenstift erforschen und für die Kamera posieren (das Video wurde mittlerweile zurückgezogen):
„Technische Kompetenz macht einen integralen Bestandteil männlicher Geschlechtsidentität aus. Technikfelder können als Kultur verstanden werden, in der die Beziehungen von Männern untereinander ausgedrückt und verfestigt werden. Warum sollen Frauen technische Kompetenz erstrebenswert finden, solange sie Ausdruck männlicher Geschlechtsidentität ist?“, fragt Technikwissenschafterin Brigitte Ratzer. Diese Kultur habe ich etwa anhand eines ganz konkreten Beispiels erlebt: Vor Jahren habe ich in einem Projekt für einen Fahrzeugtechnik-Studiengang gearbeitet, wo über 90 Prozent der Studierenden Männer waren. Jährlich wurde dort ein Rennbolide konstruiert, der in einer Art Formel 1 für Studierende zum Einsatz kam. Schon über die Auswahl des Fahrers hätten mehrere Männlichkeitsforscher_innen eine Arbeit schreiben können, begleitet wurde das Projekt von Marketing-Aktionen wie einem Kalender mit halb nackten Frauen, in einem Werbevideo buhlten die Studierenden mithilfe von lautstarkem Motoren-Sound um Frauen.
Wie sich die eine Studentin in dem Jahrgang, für den ich gearbeitet habe, gefühlt hat, kann mensch sich vorstellen. Aber vergeschlechtlichte Strukturen sind nicht immer so plakativ und offensichtlich, Ausschlussmechanismen finden sich auf allen Ebenen – der Wissenschaftsbetrieb ist vielerorts weiß und männlich (siehe auch horizontale und vertikale Segregation am Arbeitsmarkt). Und den Nackt-Kalendern und Rennwagen will die Europäische Kommission offensichtlich Lippenstift und modische Schutzbrillen entgegensetzen. Genau diese Strategie ist bisher nicht aufgegangen – viele dieser Projekte (in Österreich) waren und sind wenig erfolgreich. Die meisten „Frauen in die Technik“-Programme (re)produzieren Geschlechterstereotype und bleiben schon sprachlich in einer vergeschlechtlichten Logik verhaftet: Wenn (Natur-)
Wissenschaft (auch) eine Sache für Frauen und Mädchen ist, dann gehört die nur scheinbar unmarkierte Wissenschaft offensichtlich den Jungs.
Wie wäre es denn einmal mit elementaren Bildungsmaßnahmen, geschlechtersensibler Pädagogik und entsprechenden Gesetzen statt sexistischer Kampagnen-Politik? Oder sucht die Industrie etwa nur nach Frauen, die technische Lösungen für Frauen entwickeln, um sie so besser an Frauen vermarkten zu können? Denn darum geht es doch schlussendlich: um die Fähigkeiten und Talente von Frauen (oder wahlweise Migratisierten), auf die der Markt (noch) nicht zugreifen kann.
Link: Kritik an der Kampagne (Video)