Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender Studies bzw. feministische Wissenschaft zu kommunizieren. Susen Werner, Diplom-Psychologin, hat ihre Diplomarbeit zum Thema Vergewaltigunsmythen an der Universität Potsdam verfasst und ist meinem Aufruf gefolgt.
Mit Vergewaltigungsmythen werden stereotype Vorstellungen betreffend Vergewaltigungen bezeichnet, die trotz wissenschaftlicher Widerlegung von vielen Menschen geteilt werden und oftmals sexualisierte Gewalt verharmlosen und die Täter entlasten. Die erste wissenschaftliche Untersuchung zu Vergewaltigungsmythen lieferte Martha Burt 1980. „Any healthy woman can resist a rapist if she really wants to“ oder „rapists are sex-starved, insane or both“, finden sich als Beispiele in ihrer Arbeit.
Susen Werner interessierte sich in ihrer Abschlussarbeit dafür, welchen Einfluss Vergewaltigungsmythen auf die Beurteilung von Vergewaltigungdelikten durch RechtsanwältInnen haben:
Was ist das Thema deiner Arbeit? Was sind deine zentralen Fragestellungen?
Meine Diplomarbeit befasst sich mit der Untersuchung von Vergewaltigungsmythen und deren Akzeptanz bzw. Vorkommen bei deutschen RechtsanwältInnen. Unter Vergewaltigungsmythen werden bestimmte Vorstellungen Vergewaltigungen betreffend subsumiert, welche nach wie vor das Denken der Menschen beherrschen, obwohl sie bereits wissenschaftlich widerlegt wurden. Ein klassisches Beispiel ist, dass nach wie vor die Überzeugung besteht, dass Vergewaltiger in der Regel Fremde sind, obwohl diverse Untersuchungen nachweisen konnten, dass sie meistens aus dem Bekanntenkreis kommen und sogar die Häfte aller Vergewaltigungen vom eigenen Partner begangen werden.
Die Arbeit basiert auf der Forschung zu Verantwortungsattribution gegenüber Tätern und Opfern von Vergewaltigungen. Diese weist auf einen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen von sog. Vergewaltigungsmythenakzeptanz und der Verantwortungsverschiebung zu Ungunsten des Opfers bei einer gleichzeitigen Entlastung des Täters hin. Untersuchungen in diesem Forschungsgebiet legen häufig fiktive Fälle zugrunde, bei denen das Verhalten von Täter und Opfer unter zu Hilfenahme verinnerlichter Stereotype bei den BeobachterInnen bewertet werden. Hier kommen sog. kognitive Schemata (Wissensansammlungen zu bestimmten Objekten oder Begebenheiten) zum Einsatz, welche kulturellen, sozialen und individuellen Besonderheiten unterliegen und extrem widerstandsfähig gegen Veränderungen sind. Wir bilden sie quasi von unserer Geburt an durch die unterschiedlichsten Einflüsse (z. Bsp. Medien, sexistischer Werbung, diskriminierender Witze, Sprache, Erziehung, Peer-Group, Popkultur) aus.
Ein spezielles Problem stellen diese kognitiven Schemata in dem Bereich der juristischen Urteilsfindung dar, da diese grundsätzlich qua Gesetz rein datengesteuert erfolgen sollte, JuristInnen jedoch, ebenso wie andere Gesellschaftsschichten nicht in einem luftleeren Raum leben und somit nicht frei von schemagesteuerten Beurteilungen Entscheidungen treffen.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass ich mit meiner Arbeit nachweisen wollte, dass auch JuristInnen nicht frei davon sind, Vergewaltigungsfälle aufgrund eigener stereotyper Vorstellungen zu beurteilen. Diese Personengruppe war für mich vor allem deshalb wichtig, weil JuristInnen für vergewaltigte Frauen einerseits eine Chance darstellen können und andererseits diese spezielle Rechtsprechung von Mythenakzeptanz absolut nicht frei ist. Spätestens im Gerichtssaal sieht sich das Opfer einer Vergewaltigung auch immer mit RichterInnen, SchöffInnen und der anwaltlichen Vertretung des Täters, welche im schlechtesten Fall alle ihre eigenen Vergewaltigungsmythen mit sich herumtragen, konfrontiert.
Wie bist du auf das Thema gestoßen?
