Am 20. Jänner 2013 findet in Österreich eine Volksbefragung zum Thema Wehrpflicht statt. Die Fragestellung auf dem Stimmzettel wird folgendermaßen aussehen:
„a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder
b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“
Ich war erst mal lange Zeit ratlos. Was bedeutet ein Berufsheer für einen Staat überhaupt? Und leider auch: Ist es überhaupt sinnvoll, sich diese Frage zu stellen? Schließlich handelt es sich bei der Wehrpflicht wohl nicht nur um das falsche Thema für eine Volksbefragung, auch scheint es (wie so oft in Österreich) nicht um die Sache zu gehen. Andreas Koller formuliert das in den Salzburger Nachrichten etwa folgendermaßen: „Zur Erinnerung: Wiens Bürgermeister Michael Häupl befahl seiner Partei, der SPÖ, per Fingerschnippen, ihr Jahrzehnte in Stein gemeißeltes Bekenntnis zur Wehrpflicht auf die Mülldeponie zu kippen und durch ein Bekenntnis zum Berufsheer zu ersetzen. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll wiederum schaffte es mühelos, seinem angeblichen Parteichef Michael Spindelegger – der vordem von derlei nichts wissen wollte – eine Volksbefragung über die Wehrpflicht aufzuschwatzen. Das von Häupl und Pröll aus reiner Wahltaktik gesetzte Thema hält seither die Politik der ganzen Republik im Banne.“ („Die große Heeres-Stümperei„)
Dass die Volksbefragung mit der Beibehaltung der Wehrpflicht enden wird, ist sehr wahrscheinlich. Überhaupt fehlt die Fragestellung, ob wir das Bundesheer in der gegenwärtigen Form noch brauchen, völlig, über eine Reformierung kann nicht abgestimmt werden. (Die KPÖ sammelt gar Unterschriften für eine Abschaffung des Bundesheeres.) An der Befragung werde ich dennoch teilnehmen, allein schon, weil mich die Diskussionen im Vorfeld zum Teil rasend gemacht haben. Zwar traten da in verschiedenen TV-Formaten Militärexperten auf und schilderten ihre Positionen zu Strategie und der Kostenfrage (die für Laien natürlich schwierig einzuordnen/zu überprüfen sind), in meiner Wahrnehmung stand abseits von Zivildienst und Katastrophenschutz jedoch häufig die Frage im Zentrum, was wir denn mit den jungen Männern machen sollen und was das Beste für sie sei.
Können Maturanten in diesem (halben) Jahr eine Art Auszeit nehmen und über ihre Studienwahl nachdenken? Oder verlieren sie karrieretechnisch gar den Anschluss? Lernen Rekruten beim Heer das erste Mal in ihrem Leben, Ordnung im Kasten zu halten (ein Argument, das mir schon häufig begegnet ist) und Zivildiener, auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen? Besonders problematisch finde ich es, wenn Politiker_innen sich mit solchen Aussagen zu Wort melden: „Also ein paar Monate Zivildienst oder Bundesheer tun den jungen Männern sicher gut.“ (Gabi Burgstaller im Interview mit den Salzburger Nachrichten) Heinz-Christian Strache geht da noch einen Schritt weiter: „Die Wehrpflicht schadet jungen Männern sicher nicht. Eine Mutter muss sich nicht fürchten: Die Söhne sollten einmal aus dem Hotel Mama ausziehen und im Rahmen des Bundesheeres oder Zivildienstes mit verschiedenen sozialen Schichten zusammenkommen und Lebenserfahrungen sammeln.“ (Interview, Die Presse)
Und hier wären wir beim Kern der Sache angekommen: Beim Heer werden aus Burschen Männer gemacht, die Kasernen dienen als zentrale Orte der Mannwerdung. „Während der Ableistung des Wehrdiensts lernen die jungen Männer Kameradschaft und Zusammenhalt“ ist so auch unter den 100 Argumenten für die Wehrpflicht auf der Website der Initiative „Einsatz für Österreich“ zu finden. Raewyn Connell formuliert das so: „Gewalt im größtmöglichen Maßstab ist eine Aufgabe des Militärs. Kein Bereich war für die Definition von Männlichkeit in der westlichen Kultur wichtiger.“ 1917 wurde dieser Grundsatz in den USA gar noch wortwörtlich auf Rekrutierungsplakate gedruckt: „Die Armee der Vereinigten Staaten macht Männer.“ Die Trennung von Frauen ist also ein wichtiges Element, die Abwehr von Weiblichkeit Bedingung für „Vermännlichung“ und Militarisierung, deren Werte „zu gehorchen, sich unterzuordnen, sich anzupassen und sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, im ‚Ernstfall‘ unhinterfragt Menschen zu töten“ darstellen.
