Gender Studies gehören in die Öffentlichkeit – unter diesem Motto steht die „Denkwerkstatt“. Um der Forderung gerecht zu werden, soll hier in Zukunft die Arbeit von Wissenschafter_innen, die sich mit Geschlechterforschung auseinander setzen, präsiert werden. Den Anfang macht ein Interview mit dem Filmwissenschafter und Amerikanistik-Professor Klaus Rieser. Klaus Rieser leitet das Institut für Amerikanistik an der Universität Graz, seine Habilitationsschrift hat er dem Thema Männlichkeiten im Film gewidmet. Neben der Kategorie Geschlecht interessiert er sich besonders für Ethnizität und die Darstellung von Migration im Film. Hier das Interview mit dem sympathischen Wissenschafter, Teil 1:
Du hast dich als Filmwissenschafter unter anderem auf Geschlecht und Ethnizität spezialisiert und zuletzt ein Buch zu Männlichkeiten im Film veröffentlicht. Wie ist es dazu gekommen, dass du dich für Geschlecht und Männlichkeit interessierst?
Ich habe einmal eine Aussage von einem Männlichkeitsforscher gelesen, dass es für Männer, die sich mit Feminismus bzw. Geschlechterforschung auseinandersetzen, zwei Königswege in diese Disziplin gibt: Entweder man ist schwul oder man hat eine feministische Freundin/Frau (lacht). Und das stimmt wohl wirklich zu 99,9 Prozent.
Bei mir ist es in gewissem Sinn beides. Also einerseits bin ich über verschiedene Frauen und dann eine langjährige Partnerschaft mit dem Thema in Berührung gekommen, es wurden bei mir selbst blinde Flecken zur Männlichkeit im Patriarchat aufgedeckt. Und andererseits habe ich mich schon davor im Privaten mit Männlichkeit auseinandergesetzt. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in Männer verlieben kann, bin aber dadurch relativ schnell bei mir selbst auf eine Homophobie gestoßen – also es gab Verliebtheit auf einer emotionalen Ebene, aber Angst vor Homosexualität als Sexualität.
Und mein Interesse war dann diese Abgrenzung – was gibt es an real lebbarer und spürbarer Bisexualität, wie drücke ich meine Männlichkeit aus und wie will mich von bestimmten Modellen distanzieren. Darin liegt schon eine Chance für Männer, Männlichkeit ist ein ziemlich enges Korsett. Sicher liegt das Hauptproblem patriarchaler Männlichkeitskonstruktionen gegenüber Frauen und Homosexuellen, aber auch für heterosexuelle Männer ist für mich spürbar gewesen: Das schränkt mich ein. Ich war dann auch in Männergruppen, die sich ähnlich wie Frauengruppen in den 70er Jahren später in den 80er und 90er Jahren entwickelt haben. In der Literatur wird ja oft gesagt: Das ist ein konservatives Eck und progressive Männlichkeitsforschung ist etwas anderes, aber in meinem Erlebnis war das sehr durchmischt. Es gab das Bestreben, die eigene „ursprüngliche“ Männlichkeit zu finden, aber dadurch wurde hinterfragt, was das überhaupt sein soll.
Auf der wissenschaftlichen Ebene war es eben so, dass ich mich für Film interessiert habe und die feministische Filmtheorie das zentrale Paradigma in der Filmwissenschaft ist.
Warum ist der Einfluss feministischer Theorie in der Filmwissenschaft so stark? Was unterscheidet die Filmwissenschaft hier von anderen Disziplinen?
Das hat glaube ich damit zu tun, dass die Filmwissenschaften im Sinne einer Institutionalisierung ungefähr zeitgleich mit einer Akademisierung des Feminismus entstanden sind. Zu dieser Zeit waren feministische Theorien stark präsent, es gab innerhalb der feministischen Wissenschaft einen enormen Theoretisierungsschub. Und auch in der Filmwissenschaft hat man sich eher semiotischen und psychoanalytischen Konzepten zugewandt, man ist der Frage nachgegangen, wie Film auf Zusehende und damit auf Gesellschaft wirkt. Film reflektiert nicht nur Realität, zusammen mit anderen Diskursen kreiert er Realität. Bei der Analyse des Subjekts, das durch die Zuseher_innenposition geschaffen wird, liegt es nahe, sich anzusehen, wie diese Position im Sinne von Gender konstruiert wird. Und für diese Frage haben sich sehr viele Frauen interessiert.
Zu Beginn deines Buchs zu Männlichkeiten im Film schreibst du: „Films have a deep impact on gender reality.“ Wie kann man/frau sich das vorstellen?
Wenn wir annehmen, dass unsere Geschlechterrealität, so wie wir sie erleben, Praktiken sind – Alltagpraktiken: Bewegungen, wie wir unseren Körper empfinden, ob wir weinen können oder nicht und wenn, wann und wie wir uns kleiden… Diese Praktiken entnehmen wir wieder aus Repräsentationsformen wie dem Film. Diese sind dort natürlich extrem ideologisch geformt und gefiltert. Beim Film und anderen massenmediale Produkten, die sehr kapitalintensiv sind und die für eine große Menge an Menschen bestimmt sind, gibt es Überlegungen wie: Ist das der Gesellschaft zumutbar? Können sie da schon mitgehen? Und Interessen, die von Personen mit größerem Einfluss vertreten werden, schlagen sich stärker durch.