Da ich selbst Rechtswissenschaften studiert habe, bevor ich zur Psychologie kam, konnte ich auf ein gewisses Vorwissen bzgl. juristischer Besonderheiten zurückgreifen und kenne die Problematik juristischer Urteilsfindung aufgrund reaktionärer Auslegung von Gesetzgebung und dem Dilemma in dem sich engagierte RechtsanwältInnen und dementsprechend die Opfer von Vergewaltigungen dadurch oft befinden.
Außerdem forscht die Betreuerin meiner Arbeit, Prof. Dr. Barbara Krahé, seit Jahrzehnten sehr erfolgreich zu der Problematik der Vergewaltigungsmythenakzeptanz, so dass mir bereits viele Untersuchungen auf diesem Gebiet bekannt waren. Bestimmte Faktoren, wie z. Bsp. der Alkoholkonsum von Täter und/oder Opfer oder deren Beziehung vor der Tat zueinander sind in diesen Fällen immer wieder problematisch, da sie häufig Vergewaltigungsmythen aktivieren und dementsprechend in die Beurteilung der Tat mit einfließen.
Nach wie vor geht ein Großteil unserer Gesellschaft davon aus, dass eine klassische „richtige“ Vergewaltigung z. Bsp. eine Situation widerspiegelt, in welcher ein Fremder mit Hilfe einer Waffe nachts (also im Dunkeln) in einem einsamen Winkel blitzschnell, auf sehr gewalttätige Art und Weise, eine sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehrende Frau, vergewaltigt und ihr gut sichtbare Verletzungen und Kampfspuren zufügt, die im Nachhinein die Tat beweisen. Sobald bestimmte Merkmale dieses kognitiven Skripts nicht vorliegen, nimmt die Anzahl der Befragten ab, die den dargestellten Übergriff als Vergewaltigung klassifizieren, während die Zahl derjenigen steigt, welche dem Opfer mehr Verantwortung zuschreiben.
Warum hast du ein Thema der feministischen Wissenschaft gewählt?
Vorausstellen möchte ich meiner Antwort hier einen Satz aus meiner Arbeit: „Das Fazit ‚Fear of rape is of course a day-to-day concern for many women‘ (Gordon & Riger, 1989) hat auch 2010 nichts an seiner Aktualität verloren.“ Das allein schien mir Grund genug, daneben gab es aber auch noch weitere Überlegungen. Wenn mensch beginnt sich mit der Forschung zu sexueller Gewalt auseinander zu setzen, dann gelangt mensch sehr schnell zu der Erkenntnis, das die Majorität dieser speziellen Forschung aus US-amerikanischen Untersuchungen stammen und hier besonders auf College-StudentInnen fokussieren. Da u.a. kulturell bedingt nicht alle Annahmen aus diesen Untersuchungen auf den deutschen Raum übertragen werden können, war mein Interesse etwas zu diesem Forschungsbereich beizusteuern.
Denn auch in Deutschland haben wir ein sog. Justice-Gap, welches das Phänomen des enormen Schwundes von den zur Anzeige gebrachten Taten bis hin zu einer endgültigen Verurteilung des Täters bezeichnet. Untersuchungen dieser Problematik machen deutlich, dass das Strafdelikt der Vergewaltigung im Gegensatz zu anderen Delikten, wie z. Bsp. Körperverletzung, Diebstahl, Raub etc., seit Jahrzehnten eine Ausnahme in den unterschiedlichen Rechtsprechungen darstellt. In keinem anderen Bereich des Strafrechts werden ähnlich wenig Anzeigen aufgenommen bzw. kommt es zu einer vergleichbaren Anzahl schwindender Anklagen und letztendlichen Verurteilungen der Täter.
Es war für mich unfassbar, dass dieses spezielle Delikt auch nach 30 Jahren Forschung und all dem dadurch angehäuften Wissen zu Vergewaltigungsmythen und deren Auswirkungen auf die Opfer und auch Täter sowohl gesellschaftlich als auch staatlich-hoheitlich immer noch dermaßen ignoriert wird. Als jüngstes Beispiel und Bestätigung dieser Ansicht braucht mensch sich nur einmal die gefühlt täglichen Berichte zu Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe oder zu sog. „korrigierenden“ Vergewaltigungen anzusehen. In vielen Teilen der Welt existiert nach wie vor ein System männlicher Herrschaft, welches sich keinen besseren Schutz wünschen kann, als eine komplette Mythologie bzw. ein vollständiges Regelwerk bestehend aus Lügen und Stereotypen, welches nicht nur die Entschuldigung bzw. das Leugnen sexueller Gewalt durch Männer ermöglicht, sondern gleichzeitig die Schuld des Täters verharmlost und sie dementsprechend zu Ungunsten des Opfers verschiebt.