Zu diesem Thema gibt es viele interessante Bücher/Aufsätze, einen guten Einstieg bietet zum Beispiel ein Vortrag der Politikwissenschafterin Eva Kreisky, der online verfügbar ist: „Fragmente zum Verständnis des Geschlechts des Krieges„. Auch der Sozialpsychologe Rolf Pohl hat mehrere Aufsätze zum Thema verfasst. Und Henning von Bargen erklärt in einem Diskussionspapier, warum er für eine Abschaffung der Wehrpflicht und vor allem für eine Entmilitarisierung der Gesellschaft eintritt.
Eine Entmilitarisierung steht in der österreichischen Debatte nicht zur Diskussion, wer sich dennoch in das Thema Wehrpflicht pro oder contra vertiefen möchte, findet hier Ansatzpunkte: Barbara Blaha tritt für eine Beibehaltung der Wehrpflicht ein und betreibt einen Blog unter diefakten.at. Am 14. Jänner wird sie zudem im Depot unter anderem mit Peter Pelinka und Peter Pilz über die Volksbefragung diskutieren. Argumente gegen die Wehrpflicht findet ihr z.b. auf der Website der Grünen.
Link: Infos zur Volksbefragung
Initiative Abschaffung des Bundesheeres und aktive Friedenspolitik – Erläuterung auf Facebook
Sehr feiner Blogeintrag, der auch mein Unbehagen angesichts der Befragung auf den Punkt bringt. Salopp gesagt: Über Wehrpflicht und all die Fragen, die da dranhängen, lohnte sich eine intensive gesellschaftliche Diskussion. Die schemenhafte „A oder B?“ Abfrage ist jedoch höchst unbefriedigend, ja ich fühle mich als Staatsbürger im Grunde nicht Ernst genommen.
Mir war schon mit 15, 16 Jahren klar: Die Monate beim Heer sind für mich keine Option. Die so genannte „Stellung“ bestätigte mich in dieser Überzeugung. Zwei Tage in einer Welt, die kafkaesk und nur kafkaesk auf mich wirkte. Stattdessen entschied ich mich für den Zivildienst in einer Einrichtung für geistigbehinderte Menschen. Die 12 Monate dort empfand ich als sinnvoll – nicht nur gesellschaftlich, auch mit Blick auf die „Persönlichkeitsentwicklung“ (wenn die Gestrigen schon davon reden wollen, dass irgendeine Erfahrung „Männer“ forme, dann sollten sie die tägliche Betreuung von Mitmenschen beim Toilettengang oder das Beiwohnen bei einem epileptischen Anfall zu diesen Erfahrungsschätzen zählen. Nicht nur das Wälzen im Dreck oder das Überspannen eines Betts mit einem Leintuch.)