Deshalb sind Filme und andere Repräsentationsformen dann das, wo etwas, das sich gesellschaftlich vielleicht schon verändert hat, noch einen Prozess durchläuft, teilweise mit großem impact. Also weil ich das Plakat hier gerade sehe: „Brokeback Mountain“ ist zum Beispiel ein totales Mainstreamen von homosexueller Liebe und Sexualität, das plötzlich sehr viele Menschen erreicht.
Wie erklärst du dir den Erfolg von „Brokeback Mountain“?
Extrem geschicktes Marketing (lacht). Also der Film basiert schon auf einer hervorragenden Kurzgeschichte. Und es gab dann Leute, die sich dahinter geklemmt haben, den Film zu produzieren – es wurde sehr lange niemand gefunden, der diesen Film machen wollte. Aber schließlich gab es dann ein gutes Drehbuch, einen sehr guten Regisseur – und der hat das äußerst geschickt angelegt.
Der Film ist ja einer der erfolgreichsten Filme im Western Genre. Und natürlich auch einer der erfolgreichsten Filme, die sich mit Gender und Queerness auseinander setzen. Aber eben auch im Western und im Genre der Romantischen Liebe. Auch in der Publikums-Zusammensetzung war er zum Beispiel bei älteren Frauen in konservativen Gegenden der USA sehr erfolgreich. Diese Geschichte der tragischen Liebe hat sie angesprochen – nur eben mit diesem neuen Aspekt. Natürlich wurde das aber auch sehr geschickt vermarktet. Der Regisseur hat in allen Interviews den schwulen Aspekt runtergespielt. Auch der Slogan „Love is a force of nature“ – „Liebe ist eine Naturgewalt“ ist sehr allgemein gehalten und da sind diese wunderschönen Naturaufnahmen – es gibt aber auch sehr viele Widersprüche, um diese geht es im Film ja auch.
Werden Männlichkeiten in Hollywood-Filmen differenzierter dargestellt als noch vor 30 Jahren?
Ja, differenzierter auf jeden Fall. Meine These zu der Funktion von Hollywood ist schon eine kritische – natürlich ist eine Differenzierung in Avantgarde-Filmen, in Experimentalfilmen, im weltweiten Kino viel früher passiert. Aber die erstaunliche Rolle von Hollywood ist eben das Mainstreamen von Neuem und von vorher noch als sehr subversiv geltenden Diskursen. Und da hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren in keinem Bereich so viel getan wie in der Darstellung von Homosexualität. Ich glaube, fünf Jahre vor „Brokeback Mountain“ hätte sich niemand zu sagen getraut, dass so ein Film – es kommt ja auch eine Analverkehr-Szene darin vor – zu den Oscars kommt, schon gar nicht, dass er als der große Oscar-Gewinner gehandelt wird. Und das passiert dann doch immer wieder.
Und das ist natürlich nur ein Beispiel. Also die Darstellung zum Beispiel von weicher Männlichkeit oder effeminierter Männlichkeit und von größeren Varianten von Männlichkeit hat zugenommen, würde ich sagen. Es war auch früher schon viel mehr da, als man jetzt vermuten würde. Es geht eher darum, wie sie jetzt ideologisch eingebunden sind und was Star-Status erreichen kann. Es wäre wahrscheinlich schwierig, einen Johnny Depp Charakter in älteren Filmen zu finden. Außer im komischen Bereich vielleicht, aber im Ernsthaften sind das neue Aspekte.
Was ist ein Johnny Depp Charakter?
In dem Sinne, dass es deutlich männliche und deutliche Queer-Aspekte gibt. Und auch deutliche Aspekte, die sonst als weiblich gegolten haben und vor allem den männlichen Aspekt unterwandert hätten. Das wäre nicht aufgegangen. Das wäre in diesem Sinne nicht akzeptiert worden, außer eben vielleicht bei einem Jerry Lewis, bei einer komischen Figur, wo aber die Komik darin liegt, dass das nicht zusammen passt. Bei Johnny Depp passt das aber mittlerweile zusammen. Und hinzu kommt eine Form der Selbstreferenzialität – es schwingt mit: Ich weiß, ich spiele jetzt mit diesen Elementen, ich bin diese zusammengesetzte Figur. Und anstatt einer Brüchigkeit wird es spielerisch. Diese Offenheit und Fluidität, die glaube ich grundsätzlich in allen Menschen und Genderformen ist – also dass sie performativ sind und nicht eingegrenzt werden können, obwohl sie medial so gezeigt werden – das spiegelt sich in der Figur Johnny Depp wider.
Kurzbio von Klaus Rieser:
Klaus Rieser ist ao. Univ. Prof. am Institut für Amerikanistik der Universität Graz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Film, Gender, Ethnizität und Cultural Studies. Speziellere Forschungsschwerpunkte innerhalb dieser Gebiete umfassen die Darstellung von Migration im Film und deren kulturelle Signifikanz; Männlichkeit im Film (Habilitation 2006), sowie derzeit US-Amerikanische Ikonen. Er ist Leiter des Instituts für Amerikanistik, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien, und Mitherausgeber der Reihe „American Studies in Austria“.
Online-Visitenkarte von Klaus Rieser
Morgen: Teil 2 des Interviews. Klaus Rieser spricht darüber, warum Männer sich nicht gerne selbst beforschen, warum man/frau Postings nicht lesen sollte und über Modelle für positive Vaterschaft.