Leider ist auch hier zu Lande ein systemimmanentes Desinteresse bzgl. sexueller Gewalt gegenüber Frauen offensichtlich, dazu muss mensch sich nur einmal die prekären Bedingungen in denen sich deutsche Frauenhäuser (ein Beispiel unter vielen) häufig befinden, verdeutlichen. Ein weiteres Beispiel ist die Verschleppung einer bundesweiten Einführung der sog. Anonymen Spurensicherung, welche in Nordrhein-Westfalen seit 2002 erfolgreich eingesetzt wird.
Deine Methoden?
In meiner Untersuchung beurteilten RechtsanwältInnen verschiedene Fallvignetten (fiktive Fallbeschreibungen), welche von einer potentiellen Mandantin in Form eines Anbahnungsgespräches dargestellt wurden. Die Szenarien enthielten den Vorwurf der Vergewaltigung durch die potentielle Mandantin, während der Beschuldigte sich auf konsensualen Geschlechtsverkehr berief. Die geschilderten Fälle enthielten bis auf zwei Manipulationen (Beziehungsstatus zwischen Täter und Opfer, Alkoholkonsum bei Täter und/oder Opfer), welche klassische Einfallstore der Strafmilderung darstellen, keine weiteren juristisch relevanten Faktoren. Mithin wurde eine „Aussage gegen Aussage“ Situation konstruiert, welche aufgrund geringer Hintergrundinformationen einen Rückschluss auf zusätzliche Faktoren wahrscheinlich machte.
Mithilfe einer selbst entwickelten Skala zur Erfassung des Commitments wurde die Bewertung der Beispiele durch die ProbandInnen nach Lesen der Fallvignetten erfasst. Unter Commitment wird vorliegend das Engagement bzw. das Bekenntnis zu dem Opfer (der potentiellen Mandantin) durch den/die Rechtsanwalt/Rechtsanwältin verstanden. In der Sozialpsychologie wird der Begriff des Commitments im Allgemeinen mit der Bindung oder dem Standpunkt, den ein Individuum zu einer bestimmten Problematik einnimmt, übersetzt. Zusätzlich wurde die Vergewaltigungsmythenakzeptanz der RezipientInnen mit Hilfe der AMMSA (Skala zur Messung der „Akzeptanz moderner Mythen über sexuelle Aggression“, Gerger et al., 2007) erhoben.
Was sind deine wichtigsten Ergebnisse?
Die Befunde weisen erwartungsgemäß einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Aktivierung von Vergewaltigungsmythenakzeptanz und dem Commitment gegenüber einem potentiellen Vergewaltigungsopfer bei RechtsanwältInnen nach. Das bedeutet, dass mit steigender Vergewaltigungsmythenakzeptanz das Engagement bzw. Bekenntnis gegenüber der potentiellen Mandantin sank. Weitere Ergebnisse legen einen Zusammenhang zwischen der Erfahrung mit Vergewaltigungsopfern aufgrund der beruflichen Tätigkeit von RechtsanwältInnen nahe. Vorliegend konnten, im Gegensatz zu anderen Untersuchungen, keine Nachweise für das Vorliegen unterschiedlicher Vergewaltigungsmythenakzeptanz aufgrund des Geschlechts oder des Alters der RezipientInnen erbracht werden.
Sind Veröffentlichungen geplant? Wo?
Im Moment denke ich nicht über eine weitere Veröffentlichung dieser Arbeit nach. Die Daten wurden allerdings bereits bei mehreren Kongressen präsentiert. Da ich diese Erkenntnisse einer möglichst breiten LeserInnenschaft frei zugänglich machen wollte, greife ich vorerst auf die großartige Möglichkeit des WWW zurück, wo Wissen kostenlos und somit vielen Menschen zugänglich gemacht werden kann. Außerdem habe ich die Arbeit zur Veröffentlichung dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe angeboten (Link).
Susen Werner stellt euch ihre Arbeit zum freien Download zur Verfügung: