Das Diskussionsformat „Bürgerforum“ des ORF ist ein ambitioniertes Projekt: Regelmäßig werden Themen „aus allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Spektrums“ diskutiert, wobei dem Publikum vor Ort in etwa die selbe Redezeit wie den Vertreter_innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Verfügung steht. Auch wenn mir die Einladungspolitik nicht besonders transparent erscheint, so geht das Konzept der gezielten Auswahl des Publikums doch auf – die Wortmeldungen sind großteils intelligenter und konstruktiver als das bei anderen Formaten der Fall ist.
Geschlossene Gesellschaft: Club der Krawattenträger
Dass die Sendung „Bürgerforum“ und nicht etwa „BürgerInnenforum“ heißt, ist allerdings mehr als angebracht. Im „Bürgerforum“ sprechen Männer mit Männern über Männer. Besonders drastisch wurde das gestern deutlich, als über das geplante Sparpaket der österreichischen Regierung unter dem Titel „Zur Kassa, bitte – wer zahlt drauf?“ diskutiert wurde. Am Podium befanden sich tatsächlich sechs Männer (Josef Cap, Günter Stummvoll, Claus Raidl, Franz Fiedler, Hannes Androsch, Karl Aiginger) – und keine einzige Frau. Selbst die geladenen Vertreter der Opposition in der ersten Reihe waren allesamt Männer. Eine beachtliche Fehlleistung der Redaktion, denn bei einem solch fatalen Ungleichgewicht, was die Repräsentation betrifft, greifen keine (gängigen) Ausreden mehr („Alle Frauen haben abgesagt“, „Wir konnten keine Expertinnen finden“…).
Der Grundsatz „Im Bürgerforum wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit geben, ihre Standpunkte zu vertreten“ gilt also nicht – zumindest nicht für Frauen. Und das verwundert vor allem deshalb, da der ORF einerseits den öffentlichen Auftrag hat, sich an der „Vielfalt der Interessen aller HörerInnen und SeherInnen“ zu orientieren und andererseits das Thema Sparpaket Frauen in besonderem Maße betrifft. Frauen sind in Österreich häufiger von Armut betroffen oder bedroht, Frauen stellen die meisten Mindestpensionist_innen, Frauen leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit.
Diese Verhältnisse wurden zumindest ansatzweise in einer Einspielung thematisiert: Drei Frauen erzählten von ihren finanziellen Sorgen und ihren Zukunftsängsten. Im Studio kamen sie hingegen nicht zu Wort: gezählte 23 Redebeiträge von Männern standen zwei Beiträgen von Frauen gegenüber. Somit wurde ein gängiges österreichisches Politikverständnis reproduziert: Frauen sind betroffen und besorgt, Männer sprechen darüber, was zu tun ist und treffen die Entscheidungen. Wenig verwunderlich also, dass frauenpolitische Fragestellungen im „Bürgerforum“ überhaupt nicht thematisiert wurden – sie interessierten weder die Vertreter der Regierung noch der Oppositionsparteien.
Wenn die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ einen Grundsatz des Programmauftrags darstellt, dann erwarte ich mir von der „Bürgerforum“-Redaktion, dass sowohl Männer als auch Frauen in die Sendung eingeladen werden und während der Sendung darauf geachtet wird, dass auch Frauen zu Wort kommen. Und auch bei der Gestaltung von „Frauenschwerpunkten“ sind künftig bessere Recherche und mehr Sensibilität gefragt: Im März 2011 wurde ein „Bürgerforum“ anlässlich „100 Jahre Frauentag“ gesendet, das unter dem missglückten Titel „Halbe-Halbe – wer hat hier die Hosen an“ Männerrechtlern und Menschen wie Ioan Holender eine Bühne bot, der seine kruden Thesen von unterentwickelten weiblichen Lungenflügeln präsentierte.
Link: „Bürgerforum“ in der ORF TVthek