Ich freue mich, euch wieder einmal eine Diplomarbeit vorstellen zu können: Anna Fox hat ihr Studium der Internationalen Entwicklung mit einer Forschungsarbeit über transnationale Care-Migrantinnen aus der Slowakei, die in Österreich arbeiten, abgeschlossen. Sie lebt aktuell in Wien und hat außerdem Slawistik studiert.
Was ist das Thema deiner Arbeit?
Die Pflege und Betreuung älterer Menschen ist eine Thematik, die im Zuge gegenwärtiger demographischer Entwicklungen zunehmend an Relevanz gewinnt. Eine Möglichkeit, auf den steigenden Bedarf in diesem Bereich zu antworten, ist die 24-Stunden-Betreuung im häuslichen Rahmen. Seit Beginn der 1990er Jahre wird in Österreich auf diese Option zunehmend zurückgegriffen, wobei die Betreuungskräfte, die in diesem Bereich tätig sind, v.a. aus den neuen EU-Ländern und in erster Linie aus der Slowakei kommen. Da diese Form von Arbeitsverhältnis für eine überwiegende Mehrheit der Beschäftigten mit einer regelmäßigen Abwesenheit von ihrem Herkunftskontext einhergeht, ist davon auszugehen, dass dort Auswirkungen auf persönliche Lebenswelten und insbesondere auf die Beziehungspflege und die Organisation von Fürsorgearbeit im Haushalt und im familiären Umfeld bemerkbar sind.
Meine Diplomarbeit zielt darauf ab, zu verstehen, wie die Arbeits- und Lebensrealitäten von Personenbetreuerinnen in Österreich mit jenen in ihrem Herkunftskontext (eingeschränkt auf die Slowakei) interagieren und wie die Veränderungen, die so zustande kommen, von ihnen wahrgenommen werden.
Was sind deine zentralen Fragestellungen?
Im spezifischen untersucht meine Diplomarbeit die Frage, wie sich die persönlichen Lebenswelten von in Österreich tätigen Betreuungskräften in der 24-Stunden-Betreuung mit Herkunftsland Slowakei durch die zirkuläre Arbeitsmigration (meisten in 14-tägigen Abständen), die mit ihrer Beschäftigung einhergeht, allgemein und insbesondere in Bezug auf ihre soziale Einbettung, Fürsorge-Arrangements und die geschlechterspezifische Arbeitsteilung im eigenen Haushalt sowie im familiären Umfeld verändern.
Warum hast du dich für dieses Thema entschieden? Wie bist du darauf gestoßen?
Meine persönliche Auseinandersetzung mit der Thematik der 24-Stunden-Betreuung hat begonnen, als meine eigene Großmutter pflegebedürftig wurde. Um ihre Versorgung und Betreuung gewährleisten zu können, wurde das Modell der 24-Stunden-Betreuung gewählt. Durch Besuche bei meiner Großmutter kam ich mit Care-Migrantinnen in Kontakt. Auf Grund dieser Erfahrung begann ich mir Fragen darüber zu stellen, wie sich deren Lebensrealität durch die von ihnen praktizierte Form der Arbeitsmigration verändert. Dieser Impuls und die Beschäftigung mit global care chains im Laufe meines Studiums waren ausschlaggebend für meine Entscheidung, mich im Zuge meiner Diplomarbeit mit einem ähnlichen Problembereich auseinanderzusetzen.
Als ich im Mai 2013 einen schweren Unfall erlebte, wodurch die Arbeit an meiner Diplomarbeit unterbrochen wurde, lernte ich mich selbst in einer mir bisher noch unbekannten Rolle kennen: Über eine Spanne von einigen Monaten erfuhr ich, was es bedeutet, pflegebedürftig und in extremen Ausmaß auf die Unterstützung anderer angewiesen zu sein. Diese Erfahrung bestärkte meine Überzeugung, dass Care-Arbeit, in allen ihren Fassetten, essenziell ist für jedes gesellschaftliche Leben, also für das menschliche Sein und Zusammen-Sein an sich. Mit meiner Untersuchung möchte ich dazu beitragen, transnationale Migrantinnen und transnationale Haushalte als zentrale Akteurinnen im Bereich der Fürsorge sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie sich die Care-Migration auf deren persönliche Lebenswelten auswirkt.
Was sind deine Methoden?
Ich habe eine Fallstudie auf Basis von vier qualitativen, problemzentrierten Interviews (Methode nach Andreas Witzel) mit Frauen aus der Slowakei durchgeführt, die in Österreich als Personenbetreuerinnen arbeiten. Die Datenanalyse erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring, wobei für mich weniger die Generalisierung von Forschungsergebnissen, als das Aufzeigen unterschiedlicher Möglichkeiten innerhalb eines Spektrums, das von Diversität geprägt ist, im Vordergrund stand. Die theoretischen Konzepte mit denen ich gearbeitet habe, sind der Lebensweltbegriff von Björn Kraus, Ansätze aus der Literatur zu Care-Migration und Transnationalisierung, sowie der Kapitalbegriff Pierre Bourdieus.
Was sind deine wichtigsten Ergebnisse?
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Forschungsteilnehmerinnen sind zwar zu einem großen Ausmaß auf die Ungleichheit im europäischen Einkommensgefälle zurückzuführen und durch diese vorstrukturiert, für sie bleiben aber dennoch gewisse Handlungsspielräume offen. Sie sind sich ihrer jeweiligen Möglichkeiten bewusst und entschieden sich für die Arbeitsmigration, weil diese für sie, trotz der extremen Unterbezahlung der 24-Stunden-Betreuung, eine Verbesserung ihrer Lebenslage darstellen kann. Durch ihren vierzehntägigen Arbeitsrhythmus wird ihr Leben in Phasen der Erwerbsarbeit in Österreich und der Freizeit in der Slowakei gegliedert. In Koordination mit Kolleginnen und nahestehenden Personen gelingt es ihnen Arrangements zu entwickeln, die ermöglichen, dass sich die Arbeitsmigration mit Fürsorgeverpflichtungen, einer erfüllenden Freizeitgestaltung und einem aktiven Beziehungsleben im Herkunftskontext weitgehend verbinden lassen. Dazu tragen auch die Nähe der Arbeitsplätze zum Herkunftskontext, die relativ kurze Dauer der Arbeitsintervalle sowie die Verfügbarkeit von Kommunikationstechnologien bei.
Jene Aspekte der Beziehungspflege, die an physische Kopräsenz gebunden sind, bleiben während diesen jedoch aus. Mehrere Forschungsteilnehmerinnen haben mit Gefühlen der Einsamkeit zu kämpfen. Diese sind auch auf das isolierte räumliche Setting der 24-Stunden-Betreuung zurückzuführen, das sie stark an den Arbeitshausalt bindet. Emotionale bzw. affektive Arbeit stellt daher eine essenzielle Komponente der Tätigkeit dar und die Qualität der Beziehungen zwischen Klient_innen und den Forschungsteilnehmerinnen wirkt sich auf die Sicherheit der Arbeitsplätze aus. Insofern besteht ein Zusammenhang zwischen der emotionalen Verbindung zu Klient_innen und deren Angehörigen (wenn vorhanden / präsent) und der direkten ökonomischen Abhängigkeit von diesen.
Bezüglich der Verortungen und Zugehörigkeiten, die von den Forschungsteilnehmerinnen im Spannungsfeld zwischen Herkunftskontext und Arbeitsumfeld zum Ausdruck gebracht werden, ergibt sich ein komplexes Bild. Jene stellen sich in unterschiedlichen Umfängen und auf unterschiedlichen Skalen (lokal/ regional/ national/ transnational; privat-familiär/ professionell) dar. Trotzdem ist aber auch deutlich, dass sie ihre Lebensmittelpunkte weiterhin eher an ihren jeweiligen Wohnorten in der Slowakei sehen. Die in der Literatur häufig vertretene Annahme, dass Care-Migrantinnen während ihrer Abwesenheit vom Herkunftskontext Care-Tätigkeiten, die bis dato von ihnen erledigt wurden, v.a. an andere Frauen delegieren, trifft in den untersuchten Fällen nicht zu.
Mehrere Forschungsteilnehmerinnen entwickelten gemeinsam mit ihren Angehörigen Arrangements, die beinhalten, dass klassisch weiblich konnotierte Aufgaben von Männern übernommen werden. Die gefundenen Lösungen sind also als pragmatische Arrangements und Reaktionen auf die Bedingungen der feminisierten Arbeitsmigration zu verstehen. Was die Zukunftspläne der Forschungsteilnehmerinnen angeht, so orientierten sich diese an ihren Einschätzungen des persönlichen Möglichkeitsspielraumes, wobei sie sich nach den Kategorien Alter, Ausbildungsgrad, Berufserfahrung, der jeweiligen Arbeitsmarktsituation in Österreich und der Slowakei, den verfügbaren ökonomischen Mitteln sowie der spezifischen familiären Situation und ihrer potenziellen Veränderung richten.
Unter Bezug auf den Kapitalbegriff Pierre Bourdieus kann gefolgert werden, dass die Forschungsteilnehmerinnen ein Bewusstsein für ihre eigene Ausstattung mit ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital besitzen, auf das sie sich in der Zukunftsplanung stützen. Diskurse, welche Care-Migrantinnen lediglich als passive Opfer übermächtiger Ausbeutungsstrukturen darstellen, sind nicht zielführend, weil sie Agency verschleiern und somit als zusätzlicher Entmächtigungsfaktor wirken können. Care-Migrantinnen müssen als Expertinnen für die Arbeits- und Lebenszusammenhänge, in denen sie sich bewegen, anerkannt werden. Ihre Perspektive muss gemeinsam mit gesellschaftlichen Strukturen als zentraler Ausgangspunkt für deren Untersuchung in den Blick genommen werden.
[…] Denkwerkstatt stellt eine Arbeit vor, die sich mit Care-Migrantinnen aus der Slowakei, die in Österreich in der 24-Stunden-Pflege tätig sind, beschäftigt. […]