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Vergewaltigungsmythen

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Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender Studies bzw. feministische Wissenschaft zu kommunizieren. Susen Werner, Diplom-Psychologin, hat ihre Diplomarbeit zum Thema Vergewaltigunsmythen an der Universität Potsdam verfasst und ist meinem Aufruf gefolgt.

Mit Vergewaltigungsmythen werden stereotype Vorstellungen betreffend Vergewaltigungen bezeichnet, die trotz wissenschaftlicher Widerlegung von vielen Menschen geteilt werden und oftmals sexualisierte Gewalt verharmlosen und die Täter entlasten. Die erste wissenschaftliche Untersuchung zu Vergewaltigungsmythen lieferte Martha Burt 1980. „Any healthy woman can resist a rapist if she really wants to“ oder „rapists are sex-starved, insane or both“, finden sich als Beispiele in ihrer Arbeit.

Susen Werner interessierte sich in ihrer Abschlussarbeit dafür, welchen Einfluss Vergewaltigungsmythen auf die Beurteilung von Vergewaltigungdelikten durch RechtsanwältInnen haben:

Was ist das Thema deiner Arbeit? Was sind deine zentralen Fragestellungen?

Meine Diplomarbeit befasst sich mit der Untersuchung von Vergewaltigungsmythen und deren Akzeptanz bzw. Vorkommen bei deutschen RechtsanwältInnen. Unter Vergewaltigungsmythen werden bestimmte Vorstellungen Vergewaltigungen betreffend subsumiert, welche nach wie vor das Denken der Menschen beherrschen, obwohl sie bereits wissenschaftlich widerlegt wurden. Ein klassisches Beispiel ist, dass nach wie vor die Überzeugung besteht, dass Vergewaltiger in der Regel Fremde sind, obwohl diverse Untersuchungen nachweisen konnten, dass sie meistens aus dem Bekanntenkreis kommen und sogar die Häfte aller Vergewaltigungen vom eigenen Partner begangen werden.

Die Arbeit basiert auf der Forschung zu Verantwortungsattribution gegenüber Tätern und Opfern von Vergewaltigungen. Diese weist auf einen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen von sog. Vergewaltigungsmythenakzeptanz und der Verantwortungsverschiebung zu Ungunsten des Opfers bei einer gleichzeitigen Entlastung des Täters hin. Untersuchungen in diesem Forschungsgebiet legen häufig fiktive Fälle zugrunde, bei denen das Verhalten von Täter und Opfer unter zu Hilfenahme verinnerlichter Stereotype bei den BeobachterInnen bewertet werden. Hier kommen sog. kognitive Schemata (Wissensansammlungen zu bestimmten Objekten oder Begebenheiten) zum Einsatz, welche kulturellen, sozialen und individuellen Besonderheiten unterliegen und extrem widerstandsfähig gegen Veränderungen sind. Wir bilden sie quasi von unserer Geburt an durch die unterschiedlichsten Einflüsse (z. Bsp. Medien, sexistischer Werbung, diskriminierender Witze, Sprache, Erziehung, Peer-Group, Popkultur) aus.

Ein spezielles Problem stellen diese kognitiven Schemata in dem Bereich der juristischen Urteilsfindung dar, da diese grundsätzlich qua Gesetz rein datengesteuert erfolgen sollte, JuristInnen jedoch, ebenso wie andere Gesellschaftsschichten nicht in einem luftleeren Raum leben und somit nicht frei von schemagesteuerten Beurteilungen Entscheidungen treffen.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ich mit meiner Arbeit nachweisen wollte, dass auch JuristInnen nicht frei davon sind, Vergewaltigungsfälle aufgrund eigener stereotyper Vorstellungen zu beurteilen. Diese Personengruppe war für mich vor allem deshalb wichtig, weil JuristInnen für vergewaltigte Frauen einerseits eine Chance darstellen können und andererseits diese spezielle Rechtsprechung von Mythenakzeptanz absolut nicht frei ist. Spätestens im Gerichtssaal sieht sich das Opfer einer Vergewaltigung auch immer mit RichterInnen, SchöffInnen und der anwaltlichen Vertretung des Täters, welche im schlechtesten Fall alle ihre eigenen Vergewaltigungsmythen mit sich herumtragen, konfrontiert.

Wie bist du auf das Thema gestoßen?

Da ich selbst Rechtswissenschaften studiert habe, bevor ich zur Psychologie kam, konnte ich auf ein gewisses Vorwissen bzgl. juristischer Besonderheiten zurückgreifen und kenne die Problematik juristischer Urteilsfindung aufgrund reaktionärer Auslegung von Gesetzgebung und dem Dilemma in dem sich engagierte RechtsanwältInnen und dementsprechend die Opfer von Vergewaltigungen dadurch oft befinden.

Außerdem forscht die Betreuerin meiner Arbeit, Prof. Dr. Barbara Krahé, seit Jahrzehnten sehr erfolgreich zu der Problematik der Vergewaltigungsmythenakzeptanz, so dass mir bereits viele Untersuchungen auf diesem Gebiet bekannt waren. Bestimmte Faktoren, wie z. Bsp. der Alkoholkonsum von Täter und/oder Opfer oder deren Beziehung vor der Tat zueinander sind in diesen Fällen immer wieder problematisch, da sie häufig Vergewaltigungsmythen aktivieren und dementsprechend in die Beurteilung der Tat mit einfließen.

