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Das Eigene im Anderen

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Während der  amtierende Bundespräsident Heinz Fischer gestern im Wiener MAK den Wahlkampfauftakt für seine mögliche Wiederwahl feierte, startete im Netz eine Intiative gegen seine Mitstreiterin.  Die „Wiener Frauen gegen Rosenkranz“, die sich als überparteiliche Plattform (initiiert von SP-Vizebürgermeisterin Renate Brauner) präsentieren, wenden sich gegen das „vorsintflutliche Frauenbild“ der Präsidentschaftskanditatin. Die FPÖ reagierte sofort und ließ verlauten, dass Barbara Rosenkranz „das Bild einer modernen österreichischen Frau mehr als jede andere verkörpere“, schließlich sei sie „eine berufstätige zehnfache Mutter, die all ihre großen Aufgaben privater und beruflicher Natur mit Bravour meistere“. (siehe Standard.at)

Tatsächlich entspricht der Lebensentwurf von Barbara Rosenkranz nicht unbedingt einem reaktionären Weltbild: Die FPÖ-Politikerin hat seit 2003 das Amt der Landesparteiobfrau in Niederösterreich inne, ist seit 2005 auch stellvertretende Bundesobfrau und hat ihre zehn Kinder ihrem Mann anvertraut, der sich um das Familienleben der „Karrierefrau“ kümmert. „Als ich dann mit 35 Jahren in den Landtag eingezogen bin, haben wir begonnen, unsere Arbeitsaufteilung flexibler zu gestalten. Mittlerweile hat mein Mann die Arbeit daheim zur Gänze übernommen“, erzählt sie im Interview mit der „Presse„. Dennoch widerstrebt Rosenkranz ihr eigenes Berufsleben offensichtlich so sehr, dass sie sich selbst noch immer als „Hausfrau“ bezeichnet. Und mit Hausfrauen setzt sie sich auch politisch auseinander. In der frauenpolitischen Version (Rosenkranz würde wohl eher Familienpolitik sagen) der nüchtern wirkenden Politikerin ist „Mütterlichkeit“ das zentrale Element, „den“ Feminismus bezeichnet sie als „Irrweg“.

Mehr noch, hinter „Gender Mainstreaming“, dem Versuch, die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen durchzusetzen, ortet Rosenkranz gar eine Verschwörungstheorie. In ihrem 2008 erschienenen Buch „MenschInnen“ (das in mehreren österreichischen Medien, z.B. in der Presse mit durchaus wohlwollenden Kritiken bedacht wurde) spürt sie „neomarxistischen“ Ideolog_innen nach, die am Entwurf des „geschlechtslosen Menschen“ arbeiten würden und deren Ziel es sei, ihr Weltbild der restlichen Gesellschaft aufzuzwingen. Vorangetrieben werde das Ganze von „sexuellen Randgruppen“ – also all jenen Menschen, die nicht ins rechtskonservative (bzw. rechtsextreme) Schema der Politikerin passen: Homosexuelle und Transgender Personen zum Beispiel. „Rechte für Gleichgeschlechtliche bis hin zur sogenannten Homo-Ehe werden deswegen so vehement gefordert, weil man so die Zweigeschlechtlichkeit und die ,Zwangsheterosexualität‘ weiter aufweichen und verwirren kann.“

Geschlecht ist für Rosenkranz Natur und Tatsache. „Die Gendertheorie, wonach das Geschlecht ausschließlich kulturell sowie sozial fixiert und ein Ergebnis von Erziehung ist, ist unwissenschaftlich und falsch. Es gibt selbstverständlich das biologische Geschlecht.“ Und Rosenkranz hat für ihre Ansichten empirische Beweise: „Meine Kinder hatten völlige Freiheit, aber ich habe eben die Erfahrung gemacht, dass dreijährige Buben keine Puppen anziehen oder füttern. Meine Buben hatten in diesem Alter ein eher ingenieurhaftes Interesse und haben die Puppen zerlegt.“ Ganz klar, „Mädchen ziehen sich eben gerne schöne Kleider an, und Buben wollen kein Prinzessinnenkostüm.“ Ja, Barbara Rosenkranz hat ganz offensichtlich sehr genaue Vorstellungen davon, was einen Mann und was eine Frau ausmacht. Fixe Geschlechtsidentitäten, von der Biologie (oder der „Natur“) vorgegeben, sollen in unserer Gesellschaft innerhalb einer  heterosexuellen Vereinigung aufeinander treffen (und sich bestenfalls vermehren).

