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Gewalt-Ballade

G

Zugegeben, was (MTV-) Popmusik betrifft, bin ich nicht gerade auf dem neuesten Stand. Deshalb kannte ich auch bis vor einigen Wochen den Gassenhauer „Love the Way You Lie“ von Eminem und Rihanna nicht. Untergekommen ist mir der Song schließlich auf Youtube, wo er seit der Veröffentlichung im vergangenen August unglaubliche 250 Millionen Mal aufgerufen wurde.

Welche Geschichte in dieser „Rap-Ballade“ (wie nennt man denn so ein Werk, Musikjournalist_innen, bitte weiterhelfen!) erzählt wird, ist mir erst beim zweiten Mal Hören aufgefallen. Angeblich ist es die Geschichte einer schwierigen Beziehung, einer „Hassliebe“. „The rapper wrote his new single with featured singer Rihanna in mind, and he chillingly alludes to her troubled relationship history in his rhymes“, schreibt Billboard.com. „Her troubled relationship“ ist vermutlich den meisten von euch aus den Medien bekannt: Ihr Exfreund Chris Brown verprügelte die Sängerin mehrfach, bis er schließlich vor Gericht landete.

Die Aufarbeitung einer gewaltätigen Beziehung kommt in „Love the Way You Lie“ jedoch äußerst zweifelhaft daher.
„All I know is
I love you too much
To walk away though
Come inside
Pick up your bags off the sidewalk
Don’t you hear sincerity
In my voice when I talk
Told you this is my fault
Look me in the eyeball
Next time I’m pissed
I’ll aim my fist
At the dry wall“,
rappt Eminem reuemütig, während im Video ein junges Paar gezeigt wird, dessen Streit in körperlicher Gewalt endet:

Doch schon in der nächsten Szene liegen sich die beiden wieder in den Armen, trotz aller Probleme können sie nicht voneinander lassen. „True love hurts“, lautet hier die Botschaft, kritisieren amerikanische Blogger-Kolleginnen. Verstärkt wird dies durch Rihannas Part, sie singt im Refrain:
Just gonna stand there
And watch me burn
But that’s alright
Because I like
The way it hurts
Just gonna stand there
And hear me cry
But that’s alright
Because I love
The way you lie
I love the way you lie.“


Nun gut, das Ganze könnte man auch als selbstkritische Aufarbeitung mit Bezug zur Realität einstufen – auch Rihanna kehrte zu ihrem gewalttätigen Freund zurück, bevor sie sich endgültig von ihm trennte. Der Song endet jedoch mit folgender Pointe:
„If she ever tries to fucking leave again
I’mma tie her to the bed
And set the house on fire.“
Somit wird auch klar, warum Rihanna im Video vor einem brennenden Haus steht – der Bezug zum realen Leben fällt hier jedoch zu grausam aus, immerhin passiert es tatsächlich immer wieder, dass Ehemänner das Haus ihrer Familie oder gar ihre Frau anzünden, etwa weil diese sie verlassen wollte (Berichte z.B. hier und hier). Insofern wird Rihannas Refrain dann doch irgendwie brutal zynisch und der Song zur Gewalt-Ballade. Oder verstehe ich da etwas falsch? „Ultimately, the song was something Rihanna felt was in line with her past relationship. ‚The lyrics were so deep, so beautiful and intense. It’s something that I understood, something I connected with“, sagt Rihanna.

Links der Woche

L

„Wie Medizin, Verantwortungsdiskurse und Naturalismus stillunwillige Frauen moralisch erdrücken“ – unter diesem Titel hat Ina Freudenschuss eine Reportage für „Malmoe“ verfasst. Nachzulesen auf diestandard.at

2022 findet die Fußball-WM in Qatar statt, ein Staat, in dem Homosexualität illegal ist. FIFA-Boss Sepp Blatter  reagierte auf die Frage nach möglichen Problemen aufgrund des Verbots folgendermaßen: „I’d say they [gay fans] should refrain from any sexual activities.“ Wahrlich kein lustiger „Scherz“, auch wenn die anwesenden Journalist_innen bei der Pressekonferenz in Gelächter ausbrachen. Bericht und Video auf BBC Sport.

Am 19. März 2011 wird (in Wien) bereits zum 100. Mal der Internationale Frauentag begangen. Zu diesem Anlass suchen die „Strickistinnen“ 100 Frauen, die im Rahmen einer Guerilla Knitting Aktion den Weg der ersten Frauen-Demonstration in Wien „einstricken“. Nähere Informationen zum Projekt von Antonia Wenzl und Betina Aumair findet ihr auf dem „Knitherstory“- Blog.

