Aus meiner aktuellen Playlist – großartige Musikerinnen:
Keine Lust auf Yoga
In den vergangenen Monaten habe ich die Debatte rund um „Self care“ auf deutschsprachigen queer-feministischen Blogs verfolgt (z.B. hier und hier) – und irgendwie machte sich da Unbehagen bei mir breit.* Einerseits liegt das an meinem persönlichen Empfinden. Beim Lesen der Selbstfürsorge-Tipps auf Kleinerdrei erhöht sich etwa mein Stresslevel: Atemübungen, Spaziergänge und Kochen auf der To-Do-Liste – das klingt für mich nicht nach Entspannung. Nein, ich schaffe es nicht, mir jeden Tag Zeit für Meditation oder Turnübungen zu nehmen, ich kann (und will) es nicht, auf die „Signale“ meines Körpers zu hören, in mich hineinzuhorchen und (möglichst effizient!) Erschöpfungszuständen vorzubeugen. Vielleicht klingt das jetzt ein wenig zynisch und ich denke, die Intention hinter der Selbstfürsorge verstehe ich sehr wohl – aber warum braucht es dafür einen eigenen Begriff?
Vor kurzem habe ich eine Kritik am gegenwärtig sehr präsenten „Care“-Konzept gelesen. Bettina Haidinger und Käthe Knittler stellen in ihrem Einführungsband in die feministische Ökonomie Care-Ökonomie der marxistischen Hausarbeits-Debatte der 70er-Jahre gegenüber und kommen zu folgendem Befund: „Die Care-Debatte – zumindest in ihrer akademischen und institutionellen Ausgestaltung – ist keine, die die kapitalistische Verwertung von Lohnarbeit und Care-Arbeit grundsätzlich in Frage stellt. Stattdessen soll pragmatisch auf die Leerstelle von Sorgearbeit in der Mainstream- und der heterodoxen Ökonomietheorie verwiesen und umsetzbare Lösungen für ihre Organisation gefunden werden. Die Reformidee weicht der Befreiungsidee.“ (S. 112)
Ähnlich fehlt mir bei der Selbstfürsorge-Debatte die Verknüpfung mit Kritik an den Arbeits- bzw. Lebensverhältnissen, die Erschöpfungszustände begünstigen/verursachen. Antonia hat auf Umstandslos einen tollen Kommentar geschrieben, in dem sie den Zusammenhang von Mutterschaft, Feminismus und Erschöpfung analysiert. In ihrem Text finde ich mein Unbehagen auf den Punkt gebracht wieder:
„Was passiert also auch, wenn wir diese ‚Fürsorge‘ auf uns ’selbst‘ beziehen? Dann ist die Grenze zur neoliberalen ‚Selbstoptimierung‘ sehr schmal. ‚Selbstfürsorge‘ verstanden an der Arbeit an mir selbst, sodass ich klar komme in den mir zugewiesenen Strukturen, in dem mir zugestandenen Raum, aber bitte nicht aufbegehren, nicht mehr oder etwas anderes wollen. So verstanden, möchte ich eigentlich nicht an meiner ‚Selbstfürsorge‘ arbeiten, sondern erstmal bei der Auseinandersetzung mit meiner Erschöpfung bleiben. Die Frage, die ich mir nun stelle, ist, woher denn meine Erschöpfung rührt? Was macht mich denn so müde? Wovon möchte ich mich erholen und kann es nicht? Vom Muttersein? Von der feministischen Arbeit? Nein, ich denke, müde macht mich die mir fehlende Freiheit und die mir fehlende Gestaltungsmacht. Kurz auf den Punkt gebracht, es ist die kapitalistische, patriarchale Gesellschaftsordnung und der Platz, den sie mir zuweist, die mich müde und erschöpft machen.“ (Antonia verlinkt auch den spannenden Text von Steinmädchen)
Unbehagen bereitet mir außerdem die Trennung in Erwerbsarbeit, Aktivismus/politische Arbeit und Freizeit. Die Hierarchie muss selbstverständlich so aussehen: Im Zentrum steht die Erwerbsarbeit, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdiene, rundherum drapiere ich den Aktivismus (der aus meinem persönlichen Interesse resultiert) und die Freizeit, in der ich „abschalten“ muss, mich entspanne, das Politische ausblende, in der ich Freund_innen in den Kalender eintrage. Das alles funktioniert bei mir nicht auf Knopfdruck. Ich möchte meine Zeit nicht managen, ich will nicht von acht bis fünf professionelle Kommunikatorin, von sechs bis neun engagierte Aktivistin und ab 21 Uhr gute Freundin sein. Ich möchte über Arbeitsverhältnisse und Arbeitsgestaltung sprechen – nicht über Work-Life-Balance (-> gemeint ist hier Work-Life-Balance in diesem Sinn (!) – ich beziehe mich nicht auf die oben genannten Blog-Texte!). Denn leben möchte ich nicht erst nach Arbeitsschluss.
Politischen Aktivismus empfinde ich großteils als befreiend, bestärkend – im queer-feministischen Umfeld lade ich meine Batterien auf. Meistens ziehe ich mich dann zurück, wenn ich das Gefühl habe, auch dafür „funktionieren“ zu müssen. Besonders in einer politischen Gruppe, in der ich aktiv bin, hatten/haben wir immer das Problem, uns zu viel Arbeit aufzuhalsen, in Projekten und Großereignissen zu denken, ständig neue Arbeitsgruppen zu gründen. Durch diese Erfahrung habe ich gelernt, meine Ansprüche runterzuschrauben. Das Ziel ist nicht die ganze Welt. Lieber mal laut und wütend und spontan sein, statt nächtelang zuhause am Konzept für das nächste Projekt zu sitzen. Und Selbstfürsorge betreibe ich wohl, indem ich z.B. nicht mehr mit „Feminismus/Antirassismus/Political Correctness… ist schon ein bisschen extrem“-Menschen diskutiere. Stattdessen mit wertschätzenden queer-feministischen Aktivist_innen. Das ist dann meine Yoga-Stunde.
PS. In diesem Blogbeitrag geht Distelfliege auf verschiedene Kritikpunkte am Konzept der Self care ein.
* Die folgenden Ausführungen diskutieren nicht die einzelnen (interessanten) Blogbeiträge im Detail. Ich möchte mit meinem Text nicht sagen, dass feministische Blogger*innen ein „Fit for work“-Konzept propagieren und sie auch nicht mit dem Label „neoliberal“ versehen, weil sie Yoga machen – ganz im Gegenteil. Ich möchte lediglich eigene Gedanken zu diesem Diskurs schildern.