Für ein solches Geschlechterbild erntet Rosenkranz in ihrer eigenen, männerdominierten Partei („weil in einer Oppositionspartei unseres Zuschnitts tätig zu sein, ein hartes Geschäft ist“) Beifall. Bekämpfen wir im Anderen vielleicht das Eigene? Das Unbewusste, das unheimliche Eigene? – Diese Frage stellte sich die Psychoanalyse zu Recht. Betrachtet man/frau Politiker_innen der FPÖ, ex-FPÖ BZÖ und FPK genauer, so finden sich gerade in diesen Reihen lebendige Beispiele für die Brüchigkeit und Uneindeutigkeit von Geschlechtsidentitäten. Wer schon einmal einen Auftritt von Barbara Rosenkranz verfolgt hat, der/die wird vermutlich nicht zu allererst die fromme, mütterliche Hausfrau gesehen haben. Und auch bei einem Vergleich von Heinz-Christian Strache, Herbert Haupt und Ewald Stadler fällt es schwer, einen einheitlichen Entwurf von „Männlichkeit“ zu finden. (Einer „natürlichen Männlichkeit“). Und die ist – selbstverständlich – heterosexuell. Wenig verwunderlich also, dass Stefan Petzner nicht mehr in den vordersten Reihen seiner Partei agiert. Homosexualität – die gibt es in der FPÖ (bzw. BZÖ) nicht, auch nicht nach Haiders Tod. „Die heterosexuelle Öffentlichkeit mag diese Offensichtlichkeiten nicht. Selbst wenn nun von Interviews geredet wird, in denen Petzner ihre schwule Beziehung bestätigt, darüber schrieb noch gestern in Österreich niemand, und zu sehen oder zu hören ist dieses Interview bisher noch nicht“, schrieb die „taz“ im Oktober 2008.

Jörg Haider selbst war ein schillerndes Beispiel der Uneindeutigkeit, wie ihn Robert Misik – ebenfalls in der „taz“ – porträtiert: „Haiders Magnetismus schuldete sich ja nicht im Geringsten seiner schillernden, widersprüchlichen Persönlichkeit, die immer auch mit Gesten des Erotischen spielte, aber auch mit der Uneindeutigkeit. Er hatte einen persönlichen Zauber, der offenkundig besonders auf Männer in ihren frühen Zwanzigern wirkte, die er um sich scharte und blutjung in höchste Ämter hievte – ‚Buberlpartie‘ nannte man diese Prätorianergarde.“

Wo findet er sich also, der „eindeutige“ Mann, wo die „eindeutige“ Frau, das Ideal der Barbara Rosenkranz – fernab der „sexuellen Randgruppen“? Oder existiert „es“ vielleicht gar nicht? Ist vielleicht jeden Tag aufs Neue sehr viel Arbeit nötig, um eine hierarchische Geschlechterordnung mit ihren zwei „eindeutigen“ (heterosexuellen) Geschlechtern aufrechtzuerhalten und zu legitimieren? Müsste sich Barbara Rosenkranz so sehr vor einem Angriff auf die heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit fürchten, wenn sie uns doch von der Natur aufgezwungen wird?
Ich werde am 25. April übrigens Heinz Fischer wählen.