Auch wenn ich die Denkwerkstatt in den vergangenen Wochen etwas vernachlässigt habe, war ich doch in meiner Rolle als Gastbloggerin beim Missy Magazine produktiv. Meine Beiträge über die Wikileaks „Sexfiles“, den angeblichen „Gebärstreik“ in Mitteleuropa und Serien-Tipps findet ihr hier: Gastblog Denkwerkstatt

Montag

M

In Russland fand am Wochenende erstmals eine von den Behörden genehmigte Homosexuellen-Parade statt. Bei der Veranstaltung in St.Petersburg wurden die Teilnehmer_innen von Gegendemonstrant_innen angegriffen. Link

Eine besonders erschreckende Job-Anzeige hat Rochus Wolff vom Genderblog gefunden: Gesucht werden Kreative oder rothaarige, bisexuelle Praktikantinnen.

In der „Zeit“ haben sich mehrere Autor_innen mit der Diskriminierung von Frauen in Österreich auseinandergesetzt:  Die Reportage „Das benachteiligte Geschlecht“ schildert die offensichtlichen und weniger offensichtlichen Barrieren, auf die Frauen im Job und im Privatleben stoßen: Link (via Susanne Zöhrer)

Am 25. November wird der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ begangen. Auf der Mädchenmannschaft findet ihr Veranstaltungstermine in Deutschland und Österreich.

„How to cure a feminist“ – unter diesem Titel wurde 2003 tatsächlich ein Artikel in der Zeitschrift „Maxim“ veröffentlicht. „Turn an unshaven, militant, protesting vegan into an actual girl.“ Link (via Mädchenblog)

Der neueste Beitrag von „Feminist Frequency“ führt uns die furchtbaren Werbestrategien der Spielzeugindustrie vor Augen:

Ein Glas Prosecco

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Frauen und Männer essen anders, war jüngst auf diestandard.at zu lesen. Verzicht und Gemüse auf der einen Seite, Lust und dicke Steaks auf der anderen, so lautet angeblich die geschlechterspezifische Formel. Die Tatsache, dass auch Lebensmittel ein Geschlecht haben, wird mir bei jedem Restaurantbesuch aufs Neue bewusst. „Für die Dame ein Glass Prosecco und für den Herrn vielleicht ein kleines Bier?“ – die Vergeschlechtlichung beginnt spätestens beim Aperitif.

Als ich bei meinem letzten Ausflug in die Sterne-Gastronomie das Schokoladen-Dessert wählte, zwinkerte mir der Kellner zu und meinte: „Natürlich, Schokolade.“ Dass meine männliche Begleitung den Käse verweigerte und ebenfalls zur Schokolade griff, brachte offensichtlich sein Weltbild ins Wanken. Auch die Weinkarte bekommt grundsätzlich immer mein Partner überreicht, dass ich diesbezüglich über mehr Kompetenzen verfüge, wird entweder argwöhnisch oder milde lächelnd zur Kenntnis genommen.

Und warum sind Weinkellner eigentlich immer Männer? Nun ja, die sind schließlich Experten. Weinseminare boomen, wer den richtigen Tropfen zum Hirschkalbsrücken mit Speck-Schalotten empfehlen kann, hat Respekt verdient. Frauen tragen die Teller, Männer beraten die Gäste. Je mehr Hauben sich ein Restaurant erkocht hat, umso mehr Männer arbeiten im Service. Und das, obwohl in Österreich viel mehr Frauen in der Gastronomie beschäftigt sind. Bierzelte, StudentInnencafés und einfache Wirtshäuser sind Frauensache, Männer stehen hinter der Bar und hantieren mit dem Cocktail-Shaker oder referieren in Edelschuppen über Entenleberpralinen.

Ganz zu schweigen von den Küchen, die sich fest in den Händen der männlichen (!) Meisterköche befinden. „Für Frauen ist dieser Beruf wahrscheinlich zu hart“, verkündete unlängst ein solcher auf irgendeinem deutschen TV-Sender. „Männer stellen sich einfach gerne dort in die erste Reihe, wo es Ruhm und Anerkennung zu ergattern gibt“ – so oder so ähnlich versuchte eine Gourmetkritikerin das Phänomen der jungen Helden am Herd zu erklären. Vielleicht ist die Gastronomie aber auch nur ein weiteres, beliebiges Beispiel für die geschlechtliche Segregation, die jedem Grand Cru Classé einen bitteren Nachgeschmack verleiht.

Porno-Ästhetik

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Da soll noch einmal jemand sagen, die Populärkultur wäre bereits von der Pornographie durchdrungen.
Die folgende Werbekampagne stammt aus dem Hause „Suitsupply“, einem holländischen Herrenausstatter. Ja, da berichtet sogar die Bildzeitung Online darüber und schreibt: „Diese Mode-Kampagne war Facebook zu sexy.“

Bei diesem Bild handelt es sich um ein verglichen harmloses Sujet der „Shameless“ Kampagne. Wie war das noch einmal? „Konsumentinnen und Konsumenten werden nicht mehr zum Kauf angeregt, sondern zur Übernahme eines bestimmten Lifestyles, zur Übernahme dominanter Rituale, wobei das Produkt als deren unabdingbarer Teil akzeptiert werden soll.“ (Matthias Marschick – Definition moderner Werbung in „Verdoppelte Identitäten“)

„Suitsupply is committed to doing business in an ethical and sustainable manner“, ist übrigens auf der Website des Unternehmens zu lesen.