Nach wie vor geht ein Großteil unserer Gesellschaft davon aus, dass eine klassische „richtige“ Vergewaltigung z. Bsp. eine Situation widerspiegelt, in welcher ein Fremder mit Hilfe einer Waffe nachts (also im Dunkeln) in einem einsamen Winkel blitzschnell, auf sehr gewalttätige Art und Weise, eine sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehrende Frau, vergewaltigt und ihr gut sichtbare Verletzungen und Kampfspuren zufügt, die im Nachhinein die Tat beweisen. Sobald bestimmte Merkmale dieses kognitiven Skripts nicht vorliegen, nimmt die Anzahl der Befragten ab, die den dargestellten Übergriff als Vergewaltigung klassifizieren, während die Zahl derjenigen steigt, welche dem Opfer mehr Verantwortung zuschreiben.

Warum hast du ein Thema der feministischen Wissenschaft gewählt?

Vorausstellen möchte ich meiner Antwort hier einen Satz aus meiner Arbeit: „Das Fazit ‚Fear of rape is of course a day-to-day concern for many women‘ (Gordon & Riger, 1989) hat auch 2010 nichts an seiner Aktualität verloren.“ Das allein schien mir Grund genug, daneben gab es aber auch noch weitere Überlegungen. Wenn mensch beginnt sich mit der Forschung zu sexueller Gewalt auseinander zu setzen, dann gelangt mensch sehr schnell zu der Erkenntnis, das die Majorität dieser speziellen Forschung aus US-amerikanischen Untersuchungen stammen und hier besonders auf College-StudentInnen fokussieren. Da u.a. kulturell bedingt nicht alle Annahmen aus diesen Untersuchungen auf den deutschen Raum übertragen werden können, war mein Interesse etwas zu diesem Forschungsbereich beizusteuern.

Denn auch in Deutschland haben wir ein sog. Justice-Gap, welches das Phänomen des enormen Schwundes von den zur Anzeige gebrachten Taten bis hin zu einer endgültigen Verurteilung des Täters bezeichnet. Untersuchungen dieser Problematik machen deutlich, dass das Strafdelikt der Vergewaltigung im Gegensatz zu anderen Delikten, wie z. Bsp. Körperverletzung, Diebstahl, Raub etc., seit Jahrzehnten eine Ausnahme in den unterschiedlichen Rechtsprechungen darstellt. In keinem anderen Bereich des Strafrechts werden ähnlich wenig Anzeigen aufgenommen bzw. kommt es zu einer vergleichbaren Anzahl schwindender Anklagen und letztendlichen Verurteilungen der Täter.

Es war für mich unfassbar, dass dieses spezielle Delikt auch nach 30 Jahren Forschung und all dem dadurch angehäuften Wissen zu Vergewaltigungsmythen und deren Auswirkungen auf die Opfer und auch Täter sowohl gesellschaftlich als auch staatlich-hoheitlich immer noch dermaßen ignoriert wird. Als jüngstes Beispiel und Bestätigung dieser Ansicht braucht mensch sich nur einmal die gefühlt täglichen Berichte zu Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe oder zu sog. „korrigierenden“ Vergewaltigungen anzusehen. In vielen Teilen der Welt existiert nach wie vor ein System männlicher Herrschaft, welches sich keinen besseren Schutz wünschen kann, als eine komplette Mythologie bzw. ein vollständiges Regelwerk bestehend aus Lügen und Stereotypen, welches nicht nur die Entschuldigung bzw. das Leugnen sexueller Gewalt durch Männer ermöglicht, sondern gleichzeitig die Schuld des Täters verharmlost und sie dementsprechend zu Ungunsten des Opfers verschiebt.

Leider ist auch hier zu Lande ein systemimmanentes Desinteresse bzgl. sexueller Gewalt gegenüber Frauen offensichtlich, dazu muss mensch sich nur einmal die prekären Bedingungen in denen sich deutsche Frauenhäuser (ein Beispiel unter vielen) häufig befinden, verdeutlichen. Ein weiteres Beispiel ist die Verschleppung einer bundesweiten Einführung der sog. Anonymen Spurensicherung, welche in Nordrhein-Westfalen seit 2002 erfolgreich eingesetzt wird.

Deine Methoden?

In meiner Untersuchung beurteilten RechtsanwältInnen verschiedene Fallvignetten (fiktive Fallbeschreibungen), welche von einer potentiellen Mandantin in Form eines Anbahnungsgespräches dargestellt wurden. Die Szenarien enthielten den Vorwurf der Vergewaltigung durch die potentielle Mandantin, während der Beschuldigte sich auf konsensualen Geschlechtsverkehr berief. Die geschilderten Fälle enthielten bis auf zwei Manipulationen (Beziehungsstatus zwischen Täter und Opfer, Alkoholkonsum bei Täter und/oder Opfer), welche klassische Einfallstore der Strafmilderung darstellen, keine weiteren juristisch relevanten Faktoren. Mithin wurde eine „Aussage gegen Aussage“ Situation konstruiert, welche aufgrund geringer Hintergrundinformationen einen Rückschluss auf zusätzliche Faktoren wahrscheinlich machte.

Mithilfe einer selbst entwickelten Skala zur Erfassung des Commitments wurde die Bewertung der Beispiele durch die ProbandInnen nach Lesen der Fallvignetten erfasst. Unter Commitment wird vorliegend das Engagement bzw. das Bekenntnis zu dem Opfer (der potentiellen Mandantin) durch den/die Rechtsanwalt/Rechtsanwältin verstanden. In der Sozialpsychologie wird der Begriff des Commitments im Allgemeinen mit der Bindung oder dem Standpunkt, den ein Individuum zu einer bestimmten Problematik einnimmt, übersetzt. Zusätzlich wurde die Vergewaltigungsmythenakzeptanz der RezipientInnen mit Hilfe der AMMSA (Skala zur Messung der „Akzeptanz moderner Mythen über sexuelle Aggression“, Gerger et al., 2007) erhoben.

Was sind deine wichtigsten Ergebnisse?

Die Befunde weisen erwartungsgemäß einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Aktivierung von Vergewaltigungsmythenakzeptanz und dem Commitment gegenüber einem potentiellen Vergewaltigungsopfer bei RechtsanwältInnen nach. Das bedeutet, dass mit steigender Vergewaltigungsmythenakzeptanz das Engagement bzw. Bekenntnis gegenüber der potentiellen Mandantin sank. Weitere Ergebnisse legen einen Zusammenhang zwischen der Erfahrung mit Vergewaltigungsopfern aufgrund der beruflichen Tätigkeit von RechtsanwältInnen nahe. Vorliegend konnten, im Gegensatz zu anderen Untersuchungen, keine Nachweise für das Vorliegen unterschiedlicher Vergewaltigungsmythenakzeptanz aufgrund des Geschlechts oder des Alters der RezipientInnen erbracht werden.

Sind Veröffentlichungen geplant? Wo?

Im Moment denke ich nicht über eine weitere Veröffentlichung dieser Arbeit nach. Die Daten wurden allerdings bereits bei mehreren Kongressen präsentiert. Da ich diese Erkenntnisse einer möglichst breiten LeserInnenschaft frei zugänglich machen wollte, greife ich vorerst auf die großartige Möglichkeit des WWW zurück, wo Wissen kostenlos und somit vielen Menschen zugänglich gemacht werden kann. Außerdem habe ich die Arbeit zur Veröffentlichung dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe angeboten (Link).

Susen Werner stellt euch ihre Arbeit zum freien Download zur Verfügung:

Stereotype Vorstellungen über Vergewaltigungen (Vergewaltigungsmythenakzeptanz) als Prädiktoren der Beurteilung von Vergewaltigungsdelikten durch RechtsanwältInnen

Interview: Frauenbewegung in Österreich – Teil 2

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In den skandinavischen Ländern wurden in den 60er Jahren Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert, in Österreich wurde auf ausländische Arbeitskräfte gesetzt. Hängt diese Entscheidung auch mit der katholischen Tradition Österreichs zusammen?

Das ist eine gute Frage. Ich denke nicht, dass es in den skandinavischen Ländern, die ja oft ein leuchtendes Vorbild für emanzipatorische Politik sind, nur ein Thema von Gleichberechtigung gewesen ist. Es ging viel mehr darum, Humanressourcen zu mobilisieren – wie es so schön heißt. Frauen, die aus Gründen der Kinderbetreuung oder sonstigen Betreuungsaufgaben keiner Erwerbsarbeit nachgingen, stellten eine riesige Ressource dar. Und die skandinavischen Länder haben sich dafür entschieden, diese Ressource zu heben, zu mobilisieren, aber auch aus einem nationalistischen Motiv. Man wollte keine ausländischen Arbeitskräfte ins Land holen.

In Österreich war dieses nationalistische Motiv offenbar in den sechziger Jahren weniger stark als das Motiv, die herrschenden Geschlechterverhältnisse aufrecht zu erhalten. Das wiederum denke ich hat durchaus mit dem katholischen Einfluss zu tun, auch mit einer langen Tradition des Kompromisses zwischen katholischen und sozialdemokratischen Geschlechterbildern. Daher war das in Österreich offenbar die naheliegendere Lösung. In Skandinavien stand der Wille nach einer geschlossenen Nation im Vordergrund.

In Bezug auf Finnland kenne ich die Situation genauer. Dort gab es einerseits eine sehr späte Nationsbildung, andererseits sind Frauen als Mütter schon sehr früh in die nationale Gemeinschaft aufgenommen worden. Und zwar als politische Subjekte. Im nationalen Kampf gegen Schweden und gegen Russland gab es die Idee, alle Teile des politischen Kollektivs in die Nation zu integrieren. Das hat auch dazu geführt, dass in Finnland die Frauen als erstes Land in Europa überhaupt das Wahlrecht bekommen haben. Wobei es wichtig ist zu wissen, dass die Integration der Frauen nicht als Menschen mit Menschenrechten passiert ist, sondern als Mütter. Das alles sind so Grundhaltungen, die politisches Handeln und gesamtgesellschaftliche Werte bestimmen, ohne dass sie den Handelnden immer bewusst sind.

In Österreich gilt Johanna Dohnal als eine Ikone der Frauenpolitik. Nach ihrem Tod wurden Stimmen laut, die eine „neue“ Dohnal forderten. Sind die Erfolge von Johanna Dohnal tatsächlich an ihrer Person festzumachen?

Johanna Dohnal war eine ausgezeichnete Politikerin, eine sehr entschlossene Person, eine Person, die ihre Ziele gut kommunizieren konnte, die nicht zurückgeschreckt ist vor Ablehnung und vor Konflikten. Das zeichnet sie als Politikerin aus, das hat sie sicher erfolgreich gemacht. Ich glaube, in der heutigen Zeit gibt es so einen rückwärtsgewandten Wunsch nach den Heldinnen des Beginns oder auch den Helden des Beginns. Ein Teil dieser Sentimentalität ist auch der Wunsch nach einer neuen Johanna Dohnal, sie war in der Aufbruchszeit institutioneller Frauenpolitik aktiv und sie war die richtige Person an dieser Stelle, da gibt es keine Zweifel.

Allerdings würde sie heute auch andere Strategien anwenden müssen und in anderen Kontexten agieren. Sie wäre wahrscheinlich mit den Mitteln der späten 60er Jahre am Beginn der 10er Jahre nicht mehr so erfolgreich, wie sie es gewesen ist. Außerdem war sie in ihrer Zeit als Staatssekretärin ja nicht die Ikone, als die sie heute an manchen Orten gilt, sondern eine ganz umstrittene und emotionalisierende Politikerin. Das vergisst man manchmal in dieser rückwärtsgewandten Euphorie. Es gab sehr viele Konflikte und Johanna Dohnal ist nicht auf umfassende Zustimmung gestoßen, auch nicht unter den frauenbewegten Frauen.