Foto: Christian Jansky

Das „Eigene“ und das „Fremde“

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In diesem Semester habe ich ein Seminar belegt, in dem wir uns mit Männlichkeiten und Ethnizität auseinandersetzen müssen. Ich bin in der Werbungsgruppe gelandet und habe mich auf die Suche nach verschiedenen Spots mit sexualisierten Darstellungen gemacht. Fündig bin ich sogleich – wie könnte es anders sein – in der Welt des Fußballs  geworden. Seht euch die beiden Spots mit Didier Drogba und Cristiano Ronaldo an. Und vergleicht die Musik, die Kamerapositionen, die Schnitte, die Kleidung, Bildausschnitte. Ich denke, sie sprechen für sich selbst (ohne dass weitere Erklärungen notwendig wären).

Missbrauch, Kirche, Macht

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Sexueller Missbrauch und Macht sind untrennbar miteinander verbunden. „Sexueller Mißbrauch ist Gewalt in Machtstrukturen und kein Sex. Deshalb ist die Frage nach sexueller Gewalt nicht nur, aber zu aller erst, eine Frage nach der Macht“, schreibt Bastian Dietz im Leserartikel auf Zeit Online. Insofern bieten hierarchische Institutionen wie die Kirche, Schulen, Internate – und nicht zuletzt, sondern zu allererst die Familie –  den Nährboden für (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder, die auf Machtmissbrauch beruht.

In den unzähligen Medienberichten, die derzeit zu diesem Thema auftauchen, wird jedoch häufig mit Stereotypen gearbeitet, die die kriminellen Handlungen in einen falschen Kontext stellen oder haarsträubende Schlüsse nahelegen. Der Standard Online berichtete heute über Vorwürfe der psychischen und körperlichen Gewaltausübung bei den Florianer Sängerknaben in Oberösterreich: „Schläge, stundenlanges Stehen in der Ecke oder Knien vor dem Pult, wenn man geschwätzt habe. In den Unterkünften hätten ‚lagerähnliche‘ Zustände geherrscht“.

Und weiter wird aus der APA-Meldung zitiert:

„Der Präfekt habe die Kinder aber nie sexuell belästigt, denn er habe eine Freundin gehabt.“

Der Artikel erzählt uns also, dass der betroffene Geistliche die Sängerknaben nur deshalb nicht sexuell belästigt habe, weil er sich in einer (heterosexuellen) Beziehung befindet und es deshalb offensichtlich nicht nötig hat, seine „sexuellen Triebe“ an den Kindern zu befriedigen. In einem solchen Satz sind verschiedene Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht zu finden. Er zeichnet das Bild eines Mannes, der über einen „unzügelbaren“ Sexualtrieb verfügt und diesen an einem Objekt befriedigen muss, sei es eine Frau, oder eben ein Kind. Eine solche Vorstellung passt ebenso zu der Forderung, das kirchliche Zölibat abzuschaffen, um Kindesmissbrauch zu verhindern. Der Täter (es gibt natürlich auch einzelne Täterinnen, doch ich beziehe mich hier auf eine Vorstellung, die üblicherweise Männern zugeschrieben wird) wird so zum Opfer seiner Triebe stilisiert – eine solche Argumentation tritt auch in anderen Zusammenhängen auf: Immer wieder stoße ich auf die Aussage, dass Frauen die Prostitution zugute komme, da die Freier ohne die Möglichkeit des käuflichen Sex andere Frauen (Nicht-Prostituierte) vergewaltigen würden.
Auch wenn das Zölibat, wie Psycholog_innen anmerken, eine gestörte sexuelle Entwicklung begünstigen kann, würde dessen Abschaffung das Problem des sexuellen (Macht-)Missbrauchs wohl kaum aus der Welt schaffen.

Zugleich werden Frauen in einer solchen Vorstellung zu Objekten der sexuellen Erfüllung:  Der Artikel suggiert, dass die Freundin des Präfekten aufgrund ihrer sexuellen Beziehung zum Betroffenen seine „Triebenergie“ auf sich lenken und somit einen möglichen Kindesmissbrauch verhindern konnte.

Missbrauch und Gewalt, die sich gegen Schwächere richtet, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schon die Frauenbewegung der 70er Jahre zu einem ihrer wichtigsten Anliegen machte. Es muss als ein strukturelles Problem erkannt werden – ob in der Familie oder innerhalb der katholischen Kirche, die sich noch lange mit Machtmissbrauch, Hierarchie und Unterdrückung der Frauen auseinander zu setzen haben wird.

