Raewyn Connell gilt als eine der Mitbegründerinnen der akademischen Männlichkeitsforschung, ihr Werk „Masculinities“ (1995) ist das meistzitierte in diesem Feld. Derzeit lehrt die Soziologin an der Universität von Sydney, wo sie einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften innehat. Auf der „Männertagung“ 2011, die Ende Oktober in Graz (Österreich) stattfand, sprach sie mit mir über ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“, rechtskonservative Strömungen innerhalb der Männlichkeitsforschung und skrupellose Manager.
Foto: Männertagung Graz
Bücher wie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit und auch in den Medien sind (angebliche) Geschlechterunterschiede ein Dauerbrenner. Sie haben solche Publikationen in ihrem Vortrag als „knowledge-free zone“ bezeichnet. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg und wie sollten feministische WissenschafterInnen Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?
Diese Bücher geben vereinfachte Antworten auf Fragen, die durchaus viele Menschen beschäftigen. Menschen fragen sich, wie und warum sich Geschlechterbeziehungen verändern und woran sie sich orientieren können. Die populärwissenschaftliche Literatur gibt darauf falsche und irreführende Antworten, aber sie liefert unterhaltsame Antworten. Diese „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ Bücher sind ein wenig mit Horoskopen zu vergleichen: Es werden dir unterhaltsame Geschichten erzählt und „Fakten“ präsentiert, die du bereits zu wissen glaubst – du findest dich darin wieder und wirst in deinen Vorurteilen bestätigt.
Die Ratgeber-Industrie macht so mit der Verunsicherung der Menschen ein gutes Geschäft. Und diese Bücher sind fast allesamt konservativ und anti-feministisch, wir müssen sie also kritisieren. Wir müssen aber auch die Bedürfnisse erkennen, die hier bestehen. Ich bewundere Feministinnen sehr, die es schaffen, in den Massenmedien gute Geschichten zu erzählen und wichtige Problemstellungen einfach und verständlich aufzubereiten. Ich denke, das ist ungeheuer wichtig.
Ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit” ist innerhalb der Männlichkeitsforschung sehr einflussreich, ihr Werk „Masculinities“ ist das meistzitierte in diesem Feld. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Ich denke, das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ ist sehr einflussreich, weil es WissenschafterInnen ermöglicht hat, die Verbindung zwischen verschiedenen Problemstellungen zu erkennen. So wurde etwa sichtbar, dass es nicht nur eine Männlichkeit, sondern sehr verschiedene Männlichkeiten gibt. Außerdem fokussiert es auf Geschlechterbeziehungen, es ermöglichte WissenschafterInnen, zu verstehen, wie Unterschiede zwischen Männlichkeiten mit den Geschlechterbeziehungen zwischen Männern und Frauen verwoben sind.
Außerdem konnten sie über Männlichkeit sprechen, ohne diese zugleich ablehnen oder bestätigen zu müssen; sie konnten erkennen, dass es bestimmte Muster im Konzept Männlichkeit gibt, die äußerst schädlich sind und dass Männer auch alternative Positionen innerhalb der Geschlechterordnung einnehmen können. Wenn wir in einem dichotomen Denken verhaftet bleiben, das die sozialen Gruppen „Männer“ und „Frauen“ getrennt voneinander behandelt, dann können wir auch nicht über Wege nachdenken, wie Männer von Positionen innerhalb des patriarchalen Systems abrücken und wie Allianzen zwischen Feministinnen und bestimmten Gruppen von Männern entstehen können. Ich denke, es fehlte auch an einem Konzept, um über Positionen von homosexuellen Männern innerhalb der Geschlechterbeziehungen nachdenken zu können.
Ich nehme also an, dass die Sprache der hegemonialen Männlichkeiten, der marginalisierten, komplizenhaften und der untergeordneten Männlichkeit eine Analyse von bestehenden Komplexitäten und ein strategisches Nachdenken über potentielle Veränderung von Männlichkeiten ermöglichte. Natürlich wurde mein Konzept in bestimmten Kreisen auch abgelehnt, ich glaube, Queer-TheoretikerInnen mögen es nicht besonders und auch WissenschafterInnen, die eher einen funktionalistischen Ansatz vertreten, können nicht viel damit anfangen.
In der feministischen Wissenschaft bzw. in den Gender Studies herrscht eine rege Diskussion über die eigenen Begrifflichkeiten, über ein „feministisches Subjekt“ und damit verbundene Essentialismen. In der Männlichkeitsforschung scheinen solche Diskussionen eine untergeordnete Rolle zu spielen – würden Sie dieser Beobachtung zustimmen?
Ja, es existiert ein sehr weit verbreiteter, essentialistischer Gebrauch des Konzepts „Männlichkeit“. Einerseits natürlich in populärwissenschaftlicher Rategeberliteratur, aber auch in konservativen, männerpolitischen Gruppen. Ich persönlich habe kein Problem damit, von „Männern“ und „Frauen“ zu sprechen – für mich sind das die Namen sozialer Gruppen. Ich mache mir auch nicht so viele Gedanken über Essentialismus, wie das andere WissenschafterInnen tun – vor allem Queer-TheoretikerInnen, DekonstruktivistInnen und PoststrukturalistInnen versuchen ja, Essentialismus um jeden Preis zu vermeiden. Meiner Ansicht nach brauchen wir uns darüber nicht so viele Sorgen zu machen; nicht, weil wir etwa essentialistisch agieren sollten, sondern weil wir die Analyse von Gender auf anderen Grundlagen aufbauen können.
Ich spreche dabei von Gender als eine Strukturkategorie sozialer Beziehungen. Bei Gender handelt es sich um eine soziale Realität, die ebenso eine historische Realität ist – aber keine biologische. Es ist eine historische Realität bezogen auf die Art und Weise, wie Gesellschaften mit Reproduktion umgegangen sind. Ich sehe eine Gefahr in vehementem Anti-Essentialismus – nämlich, dass wir die menschliche Reproduktion vergessen. In dekonstruktivistischen feministischen Texten kommen Kinder praktisch nicht vor. Sie fehlen einfach – ebenso die Erziehung, die Kinderbetreuung, die Beziehungen zu Kindern. Das ist sehr problematisch, denn bei Gender geht es in erster Linie um reproduktive Körper und um die sozialen Beziehungen, die sich in unserem reproduktiven System abspielen.
Das auszusprechen, heißt für mich nicht, in Essentialismus zu verfallen, sondern in den Realismus. Und es bedeutet dabei keineswegs, automatisch davon auszugehen, dass alle reproduktiven Körper gleich wären, was uns essentialistische Ansätze ja erzählen wollen. Für mich hat dieser Zugang zu Gender das größte Potential, er ermöglicht auch eine kritische Analyse von Macht, Unterdrückung und Ausbeutung. Und es geht also darum, die Verkörperung sozialer Strukturen zu erkennen und zu verstehen. Wir haben nicht eine dichotome Gesellschaft hier und Köper dort – Gender ist eine soziale Struktur, die in die Körper eingeschrieben ist. Dieses Denken führt uns meiner Ansicht nach weit über essentialistische Positionen hinaus. Vielleicht liege ich auch falsch – aber so sehe ich dieses Problem.
Demnächst in Teil 2: Männlichkeitsforschung als eigene Disziplin und Krisen-Manager.
Dieses Interview ist bereits in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift „an.schläge“ erschienen.