Jungs spielen Fußball

J

Die deutsche Familienministerin Kristina Schröder hat dem Spiegel ein skandalträchtiges Interview gegeben – auf der Mädchenmannschaft und dem Mädchenblog wurde der Text bereits treffend analysiert. „Ministerin Schröder rechnet mit Feminismus ab“ freut man sich da in der Redaktion des Nachrichtenmagazins. Schließlich wird Alice Schwarzer kritisiert und darauf hingewiesen, dass Partnerschaft (mit einem Mann!) und Kinder doch glücklich machen (was „der“ Feminismus schließlich ablehnt, wie wir alle wissen).

Was sich die konservative Nachfolgerin von Ursula von der Leyen ebenso wünscht, ist ein künftiger Schwerpunkt auf Jungen- und Männerarbeit. Stichwort: Bildungsverlierer junge Männer. Die größten Probleme in der Schule hätten heutzutage nämlich die Jungs aus bildungsfernen Schichten. Da hat Schröder nicht unrecht: Rein statistisch gesehen liegen Mädchen und Jungs was den Schulerfolg betrifft im Durschnitt und an der Spitze in etwa gleich auf, doch im untersten Bereich sind Buben zahlenmäßig sehr viel stärker vertreten.

Ein Männlichkeitsforscher und ehemaliger Lehrer, bei dem ich in diesem Semester einen Kurs besuche, versuchte das Problem neulich folgendermaßen auf den Punkt zu bringen: Im familiären Umfeld bildungsferner Schichten passen Vorstellungen von Männlichkeit und Lernen nicht zusammen – bei Mädchen sieht das anders aus. Was konservative Politikerinnen wie Kristina Schröder uns jedoch nahe legen, ist nicht das Aufbrechen von engen Geschlechterrollen durch eine gendersensible Pädagogik, sondern das Zementieren jener Rollenkorsetts. Mädchen interessieren sich für Ponys und Schmetterlinge, Jungs buchstabieren dann richtig, wenn beim Diktat eine Fußball-Geschichte verhandelt wird.

Solche biologistische Fehlschlüsse sind Thema zahlreicher Parodien im Netz: Das „Boys Game“ Schach wird etwa dann für Mädchen interessiert, wenn die Schachfiguren rosa Kleider tragen und nach Erdbeeren duften. Auch „Mädchen in die Technik“ Programme reproduzieren immer wieder Geschlechterklischees, anstatt die Verknüpfung von Technik und Männlichkeit(en) zu dekonstruieren. Dass solche Strategien nicht von Erfolg gekrönt sind, verwundert kaum.

Auch das immer wieder zitierte Klischee, dass die Schule grundsätzlich ein „weibliches System“ sei, ist wenig haltbar: Vieles, was nach wie vor zur Struktur des Schulalltags gehört, ist dem Militär nachempfunden, Buben beanspruchen in den Schulstunden mehr Redezeit und besetzen einen Großteil des physischen Raums (laut einer deutschen Studie ist das Verhältnis der Raumaufteilung zwischen Jungen und Mädchen in etwa 10 zu 1). Stillsitzen und brav sein, das entspreche dem „Naturell“ der Mädchen, die in der Schule die besseren Noten bekommen, lassen die Konservativen immer wieder verlauten. Dass gerade diese Verhaltensweisen von den Pädagoginnen und Pädagogen gefördert werden – daran wird nicht gedacht. Und oft sind es die selben Menschen, die den Mangel an weiblichen Führungskräften mit der fehlenden Durchsetzungskraft von Frauen begründen.

Was also fehlt, sind neue Männlichkeitsentwürfe, die sich mit Büchern und Neugier, mit kommunikativer Kompetenz und Einfühlungsvermögen vereinbaren lassen. Entgegengesetzte Bilder sind nach wie vor allgegenwärtig: Männliche Helden in Film und Fernsehen verlassen sich auf ihre Muskelkraft, brechen die Schule ab und erhalten als Belohnung schlussendlich die schöne Prinzessin. Vielleicht bangen manche Politiker_innen jedoch gerade um dieses (vom Feminismus bedrohten!) Ideal des dominanten Ernährers. Da bleibt nur der fromme Wunsch, dass in der (viel zu spät) aufkeimenden Debatte um Männlichkeiten endlich auch progressive Stimmen gehört werden.

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