ArchiveAugust 2017

Filmtipp: Sameblod

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In „Sameblod“ erzählt die schwedische Regisseurin Amanda Kernell die Geschichte von Christina bzw. Elle Marja, so ihr samischer Name. Im Schweden der 1930er-Jahre wächst die junge Frau in einer Internatsschule auf, die ausschließlich Sami-Kindern vorbehalten ist. Die staatlich legitimierte Rassenlehre schreibt der indigenen Bevölkerungsgruppe Nordschwedens mangelnde intellektuelle Fähigkeiten zu, Samen gelten in der Bevölkerung als schmutzig und minderwertig. Elle Maria, die davon träumt, Lehrerin zu werden, gelingt der Ausbruch aus ihrer Umgebung nur, indem sie die allgegenwärtige Abwertung selbst verinnerlicht und sich fortan Christina nennt.

Mit ihrem Debut ist Kernell ein außergewöhnlicher Film gelungen, es ist eine berührende Geschichte, die deutlich macht, wie Rassismus und Klassismus zusammenspielen und welche Folgen diese toxische Mischung für die schwedische Gesellschaft hatte. Dringende Empfehlung!

Interview: Francis Seeck

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Wie bereits angekündigt starten wir hiermit unsere Interview-Serie zum Thema Klasse/Klassismus, wir freuen uns, dass Francis Seeck die Gesprächsreihe eröffnet!

Wie bist du dazu gekommen, dich mit Klasse/Klassismus auseinanderzusetzen?

Ich verstehe mich als poverty class academic, als Akademiker_in aus einem Armutshintergrund. Klassenunterschiede sind mir schon als Kind aufgefallen, auch wenn ich sie nicht so benennen konnte. Ich bin in Berlin Kreuzberg aufgewachsen und in einen linken Kinderladen gegangen, in dem viele der Kinder aus der Mittelschicht waren. Meine Mutter war alleinerziehend, aus dem Osten ausgereist und wir haben von Hartz 4 gelebt, zeitweise habe ich auch in einer Pflegefamilie gelebt. Mein Vater hatte immer wieder verschiedene Jobs, von Friedhofsgräber über Erntehelfer, aber oft auch keinen. Ich kann mich an einige Klassismuserfahrungen erinnern, die ich bereits als Kind gemacht habe. Zum Beispiel, als ich im Jobcenter bereits in der 10. Klasse dazu genötigt
wurde einen Vermittlungsbogen auszufüllen, obwohl ich Abitur machen wollte. Das werden wir ja sehen, sagte die Sachbearbeiterin skeptisch zu mir. Auch auf dem Kreuzberger Gymnasium wurde uns des öfteren gesagt, dass wir später doch eh von Hartz4 leben werden. Mir fallen auch noch einige andere Erlebnisse ein, für die ein Interview nun nicht der richtige Raum ist.

Mir ist relativ früh aufgefallen, das es bei meinen Freund_innen, deren Eltern Ärzte und Lehrer_innen waren, zuhause anders aussah und die auch ein anderes Leben hatten. Gleichzeitig spielte Bildung und Bücher lesen für meine linken Eltern immer eine große Rolle, meine Mutter studierte später, mein Vater las viel – auch ohne formelle Bildungsabschlüsse. Mir fiel der Einstieg ins Studium wahrscheinlich auch deswegen relativ leicht. Heute schreibe ich meine Doktorarbeit. Ich habe mich früh in verschiedenen Klassenkontexten bewegt und Klassenreisen hinter mir, die teilweise auch mit Unwohlgefühlen verbunden waren.

Ich war dann schon früh in linken und queer-feministischen Räumen aktiv, wo häufig wenig über Klassenunterschiede geredet wird. Oft ziehen sich Aktivist_innen aus Mittelschichts-Elternhäusern extra abgerissene Klamotten an, um ihren alternativen Lebensstil zu betonen. Sie betonen, wie prekär sie doch seien und verschweigen Erbschaften und Sicherheitsnetze im Hintergrund. Als ich zum ersten Mal mit einem Klassismus-Workshop in Berührung gekommen bin war das für mich eine sehr einprägsame Erfahrung. Es war bereichernd mich mit anderen Menschen aus ähnlichen Klassenhintergründen auszutauschen über Klassismuserfahrungen und zu verstehen, dass meine Erfahrungen etwas mit Machtverhältnissen und Strukturen zu tun haben. Ich war auch in Kälteschutzeinrichtungen für wohnungslose Menschen aktiv, in denen ich Kontakt mit der Gewalt bekommen habe, denen wohnungslose Menschen ausgesetzt sind.

Gibt es Texte, die dich besonders geprägt haben?

Ich bin relativ früh auf den Blog Class Matters von Clara Rosa gestoßen. Das ist ein Empowerment-Blog für Menschen die Klassismus erfahren (haben). Ich konnte mich in vielen der Erfahrungen wiederfinden. http://clararosa.blogsport.de/ Auch das Hörspiel „Mit geballter Faust in der Tasche – Eine Lesung über Normen der Mittelschicht in der Linken“ fand ich ziemlich gut. Ein super Übersichtsbuch finde ich immer noch „Klassismus. Eine Einführung“ von Andreas Kemper und Heile Weinbach. In den letzten Monaten hat mich das Buch „Klassenunterschiede im feministischen Bewegungsalltag. Antiklassistische Interventionen in der Frauen- und Lesbenbewegung der 80er und 90er Jahre in der BRD“ von Julia Roßhart sehr begeistert. In dem Buch macht sie klassismuskritischen Aktivismus sichtbar, der oft vergessen wird. Auf meiner Leseliste steht seit langem „Where we stand. Class Matters“ von bell hooks.

Welche Projekte hast du selbst schon umgesetzt?

Ich organisiere selber Workshops und Trainings zu dem Thema Klassismus in linken und queeren Räumen. Thema bei den Trainings sind vor allem die Biografien und Klassenhintergründe- und erfahrungen der Teilnehmer_innen. Da geht es zum Beispiel um Klassismuserfahrungen, die Leute in linken und queer-feministischen Bewegungen machen. Es geht um Klassenreisen, die teilweise zur Entfremdung mit der eigenen Herkunftsfamilie führen. Es geht auch um einen Austausch von Menschen, die in Pflegefamilien oder Heimen ausgewachsen sind. Es geht darum die individuellen Klassismuserfahrungen als politisch zu begreifen und antiklassistische Praxen und Empowerment-Räume aufzubauen. Ich habe auch eine queer-feministische Trauergruppe mit aufgebaut, in der Trauer in Verbindung mit Klassismus ein großes Thema ist. Ich bin außerdem mit Andreas Kemper und Tanja Abou bei dem »Institut für Klassismusforschung« aktiv. https://klassismusforschung.wordpress.com
Zudem bin ich bei den Careleavern aktiv, ein Netzwerk für Menschen, die als Kinder und Jugendliche in Heimen oder Pflegefamilien gewohnt haben. https://www.careleaver.de

Warum denkst du ist es wichtig, sich mit Klasse/Klassismus zu beschäftigen und siehst
du diesbezüglich Leerstellen in linken/feministischen Bewegungen?

Es wird sich viel zu wenig mit Klassismus beschäftigt, auch in queer-feministischen und linken Kontexten. Oft wird so getan, als wären wir alle gleich und es werden automatisch ein ähnlicher Klassenhintergrund und ähnliche Klassenerfahrungen angenommen. Klassenprivilegien werden oft nicht benannt. Mittelschichts-Linke erwähnen dann mal im Nebensatz, dass sie ja drei Häuser erben werden, diese aber nicht gebrauchen können. Es wird viel Wert auf Szene-Codes gelegt („alternative Klamotten“) etc., sich abzugrenzen, und der eigene Klassenhintergrund wird so oft verschleiert. In den Empowerment-Räumen für Menschen mit Armuts- oder Arbeiter_innenhintergrund erlebe ich auch, wie schwer es ist in queer-feministischen Kontexten über Klasse und Klassismus zu sprechen. Dies ist oft durch Scham und Vereinzelung geprägt und dem Angst vor voyeuristischen Kommentaren. Außerdem ist die linke und feministische, queere Bewegung oft sehr akademisch geprägt und schriftliches Wissen wird mehr geschätzt als andere Formen des Wissens. Ich finde es auch wichtig, dass sich queer-feministische Bewegungen gegen Hartz 4 Reformen, Sozialabbau und neoliberale Politik stellen, da auch viele queere Menschen von Armut und Klassismus betroffen sind.

Warum arbeitest du mit dem Klassismus-Begriff?

Ich finde den Klassismus-Begriff sinnvoll. Klassismus bedeutet die Diskriminierung aufgrund deiner Klassenherkunft oder sozialen Position. Diese Abwertung und Ausgrenzung richtet sich z.B. gegen Erwerbslose, Arme, Wohnungslose, Pflegekinder, Heimkinder und viele andere Menschen. Der Begriff ist verwandt mit den Begriffen Sexismus, Rassismus oder Transfeindlichkeit. Ich denke, dass die Auseinandersetzung mit Kapitalismus/Neoliberalismus und Klassismus als Diskriminierungsform zusammengedacht werden müssen. So ist ein Glaubenssatz des Neoliberalismus, dass jede Person aufsteigen kann, wenn sie sich nur genug anstrengt und dass Armut selbstverschuldet sei. Diese Ideen müssen angefochten werden. Klassismus lässt sich nicht von Rassismus und Sexismus trennen, das wird schon dann deutlich, wenn man sich anschaut, wer von Armut betroffen ist und wer welche Arbeit verrichtet.

Du hast ein Buch geschrieben, in dem du dich mit der Bestattungspraxis in Deutschland auseinandersetzt. Wie bist du auf dieses Thema gestoßen und worum geht es konkret in dem Buch?

In dem Buch geht es um die Frage: Wer ist betrauerbar? Klassistische Ausgrenzung und Marginalisierung hören auch nach dem Tod nicht auf. Die Bestattungspraxis in Deutschland ist von Machtverhältnissen, insbesondere von Klassismus und Heteronormativität, geprägt. Die Schere zwischen den Menschen, die sich eine teure und individuelle Bestattung leisten können und jenen, denen das Geld für die Beerdigung fehlt, geht zunehmend auseinander. Immer mehr Menschen werden anonym von Gesundheits- und Ordnungsämtern bestattet. Mit dem Thema bin ich durch den Tod meines Vaters in Kontakt gekommen, sowie durch mein Engagement bei einer Kälteschutzeinrichtung für Wohnungslose Menschen. In dem Buch ‚Recht auf Trauer‘ richte ich meinen Blick auf die historische Kontinuität sozialer Ausgrenzung auf Friedhöfen sowie auf die aktuellen Zustände. Ich zeige auch verschiedene Formen des Widerstands, die sich gegen das klassistische und sozialdarwinistische Bestattungssystem richten, auf. Sowohl meine eigene Trauergeschichte sowie verschiedene Lebensgeschichten anonym bestatteter Menschen haben ihren Platz.

Wo findet man Infos über deine Projekte/Texte…?

https://www.edition-assemblage.de/recht-auf-trauer/
www.francisseeck.net
https://klassismusforschung.wordpress.com

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