Welche Rolle spielte Bruno Kreisky für die Frauenpolitik – war Bruno Kreisky ein Feminist?

Nein, er war sicher kein Feminist. Bruno Kreisky war ein guter Kommunikator und Bruno Kreisky hat schnell verstanden, was Zeitströmungen sind und was man daraus politisch machen kann. Daher denke ich hat er 1979 diese vier Staatssekretärinnen eingesetzt. Um die Frauenquote in der Regierung zu heben und auch um ein öffentliches Zeichen zu setzen. Er hat schon zuvor während seiner Kanzlerschaft das Familienrecht liberalisiert, also egalitärer gestaltet, es wurde das Strafrecht liberalisiert, damit auch der Schwangerschaftsabbruch. Das waren aber beides sozialdemokratische Forderungen zumindest von Beginn des 20. Jahrhunderts an – wenn nicht noch früher. Und unter der Alleinregierung Kreisky – das war die erste sozialdemokratische Alleinregierung – ist diese Umsetzung der jahrzehntelang erhobenen Forderungen dann auch auf der Agenda gestanden. Es war wohl weniger ein Kraftakt Kreiskys, sie auf die Agenda zu setzen.

Kreisky hatte einen hohen Anteil an der Erringung der absoluten Mehrheit, die wiederum Voraussetzung für all diese Reformen war. Aber eigentlich hat seine Regierung auf langjährige Forderungen und Konzepte der sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Partei – je nachdem, von welcher Zeit wir sprechen – zurückgegriffen. Kreisky hat erkannt, dass das Zustimmung bringen würde, aber gerade bei der Fristenregelung war er eigentlich zögerlich und wurde schließlich von seinem Justizminister Christian Broda und der SPÖ-Frauenorganisation angestoßen. Die Person Bruno Kreisky ist ein Grund für die durchgesetzten Reformen der 70er Jahre, aber es gibt noch ganz wesentliche strukturelle Gründe. Und ich denke nicht, dass er Feminist war.

In den USA ist Abtreibung in jedem Wahlkampf heißes Thema, in Österreich scheint es doch einen breiten Konsens für die Fristenregelung zu geben – oder trügt hier der Schein?

Das Thema taucht schon immer wieder auf in den Wahlkämpfen, in Landtagswahlkämpfen, in Salzburg beispielsweise, auch Vorarlberg, manchmal Tirol. Also es ist noch immer ein Thema, mit dem versucht wird, zu emotionalisieren, zu mobilisieren – und das von beiden Seiten. Auch die SPÖ tut das ja mitunter, wenn sie sagt: wir schützen die Fristenregelung. Ich denke, dass die Fristenregelung zur Gewohnheit geworden ist. Das bedeutet, dass für die Frauen, die davon betroffen sind, es einfach lebensweltlich von so großer Bedeutung ist, in dieser Weise nicht mehr dem Strafgesetz in ihren privaten und ohnehin nicht leichten Entscheidungen ausgesetzt zu sein, dass eine Rückkehr zur Bestrafung der Abbrüche vor dem Ende des 3. Monats politisch nicht realistisch ist und daher auch von keiner der großen Parteien ernsthaft erhoben wird. Das würde eher Wählerinnenstimmen kosten, als welche bringen. Aber es gibt immer wieder Versuche, über das Thema zu emotionalisieren und zu mobilisieren.

Ich denke, dass die Frage der Fristenregelung zukünftig wohl eher tangential berührt werden wird, es geht heute um Pränataldiagnostik, also um die Frage, wie man mit Fortpflanzung umgeht, welchen Einfluss hier die Gesellschaft und der Staat nimmt. Die Abtreibung ist wahrscheinlich seit den 90er Jahren nicht mehr dieses Marker-Thema für Positionen, wie das in den USA der Fall ist. Das hat vor allem mit der religiösen Landschaft Österreichs zu tun. In Österreich spielen radikale religiöse Gruppen wie Evangelikale beispielsweise weniger eine Rolle, weil die katholische Kirche trotz des Bedeutungsverlusts in den vergangenen zwanzig Jahren doch noch immer eine zentrale Stellung einnimmt. Und diese verhält sich zwar ablehnend gegenüber der Fristenregelung, greift aber nicht so radikal und emotionalisierend in die Politik ein.

Noch eine Frage zu Ihrer Arbeit als Historikerin: Mit welchem Geschlechterbegriff arbeiten Sie? Gibt es in der Geschichtswissenschaft überhaupt Möglichkeiten, Geschlecht abseits von einem dichotomen Konzept zu denken?

Ja, ich denke schon, dass es das gibt. Wenn man mit einem historisch genauen Blick auf die Akteure und Akteurinnen der Vergangenheit blickt, wird deutlich, dass Geschlecht keine Positionen definiert. Geschlecht ist eine strukturelle Kategorie, die nahe legt, aber nicht zu hundert Prozent festlegt, dass eine Person wahrscheinlich weniger Geld verdient, wahrscheinlich bestimmte Positionen nie erreicht und so weiter. Aber als Historikerin muss man die Individualität der historischen Akteure und Akteurinnen ernst nehmen und nicht mit einem vorgefertigten Muster nach einer scharfen Trennlinie suchen. Sondern sich vielmehr einen offenen Blick bewahren für verschiedene Lebensrealitäten. Da ist Geschlecht ein Bestimmungsmerkmal, aber nicht immer das allerwichtigste. Es gibt sicher Zeiten und Situationen, in denen die soziale Lage, der Migrationsstatus einer Person viel wesentlicher ist für die Definition ihrer Handlungsspielräume als das Geschlecht.