Diese meine eigene positive Erfahrung mit dem Zivildienst, so mein Empfinden, kann ich in der Abstimmung nicht adäquat artikulieren. Klar, ein freiwilliges Sozialjahr bietet diese Option. Aber ich für mich hätte diese Option ohne „Zwang“ nicht gezogen. So ehrlich möchte ich sein. Zugleich mutet die gesamte Konstruktion „Wir schicken unsere jungen Männer mal ein paar Monate in diese Systeme“ wie aus der Zeit gefallen an. Alles führt zum ersten Absatz zurück: Es lohnte sich eine Diskussion. Eine Volksbefragung würde sich hingegen bei anderen Fragen auszahlen – oder zu einem späteren Zeitpunkt nach ausführlicher Debatte mit mehr Optionen. So aber bleibt das Ganze ein Ausfluss aus dem politischen Alltagstheater.
Danke fürs Teilen deiner Erfahrung!
Danke für den Beitag und für die Links.
Hier noch eine Ergänzung: Vom Versöhungsbund gibt es eine parlamentarische Bürgerinitiative zur Abschaffung des Bundesheeres und für eine aktive Friedenspolitik. Auf der Parlamentswebsite können Zustimmungserklärungen dazu abgegeben werden. Quasi ein Zusatzmittel – mit Blick auf fehlende Optionen in der Volksbefragung.
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/BI/BI_00053/index.shtml#tab-Zustimmungserklaerung
Und hier gibt’s eine längere Erklärung dazu: https://www.facebook.com/notes/ifor-austria/warum-wir-kein-heer-brauchen-wenn-wir-frieden-wollen/540971885931287
Danke für die interessante Sichtweise! Genau solche Argumente stören mich am meisten an dieser Debatte, da sie eine sachliche Debatte verunmöglichen. Da der Zivildienst ja gerade von der ÖVP immer mehr als Mittel zum Zweck, nämlich der Rettung des Bundesheers, missbraucht wird, wäre es umso wichtiger zu diskutieren, welche Probleme und Alternativen es dort gibt. Denn der jetzige Zustand mit der unwürdigen Bezahlung der Zivis und der Abhängigkeit der Organisationen von ebendiesen ist mMn nicht tragbar. Und Themen wie freiwilliges soziales Jahr, Gedenkdienst, usw. werden im Prinzip gar nicht diskutiert.
Hier in Kanada bspw hat Volunteering einen ganz anderen Stellenwert, wird im Lebenslauf genauso wie Berufs- und Bildungsweg erwartet. Eine bessere gesellschaftliche, vor allem aber auch was die Berufschancen (Stellenwert) und Bildungschancen (Anrechnung im Studium, etc.) und andere Bereiche (Anrechnung Pension etc.) betrifft, Würdigung (und Bezahlung) von Freiwilligentätigkeit wäre angebracht, davon könnten auch beide Geschlechter profitieren.
Habe tags davor übrigens auch zum Thema gebloggt, versuche nun auch einige Artikel dazu in meiner Sidebar im Blog zu sammeln. Während mein Beitrag dazu nur einen recht allgemeinen Standpunkt behandelte, wird noch eine persönliche Sichtweise von mir (als Untauglichem) in einem weiteren Blogpost folgen…
Also ich denke das die Wehrpflicht was gutes ist.
Auf der anderen Seite denke ich das man mit 80% der Wehrpflichtigen und denen die die Wehrpflicht abgeleistet haben keinen Krieg gewinnen kann 🙂
Was meiner Meinung halt nicht richtig ist,
ist die Tatsache das immer mehr junge Männer untauglich sind ( zu fett, angst vor der Waffe…. ),
ich glaube das es den Leuten zu einfach gemacht wird heutzutage.
Wenn du vor 30 Jahren gesagt hättest ich geh nicht zum Bundesheer weil ich angst vor der Waffe habe, hätte sich dein Vater in den hintern geniert.
Heute ist das ganz normal anscheinend,
deshalb sag ich ja Krieg gewinnst du mit den heutigen Rekruten eh keinen.
Somit denke ich das ein Berufsheer die beste Lösung ist.
mfg
Paul
ABC Abwehr ET 5/99 🙂
[…] besonderen Blick auf das Thema wirft wieder einmal die Denkwerkstatt, die die oftmals in die Diskussion geworfene Frage “was wir denn mit den jungen Männern […]