Australia: female/male/non-specified

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Australia may have made gender history this week, as the New South Wales government lays claim to being the first in the world to recognise an individual’s sex as officially “not specified”.

This milestone in the evolution of gender queer came about with the issuing of a ‘Sex Not Specified’ Recognised Details Certificate in place of a birth certificate to Norrie (also known as norrie mAy-Welby) a resident of Sydney.

(…)

In January 2010 doctors declared that they were unable to determine hir as either male or female as zie has no gonads, the hormonal system was not typically male or female, and Norrie’s psychological identity was neuter.“

Link

In den Medien

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Interessante Artikel aus den vergangenen Wochen:

„Eine Chimäre stellt die traditionelle Theorie der Geschlechtsentwicklung infrage“ schreibt Robert Czepel auf science.orf.at.  Neuer Stoff für Anne Fausto-Sterling: Biolog_innen suchen bei Hühnern jetzt nach der Geschlechtsidentität auf der Ebene der Zellen. Link

85 Prozent der abgelehnten Anträge auf Notstandshilfe in Österreich betreffen Frauen. Nachzulesen auf standard.at. Link

Tina Groll titelt in der „Zeit“: „Frauen müssen auf junge Väter setzen“ Link

Ebenfalls in der „Zeit“ berichtet Johanna Kutsche vom Männerkongress „Neue Männer – Muss das sein?“ Link

Im „Spiegel“ inspirierte der Kongress Jens Lubbadeh zum Text „Frau muss man sein!“. „Jungen müssen in der Schule ihre Körperlichkeit und Aggression einbringen können“ wird da unter anderem behauptet. Link

87 Prozent der Autor_innen auf Wikipedia sind Männer – darauf weist EMMA-Journalistin Susanne Patzelt in „Nichts wie rein ins Internet“ hin. Link

Die „taz“ lieferte zum Internationalen Frauentag Sonderseiten zum Thema Männer ab. Da wurde unter anderem vom „Neuen Mann“ als „scheues Reh“ berichtet. Link

Macho-Land Österreich

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„Macho-Land Österreich“ titelt das Nachrichtenmagazin „Profil“ in der aktuellen Ausgabe. Eva Linsinger und Edith Meinhart berichten, warum Österreich und Gleichberechtigung nicht zusammen passen: „Macho-Paradies Österreich: Die Gehaltsschere ist größer als im Rest der EU, die Zahl der Frauen in Führungsfunktionen sinkt, statt zu steigen. Das Land fällt immer weiter zurück – und niemand redet darüber.“
Armin Wolf merkt dazu per Twitter an: „Worüber dürfen die Frauen (im Profil) schreiben: Society (Raftl) und Frauen (Hammerl). Innen- u. Außenpolitik, Wirtschaft, Kultur: alles Männersache …“

Wie die Kronen Zeitung gestern berichtete, möchte der Verein „Arbeitslosenmafia“ bei der Wiener Wahl im Herbst antreten und seine Spitzenkandidatin angeblich per Miss-Wahl finden. Die „Miss Gemeinderat“ soll am 30. April gekürt werden. Das Anforderungsprofil: „Mindestens 20 Jahre alt, gute Umgangsformen, hohes Allgemeinwissen und österreichische Staatsbürgerschaft“.

Diestandard.at feiert am 8. März den 10. Geburtstag. Mit Podiumsdiskussion, Empfang und DJ-Kollektiv. Die Feier wird nicht öffentlich sein, diestandard verlost aber 10×2 Freikarten. Zum Gewinnspiel.

„Richtige“ Männer, abwesende Väter und Johnny Depp, Teil 2

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Und hier Teil 2 des Interviews:

Dein Buch trägt den Titel „Liminal Masculinities“ – Was kann man/frau sich darunter vorstellen und was war dein Forschungsinteresse daran?