Es ist wichtig, sich diesen Blick zu bewahren, also nicht mit diesem dichotomen Geschlechterraster, das uns die 50er und die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts nahegelegt haben, auf vergangene Gesellschaften zu schauen. Das ist so zentral, da die Geschichte ja immer wieder herangezogen wird als Legitimation für Dinge, die in der Gegenwart passieren. Dieses Argumentationsmuster: „Das war schon immer so“ ist ja ein beliebtes und ich denke, dass gerade der Blick in die Vergangenheit deutlich macht, dass es nicht immer schon so gewesen ist, sondern dass das, von dem wir denken, dass es immer schon so gewesen ist, manchmal 50 Jahre alt ist, manchmal 100 Jahre alt ist.

Daher ist ein dekonstruktivistischer Blick auf Vergangenheit, der unterschiedliche Positionen akzeptieren kann und akzeptieren will gerade im Verhältnis zur Geschichte gar kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Es geht auch darum, Geschichte diesen Charakter einer Legitimationswissenschaft zu nehmen. Denn wie es geworden ist, das ist immer auch eine Geschichte dessen, was alles an Konzepten und Mustern unterlegen ist. Das verschwindet aus der Geschichtsschreibung. Und nach diesen unterlegenen Mustern zu suchen ist eine wichtige Aufgabe von Historikern und Historikerinnen. Ohne sie simplifizieren wir vergangene Gesellschaften.

Die Plattform „20.000 Frauen“ sammelt derzeit zentrale frauenpolitische Forderungen. Welche drei Forderungen sind Ihre wichtigsten?

Ach, wir haben das schon diskutiert und sind zu keiner wirklichen Lösung gekommen. Ich denke, eine gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist gegenwärtig von großer Bedeutung. Das halte ich für eine zentrale geschlechterpolitische Forderung. Kann ich es bei einer belassen?

Ja, wenn das für Sie die wichtigste ist…

Ich denke, dass es der wichtigste Ansatz ist, ja.

Links:
Teil 1 des Interviews
Stiftung Bruno Kreisky Archiv
Maria Mesner auf Wikipedia

Interview: Frauenbewegung in Österreich – Teil 1

I

In Wien demonstrierten 1911 erstmals rund 20.000 Menschen für Frauenrechte, 2011 „feiern“ wir das Jubliäum 100 Jahre Internationaler Frauentag. Aber wo liegen eigentlich die Wurzeln der österreichischen Frauenbewegung? Ein Gespräch mit Maria Mesner, Historikerin und wissenschaftliche Leiterin des Bruno-Kreisky-Archivs:

Maria Mesner

In Deutschland wird derzeit heftig über Frauenquoten debattiert, in Österreich wird das Thema noch weitaus zurückhaltender verhandelt. Welche Geschichte hat die Diskussion um Quoten in Österreich? Handelt es sich dabei um ein neues Thema auf der politischen Agenda?

Die Debatte begleitet uns zumindest seit den 80er Jahren, würde ich meinen. Die Grünen haben bereits bei ihrem ersten Antreten 1986 ein Reißverschlusssystem für die Aufteilung von Mandaten umgesetzt, was in Wirklichkeit eine 50-Prozent-Quote bedeutet. Die SPÖ hat dann ungefähr zur selben Zeit eine 30-Prozent-Quote eingeführt, die sie später auf eine 40-Prozent-Quote erhöht hat. Anlässlich dieser Einführung von Quoten in politischen Parteien wurde das Thema bereits heftig diskutiert. Es hat sich auf alle Fälle herausgestellt, dass die Einführung von Quoten zu einer Erhöhung des Anteils von Frauen führte. Vielleicht nicht im geplanten Ausmaß, aber es gab eine deutliche Bewegung nach oben. Erst später hat die Diskussion über die Quote auch andere Bereiche wie Aufsichtsräte erfasst.

Aber die Quote ist eine begleitende Diskussion seit den späten 70er Jahren. Dazwischen gab es verschiedene Ansätze, Forderungen wie zum Beispiel die Vergabe von öffentlichen Mitteln an bestimmte Frauenquoten zu koppeln, wie das ja zum Teil in den skandinavischen Ländern der Fall ist. Der langen Rede kurzer Sinn: Es ist keine neue Debatte.

Warum birgt die Debatte dennoch nach wie vor solchen Zündstoff?

Wenn eine Hälfte der Bevölkerung mehr Macht anstrebt, muss die andere Hälfte der Bevölkerung diese abgeben. Das trifft auf Widerstand. Und daher ist das unbeliebt. Also es geht da schlicht um Macht, es geht um Repräsentation, es geht um Einfluss. Und wenn eine neue Gruppe stärker repräsentiert wird, muss die bislang unverhältnismäßig stark repräsentierte Gruppe einen Teil ihrer Positionen, ihres Einflusses abgeben.

2011 begehen wir den 100. Internationalen Frauentag, in Wien sind 1911 erstmals 20.000 Menschen für Frauenrechte auf die Straße gegangen. Wann ist in Österreich eigentlich eine politische Frauenbewegung entstanden? Lässt sich das an einem konkreten Ereignis festmachen?

