„Feminismus kann niemals Lifestyle sein“

&

Dieses Interview mit der feministischen Ökonomin Gabriele Michalitsch ist in der September-Ausgabe der an.schläge erschienen. 

Heute ist oft von einem „neuen Feminismus“ die Rede, der die „alte“ Frauenbewegung überwunden habe. Was verbinden Sie mit dem Begriff des „neuen Feminismus“?

Was soll denn ein „neuer“ Feminismus sein?

Etwa ein Feminismus, der behauptet, mit statt gegen Männer zu arbeiten, der Individualismus und Lifestyle-Fragen betont.

Feminismus kann niemals Lifestyle sein, Feminismus ist immer politisch. Wenn die Medien eine solche Diskussion befeuern, ist das eine Form von Antifeminismus und der Versuch, den Begriff Feminismus zu vereinnahmen, ihm seine politische Relevanz abzusprechen. Feminismus war zudem nie männerfeindlich, er wurde immer auch von Männern mitgetragen. Wenn, dann wendet er sich gegen bestimmte Konzeptionen von Männlichkeit – wie auch Weiblichkeit. Wäre dieser angeblich neue Feminismus nicht Gegenstand öffentlicher Debatten, müssten wir uns erst gar nicht damit auseinandersetzen – in meinen Augen ist das eine antifeministische Strategie.

Mitunter bezeichnen sich auch konservative Politikerinnen als Feministinnen, die thematisch auf Karriereförderung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzen.

Wenn man trotz Kindern Karriere macht, ist das Feminismus?

Diese Frauen verwenden zumindest den Feminismus-Begriff und füllen ihn mit neuen Inhalten. Da stellt sich die Frage: Brauchen wir einen neuen Begriff, um ihn von solchen Definitionen abzugrenzen?

Nein, vielmehr müssen wir ihn verteidigen gegen solche Aushöhlungsversuche. Wenn Feminismus auf Karriere mit Kindern reduziert wird, ist das das Ende des Feminismus.

Schon seit längerem kritisieren feministische Stimmen, dass die Analyse sozialer und ökonomischer Verhältnisse zugunsten Fragen von Identität und Repräsentation verdrängt wurde. Was steckt hinter dieser Entwicklung?

Ja, das war in den vergangenen Jahrzehnten sicher der Fall. Es hat in den Geistes- und Sozialwissenschaften den „cultural“ bzw. den „linguistic turn“ gegeben. Das hat sich auch im Kontext feministischer Wissenschaften artikuliert, das hat natürlich mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun und spiegelt die politischen Konjunkturen des Denkens wider. Ich meine aber, dass zurzeit die kritische Analyse eine starke Re-Ökonomisierung erfährt. Angesichts der Krise hat es hier doch eine deutliche Diskursverschiebung gegeben.

Woran machen Sie diese Re-Ökonomisierung in der feministischen Theorie fest?

Etliche feministische Journals haben in den letzten drei, vier Jahren Krise Kapitalismus und Ökonomie thematisiert. Ich denke, dass grundsätzlich keine politische Analyse der gegenwärtigen Situation ohne Bezugnahme auf die Krise möglich ist, da sie unsere Lebensverhältnisse hochgradig bestimmt. Ökonomie spielt dabei eine zentrale Rolle. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich die fundamentale Bedeutung der Ökonomie – wieder – sehr deutlich herauskristallisiert.

Sind im Zuge dieser Verschiebung hin zur Analyse von Identität und Repräsentation globale Ungleichheiten aus dem Blickfeld geraten?

In dem Maße, in dem die Ökonomie im feministischen Diskurs marginalisiert war, ja. Ich würde aber nicht sagen, dass sie keine Rolle gespielt hat. Es gab einen starken Fokus auf Kulturwissenschaften, aber gleichzeitig hat sich auch ein feministisch-ökonomischer Diskurs etabliert. Ich gehe davon aus, dass Fragen ökonomischer Ungleichheit auf globaler Ebene jetzt weiter an Bedeutung gewinnen werden. Grundsätzlich waren das schon in den 1970er-Jahren wesentliche Themen. Wenn wir uns ansehen, wie für gleiche Löhne oder für die Anerkennung unbezahlter Frauenarbeit gekämpft wurde, dann sehen wir, dass das seit dem 19. Jahrhundert ganz zentrale Fragen feministischer Debatten sind. Feminismus ist von der Ökonomie nicht zu trennen.

Frauenpolitik fügt sich mit Quoten und Förderungsprogrammen vielerorts nahtlos in neoliberale Regierungsprogramme ein. Welche Frauen profitieren vom Versprechen der Leistungsgesellschaft, und wie?

Ich weiß nicht, wo wir in Österreich Quoten, außer im Bundesdienst und – meist sehr lasch formuliert – in Parteien, oder umfangreiche Frauenförderungsprogramme hätten.

In Österreich nicht. Aber zumindest bestimmen Quoten-Forderungen unter anderem die frauenpolitischen Diskussionen.

Das finde ich auch sehr wichtig. Wenn man sagt, es profitieren ja nur Oberschichts- oder Mittelschichtsfrauen davon und sofort auf die Spaltungen zwischen Frauen fokussiert, wird das sehr problematisch. Quoten bieten vielmehr eine Möglichkeit, Frauen den Zugang zu Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Und das ist kein Profitieren auf Kosten von anderen Frauen, etwa von Migrantinnen, es wird ja anderen Frauen nichts weggenommen – auch wenn nur eine Minderheit unmittelbar Nutzen aus Quoten zieht.

Natürlich können Quoten allein keine feministische Politik ersetzen, und im Sinne einer fundamentalen feministischen Kritik können wir die Frage stellen, ob es überhaupt ein politisches Ziel sein soll, am bestehenden System auf diese Weise zu partizipieren und es zu stützen. Aber angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse halte ich Quoten-Forderungen für absolut berechtigt. Ich finde es strategisch falsch von feministischer Seite, immer Differenzen zu betonen, auch wenn solche Debatten berechtigt waren und sind. Aber damit blockiert man auch die eigene Handlungsfähigkeit.

Ich würde gerne über soziale Bewegungen sprechen, die im Zuge der Wirtschaftskrise entstanden sind. Es gibt unter anderem die Kritik, feministische Theorie sei mit ihrem schwer zugänglichen Vokabular elitär und ausschließend. Wie anschlussfähig sind denn feministische Ideen für soziale Bewegungen?

Theoriebildung ist immer anspruchsvoll, aber diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Theoriebildung ist immer abstrakt und braucht eine spezifische Sprache, aber das bedeutet nicht, dass sie nichts mit der politischen Praxis zu tun hat. Theorie ist auch nicht Sache eines eingeweihten kleinen Kreises, sie wirkt immer auf die politischen Bewegungen zurück und umgekehrt. Wenn ich an meine eigene Arbeit denke, so war diese immer auch stark davon beeinflusst, welche Fragen von Seiten autonomer Frauenorganisationen oder institutionalisierter Frauenpolitik an mich herangetragen wurden. Natürlich ist es wichtig, das Verhältnis von feministischer Theorie und Praxis im Auge zu behalten, aber das heißt nicht, dass man feministische Theorie deshalb in Alltagssprache formulieren kann. Theorie wird immer spezifischer Übersetzung in politische Praktiken bedürfen.

Bietet der krisenhafte Zustand des Systems auch neue Chancen für feministische Politiken?

Ich denke, dass es viel mehr Interesse an ökonomischen Fragen, an der Analyse von polit-ökonomischen Prozessen im Zuge der Krise gibt, ja, und damit wird sich auch feministische Politik verändern.

Und abseits der feministischen Ökonomie?

Die Bedingungen für feministische Politik generell sind im Zuge der Krise deutlich schwieriger geworden. Die Verteilungskämpfe sind härter, Antifeminismus wuchert dabei nur so. Es werden andere Prioritäten gesetzt und Aufmerksamkeit von Geschlechterverhältnissen abgezogen. Dieses Gespräch hätten wir ja vor zehn oder fünf Jahren auch nicht so geführt.

Warum hätten wir es nicht geführt?

Wir hätten uns nicht über den neuen Feminismus unterhalten. Wir hätten vielleicht über Equal Pay gesprochen, aber die Ökonomie hätte nicht diesen Stellenwert gehabt. Antifeminismus war noch nicht salonfähig, der ist in der Krise stark geworden und hat die Grenzen dessen, was als sag- oder machbar gilt, verschoben.

Wirkt diese Entwicklung auch auf die innerfeministischen Diskussionen zurück?

Natürlich. Die letzte Enquete der Plattform „20.000 Frauen“ und der Frauenministerin hat sich dem Thema Antifeminismus gewidmet. Das, was wir an Gleichstellung erreicht haben, wird momentan wieder massiv infrage gestellt – feministische Bewegungen müssen sich natürlich damit auseinandersetzen, es geht um die Erhaltung von Gleichstellungspolitik. Die Abwehr dieses breiten Antifeminismus beeinflusst die Diskussionen, die feministische Politikformulierung und letztendlich auch die Theoriebildung.

Wirkt diese Entwicklung vielleicht auch derart auf feministische Bewegungen zurück, dass sie geschwächt werden, wenn ganz elementare Errungenschaften erneut thematisiert und verteidigt werden müssen? Gehen damit möglicherweise Kreativität und Radikalität verloren?

Dass sie an Radikalität verliert, weil sie durch diese Angriffe so in der Defensive ist, das glaube ich nicht. Natürlich kann man sagen, bestehende Errungenschaften zu verteidigen – alles unter Anführungszeichen – ist nichts Radikales. Aber zugleich glaube ich doch, dass der antifeministische Diskurs die Notwendigkeit von Feminismus für jüngere Generationen deutlicher macht. In diesem Sinne glaube ich auch nicht, dass er weniger radikal wird, im Gegenteil: Wenn der Angriff massiv ist, wird die eigene Position radikaler.

Gabriele Michalitsch ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin, sie lehrt an den Universitäten Wien und Klagenfurt.

About the author

brigittethe

2 comments

  • […] “Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein” • Denk­werk­statt — gabriele micha­litsch im inter­view mit eini­gen sehr rich­ti­gen beob­ach­tun­gen: Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein, Femi­nis­mus ist immer poli­tisch. Wenn die Medien eine sol­che Dis­kus­sion befeu­ern, ist das eine Form von Anti­fe­mi­nis­mus und der Ver­such, den Begriff Femi­nis­mus zu ver­ein­nah­men, ihm seine poli­ti­sche Rele­vanz abzu­spre­chen. Femi­nis­mus war zudem nie män­ner­feind­lich, er wurde immer auch von Män­nern mit­ge­tra­gen. Wenn, dann wen­det er sich gegen bestimmte Kon­zep­tio­nen von Männ­lich­keit – wie auch Weib­lich­keit. Wäre die­ser angeb­lich neue Femi­nis­mus nicht Gegen­stand öffent­li­cher Debat­ten, müss­ten wir uns erst gar nicht damit aus­ein­an­der­set­zen – in mei­nen Augen ist das eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Strategie. […]

By brigittethe

Neueste Beiträge

Neueste Kommentare

Archive

Kategorien