Ursprünglich habe ich gedacht, dass es zu Männlichkeiten und Film noch sehr wenig Arbeiten gibt – aber ich musste feststellen, dass das gar nicht stimmt. Besonders zu historischen Aspekten, aber auch zu marginalisierten Männlichkeiten – also zur Frage: Wo werden im Mainstream-Kino bestimmte Männlichkeiten benachteiligt: schwule Männer, schwarze Männer oder Männer aus der dritten Welt zum Beispiel. Aber für mich war dann die Frage spannend, wo diese Trennlinie zwischen einer normativen Männlichkeit und einer ausgegrenzten Männlichkeiten verläuft. So habe ich „liminale Männlichkeit“ für mich definiert – wo liegt die Grenze zwischen „richtigem“ und nicht „richtigem“ Mann. Ich habe also wirklich subordinierte Männlichkeiten außer Acht gelassen und mich mit der Grauzone beschäftigt.

Das ist zum Beispiel beim jugendlichen Mann so – ein Junge ist noch kein „richtiger“ Mann und hat innerhalb des Systems der Männlichkeiten einen anderen Status. Oder auch ein alter Mann zum Beispiel ist kein „richtiger“ Mann mehr. Das weiß man auch aus den Disability Studies: Aus simpler psychoanalytischer Sicht nehmen wir an, ein Mann ist kein richtiger Mann mehr wenn er seinen Penis verliert. Aber auch beim Verlust eines Beines oder Armes, oder bei geistiger Behinderung wird die Männlichkeit gesellschaftlich in Frage gestellt. Es zeigt sich also, dass normative Männlichkeit nicht eine scharfe Grenze aufweist, sei es zur Weiblichkeit oder zu „unmännlichen“ Männlichkeiten.

In diesen Grauzonen der normativen Männlichkeit liegt glaube ich großes Veränderungspotential. In meinen Arbeiten habe ich ja auch immer ein politisches Interesse an der Veränderung und in diesem Sinne habe ich das Projekt angelegt. Also ich denke, wir werden nie ganz wegkommen von normativen Konzepten, aber man kann sie erweitern oder verschieben oder neue zulassen. Sodass zum Beispiel gewalttätige Männlichkeiten nicht mehr als normativ gesehen werden, sondern etwa „weiche“ Männlichkeiten.

Um noch einmal auf die Frage der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten zurückzukommen: Ein deutscher Psychologe schreibt in seinem Buch „Der männliche Habitus“: „Nichts liegt Männern mehr fern, als sich selbst und ihre Lebensweisen zu hinterfragen und sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu machen.“ Würdest du diesem Befund zustimmen?

Nun, das würde mir natürlich schmeicheln, nachdem ich es gemacht habe… (lacht). Also als historischen Befund kann man es schon sagen, es ist teilweise erst durch Druck  entstanden. Wenn Männer vorher über Film reflektiert haben, haben sie über den Film reflektiert und dabei  schon auch über ihre Männlichkeit reflektiert, aber nicht bewusst. Etwas Ähnliches hat ein anderer Wissenschafter gesagt: Wenn man sich als Mann mit Männlichkeit auseinandersetzt, in einem akademisch-theoretischen Sinne, dann kommt es zu einem Gender-Vertigo, einem Gender Schwindel, einer großen Verwirrung und Unsicherheit – und das habe ich selbst empfunden.

Also ich würde nicht sagen, dass es für Frauen leichter ist, weil es da andere Schwierigkeiten gibt – aber für Frauen liegt in der feministischen Arbeit die Möglichkeit, Muster zu durchschauen, die ihnen schaden und sich dadurch dagegen zu positionieren. Eine der Hauptschwierigkeiten liegt glaube ich darin, mit dieser Analyse umzugehen und nicht in Depression oder Verzweiflung zu verfallen, weil noch so viel zu tun ist und in der Gesellschaft aber vermittelt wird: Da ist eh nichts oder jetzt ist eh alles gut.