Der erste politische Frauenverein ist eigentlich schon 1848 entstanden, aus den revolutionären Ereignissen von 1848 heraus, allerdings war er wie alle Vereine des Jahres 1848 von kurzlebiger Dauer. Eine zweite Welle von Frauenbewegungen entstand dann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als das bürgerliche Ideal brüchig wurde. Jenes der Ehefrauen und der Männer, die für die Erwerbsarbeit und damit die Sicherung der ökonomischen Existenz zuständig waren. Die Frauen haben festgestellt, dass sie keine Voraussetzungen im Sinne einer Ausbildung hatten, die sie dazu befähigte, ihre eigene Existenz zu sichern. Daraus folgte auch die Forderung nach Bildung, nach dem Zugang zu Bildungsinstitutionen.

Außerdem entstand zu dieser Zeit die Forderung nach einer Ausweitung des Wahlrechts, also nach einem allgemeinen gleichen Wahlrecht statt des geltenden Kurienwahlrechts. 1906 wurde das allgemeine Wahlrecht eingeführt, das aber nur ein Männerwahlrecht war. Somit haben auch die Frauen, die bis dahin aufgrund ihres Vermögens Wahlrechte hatten – wenn auch nur vermittelte – ihre Wahlrechte verloren. Damit war ein wesentlicher Fokus der Mobilisierung von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts gegeben. Frauen waren generell von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen ausgeschlossen, das wurde zu einem dritten Schwerpunkt für die Organisierung von Frauen.

Ein vierter Schwerpunkt stellte das patriarchale Eherecht dar, das eine klare Hierarchie innerhalb der Ehe vorschrieb und den Mann zum Oberhaupt der Familie machte. Daraus entstand dann zum einen eine bürgerliche Frauenbewegung und andererseits eine sozialdemokratische, also eine Arbeiterinnenbewegung, die zum Teil die selben oder ähnliche Forderungen hatte, zum Teil aber einen anderen Schwerpunkt setzte. Es ging um Fragen der sozialen Zugehörigkeit und der Diskriminierung, die daraus folgte. Das war für die Arbeiterinnenbewegung natürlich eine wesentlich relevantere Frage als für die bürgerlichen Frauen.

Hat die Demonstration im Jahr 1911 Wellen geschlagen?

Nun ja, was auch immer Wellen sind – die Zeitungen berichteten über das Ereignis, es gab erhebliche Resonanz. Außerdem gibt es Bilder von der Demonstration. In einer Zeit, die an Bildern noch arm ist, ist allein die Tatsache, dass es von einem Ereignis viele Bilder gibt, schon ein Hinweis darauf, dass es Resonanz gefunden hat. Die zentrale Forderung der ersten Frauentagsdemonstration 1911, die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen, wurde allerdings erst 1918 realisiert.

Machen wir einen großen Sprung in die 70er Jahre. Ich habe in Ihrem Buch „Land der Söhne“ von einer Protestaktion gelesen, bei der ein Chefredakteur aufgrund eines sexistischen Titelblatts gewaltsam entkleidet wurde – inwiefern kann man die Frauenbewegung der 70er Jahre im Vergleich mit einer heutigen Frauenbewegung charakterisieren?

Die autonome Frauenbewegung der 70er Jahre hat noch aus der Studentenbewegung heraus das Mittel der Provokation mitgenommen. Provokation war ein wichtiges Werkzeug, um öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Das trifft natürlich nicht nur auf die 70er Jahre, sondern auch noch viel später auf die autonome Frauenbewegung zu. Es ist eine Form, Aufmerksamkeit für politische Anliegen zu generieren, während dann die frauenbewegten Aktivitäten der Nullerjahre oder Ende der 90er Jahre mehr auf mediale Präsenz im Sinne von breiter Berichterstattung gesetzt haben. Also weniger die Provokation von einem wie auch immer gedachten Außen, sondern die Nutzung der Massenmedien, um Forderungen zu stellen, Aufmerksamkeit zu gewinnen und auch Verständnis für die Forderungen herzustellen. Das war bei den provokativen Aktionen der frühen autonomen Frauenbewegung wohl nicht erste Priorität – da ging es vorrangig darum, Aufmerksamkeit zu erregen.

Schließlich kam das Thema vom Rand der Gesellschaft – insofern ist das auch ein notwendiger Schritt gewesen. Mittlerweile haben diese Themen ihren Weg in den Mainstream gefunden. Gender Mainstreaming ist heute ein Ziel der Europäischen Kommission, dabei handelt es sich nicht um eine marginalisierte Gruppe, sondern eine zentrale Körperschaft in Europa. Dementsprechend haben sich auch die Aktionsformen verändert, die handelnden Personen und auch die Haltungen haben sich verändert.

Würden Sie sagen, dass mit dieser Institutionalisierung von Frauenpolitik eine Frauenprotestkultur mehr und mehr in den Hintergrund tritt?

Nein, ich denke, es gibt immer noch Protestkulturen, nur hat sich das Ganze verschoben. Wenn es eine Bundesministerin für Frauenangelegenheiten gibt, wenn es eine Stadträtin gibt, also institutionalisierte Frauen und Politiken, dann verschiebt sich der Protest. Ich denke, das ist weder gut, noch schlecht, sondern notwendig. Wenn eine politische Forderung immer nur an den Rändern der Gesellschaft ausgehandelt wird, dann ist das eine sehr mühsame Sache, die mit wenig Erfolgschancen ausgestattet ist. Die Institutionalisierung und das Rücken der Themen in die Mitte der Gesellschaft ist also durchaus ein Erfolg der Frauenbewegung.

Dass sie dabei weniger radikal wird, liegt zwar nicht in der Natur der Sache, wohl aber in der Natur der österreichischen politischen Kultur, wo Massenbewegungen – sieht man einmal vom Nationalsozialismus ab – ja nie radikale gewesen sind. Es gab und gibt in Österreich keine radikale emanzipatorische Massenbewegung. Zumindest nicht im 20. Jahrhundert.