Bei Männern kommt hinzu, dass man sich in ein Feld begibt, das natürlich sehr kritisch gegenüber Männlichkeit ist und sein muss. Und wenn man das ernst nimmt, ist es natürlich selbst sehr in Frage stellend. Deshalb verstehe ich dieses Zitat. Also ich denke, er meint bestimmt die Kritik an patriarchalen Zuständen. Aber wenn ich das aus meiner Erfahrung anschaue, denke ich mir: Ja, ich weiß schon, warum ich gezögert habe, warum es manchmal schwer ist und warum es nicht mehr Männer tun. Im Prinzip ist es schwer, ja. Es braucht eine gewisse Überwindung.

Gender Studies sind mittlerweile – wenn auch nicht institutionell –  an den österreichischen Universitäten angekommen. Lehrangebote zur Männlichkeitsforschung gibt es dennoch kaum. Glaubst, dass es sich hier wieder um eine zeitverzögerte Entwicklung handelt, oder könnte es dafür andere Gründe geben?

Also die grundsätzliche akademische Struktur in Österreich – die sich jetzt verändert – ist etwas träger als etwa die US-Amerikanische. In den USA hat man einfach früh, wenn ein Thema gesellschaftlich präsent war, dazu ein Department gegründet und man hat aber auch Departments wieder zugesperrt. Hier ist das aber extrem schwierig. Dazu gab es die Strategie in Österreich, nicht Gender Studies Departments zu gründen, sondern Koordinationsstellen für Frauenforschung – um eine „Ghettobildung“ zu vermeiden.

Mittlerweile fährt man eine Doppelstrategie und versucht doch zu institutionalisieren, was auch seine Vorteile hat. Mit den neuen Gender-Programmen kommen jetzt erst die Überlegungen, was alles Platz finden muss und Queer Studies sind hier schon sehr relevant, Männlichkeit wäre für mich ebenfalls ein interessanter Aspekt. Aber es besteht dann auch die Gefahr, dass Männer diesen Bereich okkupieren. Deswegen mache ich meine Forschung in die selbe Richtung, aber ich bringe mich in Gender Studies nur ein, wenn ich angefragt werde, weil ich nicht versuche, die Positionen zu besetzen.

Ich kann es eigentlich nicht wirklich sagen, vielleicht nimmt das auch schon ab. Also derzeit gibt es schon noch sehr viel Forschung zu Männlichkeit, aber eine Zeit lang ist das neu, the cool thing, und das war Männlichkeit und Film auch und dann ist es irgendwann nicht mehr so und dann wird weniger dazu publiziert und dann findet es auch nicht mehr so leicht einen Platz in den Programmen.

Zu einer aktuellen Diskussion: Buben schneiden im Vergleich zu Mädchen im österreichischen Bildungssystem immer schlechter ab  – werden sie in einem angeblich „weiblichen“ System benachteiligt?

Persönlich sehe ich das nicht, nicht in einer Art wie die gesamtgesellschaftliche strukturelle Benachteiligung von Frauen. Wenn die Buben im Unterricht so massiv benachteiligt werden würden – das wäre dann ja schon sehr lange, Frauen sind nicht erst seit ein paar Jahren im Lehrberuf vertreten – dann müssten die ganzen Managementpositionen schon längst von Frauen besetzt sein.
Es kann sicher sein, dass grundlegende Bedürfnisse von Buben, wobei ich jetzt nicht meine als Buben, sondern als Kinder, in einem offenen breiten Feld nicht genügend berücksichtigt sind, aber da würden auch alle feministischen Ansätze dafür sein, Buben in der Erziehung eine Vielzahl von Möglichkeiten zu eröffnen.

Wer sich mit Geschlecht auseinandersetzt, hat oftmals mit sehr negativen Reaktionen zu rechnen – ob im persönlichen Umgang oder in Internet-Foren. Ist dir das auch schon passiert?

Mir hat einmal jemand gesagt – weil ich mich über ein Posting aufgeregt habe: “ Diese Postings darf man nie lesen…“ Es ist einfach eine ganz spezifische Publikationsform, wo sich unter anderem Menschen mit enormer neurotischer Energie Luft machen.

Ich war auch lange in einer Diskussionsliste zu Männlichkeitsforschung und da waren feministische Männer dabei, aber auch sehr viele, für die das ein starkes Thema ist, aber sie enorm verunsichert und die dann schnell untergriffig werden. Und wenn man mit denen in eine Diskussion einsteigt, ist der Endpunkt oft nur, dass sie auf rein biologistische Argumentationen rund um die Fortpflanzung zurückgreifen. Wenn die glauben, dass man wirklich sämtliche Gender-Aspekte in unserer Gesellschaft darauf zurückführen kann, dann wird man ihnen das nicht ausreden können. Ich habe mich dann irgendwann von diesen Listen abgemeldet, es ist vielleicht nicht sinnvoll, sich auf Diskussionen mit solchen Leuten einzulassen. Man verschwendet seine Energie und irgendwann frustriert es einen dann. Ein Burnout hilft niemandem weiter.

Was werden deine nächsten Forschungsprojekte sein?

Im Moment sind es zwei Hauptprojekte. Ich habe mir überlegt, mal von Gender wegzugehen, mich mit etwas zu beschäftigen, das mir nicht so nahe geht. Und das sind amerikanische Ikonen, ikonische Figuren wie John Wayne oder Marylin Monroe, da interessiert mich die Frage, wie in der Bilderflut bestimmte Bilder herausragend werden.

Und das zweite Thema, das mich sehr stark interessiert, sind Vater-Tochter-Verhältnisse. Im Film, aber auch in Selbsthilfe-Büchern und Ähnlichem. Dieses Verhältnis ist sowohl in der Repräsentation, als auch in der akademischen Aufarbeitung unterbeleuchtet. Vater-Sohn-Verhältnisse sind immer schon behandelt worden und feministische Analysen haben sich sehr stark für die Mutter-Tochter Verhältnisse interessiert, aber Mutter-Söhne und Vater-Töchter Verhältnisse sind unterbeleuchtet. Und wie immer merkt man auf den zweiten Blick, dass doch schon einiges vorhanden ist, vor allem das Thema Missbrauch schwingt oft ganz stark mit. Eigentlich wollte ich einen positiven Zugang versuchen – eine Modellbildung für positive Vaterschaft. Da spielt natürlich mein persönliches Interesse hinein, weil ich selbst zwei Töchter habe.

In ganz vielen Filmen ist es so, dass ein Vater seine Aufgabe ein Leben lang verbocken kann, er nicht da ist, oder seine Tochter vollkommen ignoriert, oder sonst irgendwie ein furchtbarer Vater ist. Und später gibt es einen Wandel oder er tut nur einen positiven Schritt und auf einmal ist alles wieder ok. Alles ist ganz schnell wieder in Ordnung – das vermittelt so ein Bild, als ob es irrelevant wäre, einen Vater zu haben, wenn es reicht, einmal mit siebzig etwas Nettes zu sagen. In den Filmen sind die Väter zwar total wichtig, aber sie müssen nichts dafür tun. Es wird nicht so dargestellt, als ob Vatersein wirkliche Arbeit wäre und Hingabe erfordert.

Kurzbio von Klaus Rieser:

Klaus Rieser ist ao. Univ. Prof. am Institut für Amerikanistik der Universität Graz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Film, Gender, Ethnizität und Cultural Studies. Speziellere Forschungsschwerpunkte innerhalb dieser Gebiete umfassen die Darstellung von Migration im Film und deren kulturelle Signifikanz; Männlichkeit im Film (Habilitation 2006), sowie derzeit US-Amerikanische Ikonen. Er ist Leiter des Instituts für Amerikanistik, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien, und Mitherausgeber der Reihe „American Studies in Austria“.
Online-Visitenkarte von Klaus Rieser

Das Buch: Borderlines and Passages. Liminal Masculinities in Film. Aus der Reihe „Arbeiten zur Amerikanistik“. Essen: Die Blaue Eule 2006.

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