Trotz der von Ihnen geschilderten Erfolge ist Frauenpolitik nur bedingt ein Erfolgsprojekt – seit vielen Jahrzehnten werden die selben Forderungen wie „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ formuliert. Woran liegt das?

Nun ja, ich denke, diese Fragen sind Machtfragen, sind Verteilungsfragen – und da gibt es Widerstand. Deshalb ist das eine langwierige Angelegenheit. Die Dinge haben sich zugleich langsam und schnell bewegt, das hängt von der jeweiligen Perspektive ab. Ich bin Historikerin, deshalb bin ich der Meinung, dass sich einiges bewegt hat. Es ist viel passiert seit 1945. Es haben sich die Bilder völlig verschoben, es haben sich die Werte völlig verschoben und es haben sich auch die Handlungsspielräume der Frauen verändert.

Aber um auf die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zurückzukommen – da ist in Österreich die Schere ja besonders groß. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Österreich in den Geschlechterbildern wegen des starken katholischen Einflusses sehr konservativ ist. Und es geht wiederum um Macht und es geht um die Verteilung von Ressourcen. Da wäre es seltsam, wenn es hier keinen Widerspruch gäbe. Bei allen entscheidenden Machtfragen ist mit Widerstand zu rechnen. Das ist ja auch Teil des demokratischen Prozedere, dass eine bestimmte Form von Mehrheit gefunden werden muss. Daher müssen eben die dicken Bretter langsam gebohrt werden, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht gebohrt werden.

Demnächst in Teil 2: Über das ewige Vorbild Skandinavien, die Ikone Johanna Dohnal und Kreiskys Frauenpolitik…

Links:
Stiftung Bruno Kreisky Archiv

Maria Mesner auf Wikipedia

Bridalplasty

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Wer meint, dass Formate wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ oder „Germany’s Next Top Model“ schon zu den furchterregendsten Reality-Shows zählen, hat vermutlich noch nie von „Bridalplasty“ gehört. Im vergangenen November startete diese Horror-Show auf „E! Entertainment Television“ – zwölf verlobte Frauen kämpften dort um ihre Traumhochzeit und das dazugehörige Aussehen. Jede Teilnehmerin durfte ihre „wish list“ an Schönheitsoperationen vorlegen, die Gewinnerin der wöchentlichen Wettbewerbe legte sich dann für eine der Wunsch-Operationen unters Messer.

Auf die Gewinnerin der gesamten Staffel wartete schließlich ein operative Runderneuerung und eine „Traumhochzeit“ – erst dort wurde der Schleier gelüftet und das neue Ich der Braut präsentiert. Hier ein Bericht (auf Fox News, entschuldigt) über die unglaubliche TV-Show:

Monika Hauser – Kampf gegen sexualisierte Gewalt

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2008 erhielt Monika Hauser den Alternativen Nobelpreis. Ausgezeichnet wurde ihr „unermüdlicher Einsatz für Frauen, die in Krisenregionen schrecklichste sexualisierte Gewalt erfahren haben“ – die Gynäkologin und Gründerin von „Medica Mondiale“ ist einer breiten Öffentlichkeit als unermüdliche Kämpferin für Frauenrechte bekannt geworden. In den Zentren von „Medica Mondiale“ werden Frauen betreut, die von sexualisierter Kriegsgewalt betroffen sind, darüberhinaus wird Aufklärungs- und Lobbyarbeit betrieben.

Im Wiener Radiokulturhaus sprach Monika Hauser gestern mit Ö1-Journalist Johannes Kaup (vor einem ausschließlich weiblichen Publikum) über ihre Arbeit in Kriegsgebieten und die vielen Missstände, die es zu bekämpfen gilt.
Als Hauser sich 1992 auf den Weg nach Bosnien machte, um eine Hilfsorganisation für Frauen aufzubauen, die sexualisierte Kriegsgewalt erlebt hatten, verband die Ärztin bereits eine lange Geschichte mit dem Thema. Schon mit 13 Jahren erfuhr sie von ihrer Südtiroler Großmutter, dass diese regelmäßig von ihrem Ehemann vergewaltigt worden war. Was sie in diesem Alter noch nicht richtig einordnen konnte, erlebte sie nach ihrem Medizinstudium erneut an einem Bezirkskrankenhaus in Südtirol, wo sie aufgrund ihres Engagements bereits nach kurzer Zeit „rote Hexe“ gerufen wurde. Und dabei beschränkte sich die Gewalt gegen Frauen nicht „nur“ auf Vergewaltigungen: Als eines Tages einer Bauersfrau mit starken Unterleibsschmerzen fortgeschrittener Eierstockkrebs diagnostiziert wurde, verweigerte ihr Ehemann die Operation – erst nach der Ernte sei dafür Zeit. „Nach der Ernte war die Frau natürlich bereits verstorben“, erzählt Hauser.

Unermüdlich weist die Ärztin darauf hin, dass (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen nicht nur im Kosovo und im Kongo passiert und mit einer religiösen Gemeinschaft verknüpft ist  – Gewalt gegen Frauen sei vielmehr Ausdruck der patriarchalen Gesellschaftsordnung und nicht Beziehungs- oder Einzeltat. Auch gegen die Darstellung von Frauen als „zerstörte“ Opfer wehrt sich Hauser im Rahmen ihrer Arbeit  – „Medica Mondiale“ verfolgt einen emanzipatorischen Ansatz, Frauen soll trotz allem, was sie erlebt haben, ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden. Neben einer Traumatisierung und seelischen Demütigung erleben diese Frauen häufig auch Ausgrenzung in ihrem sozialen Umfeld: Vergewaltigte Frauen müssen ihr „Schande“ verbergen und werden mit den Mechanismen des „blame the victim“ konfrontiert. „Selbst in Deutschland habe ich Männer erlebt, die mit ihren Frauen nichts mehr zu tun haben wollten, nachdem diese vergewaltigt worden waren. Und dann tauchen die Fragen auf: Musste sie wirklich im Minirock alleine auf die Straße gehen?“


Bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises / Foto: Cornelia Suhan

So fällt vielen betroffenen Frauen das Sprechen über das Erlebte noch schwerer – für andere ist es eine wichtige Therapie. Gerade im ehemaligen Jugoslawien ist sie Frauen begegnet, die unbedingt vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aussagen wollten, Monika Hauser ortet hier massive Misstände. Der Tatbestand der Vergewaltigung wurde etwa immer wieder aus der Anklageschrift entfernt, weil er juristisch so schwer nachzuweisen sei. Auch seien Betroffenen widersprüchliche Aussagen nachgewiesen worden. „Wenn eine schwer traumatisierte Frau gefragt wird, ob das, als sie von 30 Soldaten vergewaltigt wurde, links oder rechts von der Kapelle war, dann kann sie darauf oft keine Antwort geben“, so Hauser. Sogar Fragen zum sexuellen Vorleben der Betroffenen wurden von den Richter_innen zugelassen – in Deutschland und Österreich ist das im Fall einer Vergewaltigung verboten.

Den Alternativen Nobelpreis hat Hauser als „tolle Anerkennung für 17 Jahre schwierige Arbeit“ empfunden. Mittlerweile ist „Medica Mondiale“ auch in Liberia und in Afghanistan tätig, insbesondere in Afghanistan sieht Hauser Rückschritte, was die Lebensumstände von Frauen betrifft. Die Armut hat seit 2001 stark zugenommen, viele Frauen seien mit 20 bereits „körperliche und psychische Wracks“. Geld werde von den Familien oft nur für die medizinische Versorgung der Söhne ausgegeben, für zwangsverheiratete Frauen gebe es kaum die Möglichkeit zum Ausbruch aus ihrem sozialen Umfeld. Hier prangert Hauser die verpassten Chancen der internationalen Gemeinschaft an, Frauenrechte würden zwar instrumentalisiert, aber in der Realität vernachlässigt. Wenn die deutsche Regierung an Unterstützung für den Kongo keine menschenrechtlichen Forderungen knüpft, dann werde auch hier die Verantwortung der internationalen Politik nicht wahrgenommen. Im Kongo werden Frauen regelmäßig von Soldaten und Polizisten vergewaltigt, die unzähligen Massenvergewaltigungen bleiben dabei straffrei. Europa sieht zu. Das sei ein „fatales Signal“, sagt Hauser.

Das Gespräch mit Monika Hauser wird am 9. Februar um 12.05 Uhr und 22.45 Uhr auf TW1 zu sehen sein.
Link Medica Mondiale (mit Möglichkeit zur Online-Spende)
Filmtipp: Grbavica

Buchtipp: Monika Hauser – nicht aufhören anzufangen

In den Medien

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Auch diestandard.at hat sich bereits dem Jubliäum 100 Jahre Frauentag angenommen und zwei spannende Interviews veröffentlicht. Redakteurin Beate Hausbichler hat mit Petra Unger von der Plattform „20.000 Frauen“ über die Vorbereitungen zur Demonstration am 19. März gesprochen, Heidi Niederkofler (Historikerin) hat sie zu den historischen Hintergründen des Internationalen Frauentags befragt.

Am gestrigen Kulturmontag im ORF wurden zwei feminstische Themen aufgegriffen: Fembots / Cyborgs in der Popmusik, sowie die Auszeichnung der Performance-Künstlerin Katrina Daschner. Nachzusehen (bis kommenden Montag)  in der TVthek.

Eine neue Online-Plattform informiert zur Eingetragenen Partnerschaft in Österreich: „Wie wird eine EP geschlossen? Wer ist in der Behörde dafür zuständig und wo kann man feierlich heiraten? Welche Rechtsfolgen sind mit einer EP verbunden?“ – Antworten auf diese Fragen findet ihr hier.  (via Marco Schreuder)

Werde Macho!“ fordert die Schweizer „Männerzeitung“ ihre Leser auf. Denn: „Männer schuften für Sex, sie krampfen für die Liebe, leiden, damit es andere besser haben“, ist da zu lesen. Welche Idee hinter dieser Publikation steckt, könnt ihr im Tagesanzeiger-Interview mit Chefredakteur Ivo Knill nachlesen. (via Väterblog)

Jetzt in den deutschsprachigen Kinos: „We Want Sex“:

Porno-Ästhetik

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Da soll noch einmal jemand sagen, die Populärkultur wäre bereits von der Pornographie durchdrungen.
Die folgende Werbekampagne stammt aus dem Hause „Suitsupply“, einem holländischen Herrenausstatter. Ja, da berichtet sogar die Bildzeitung Online darüber und schreibt: „Diese Mode-Kampagne war Facebook zu sexy.“

Bei diesem Bild handelt es sich um ein verglichen harmloses Sujet der „Shameless“ Kampagne. Wie war das noch einmal? „Konsumentinnen und Konsumenten werden nicht mehr zum Kauf angeregt, sondern zur Übernahme eines bestimmten Lifestyles, zur Übernahme dominanter Rituale, wobei das Produkt als deren unabdingbarer Teil akzeptiert werden soll.“ (Matthias Marschick – Definition moderner Werbung in „Verdoppelte Identitäten“)

„Suitsupply is committed to doing business in an ethical and sustainable manner“, ist übrigens auf der Website des Unternehmens zu lesen.

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