CategoryLiteratur-Tipp

Postcards from America #1

P

Noch bin ich nicht in New England, sondern Pennsylvania. Ein charmanter Bundesstaat: Wald, Wildnis und kleine idyllische Doerfer, die als historische Schauplaetze mit Mitteln der Regierung am Leben gehalten werden. Dazwischen Siedlungen, in denen sich identische Haueser endlos aneinanderreihen (einige mit Pool, Tennisplatz und Clubhaus, andere dem Verfall nahe), umringt von Fast Food Restaurants, Walmarts und Giant Stores.

Pennsylvania teilt sich in 67 Counties, unweit von Philadelphia liegt Lancester, die Gegend, in denen nach Ohio die meisten Amish leben. Obwohl man bereits unzaehlige Dokumentation ueber sie gesehen hat, ist es ein seltsames Gefuehl, sie tatsaechlich bei der Ernte rund um ihre charakteristischen Farmen zu beobachten. Bei einer Fahrt durch Lancester County muss man/frau staendig Kutschen, Pferdefuhrwerke oder Maenner auf ihren Tretrollern ueberholen. Maenner, versteht sich, denn die Amish, die jeglichen technischen Fortschritt ablehnen, leben in extrem patriarchalen Strukturen. Dennoch werden sie von vielen Menschen romantisiert: Ein Leben mit Gott, harter Arbeit und Kerzenlicht. Die strengglauebige Gemeinschaft, die sich selbst als auserwaehltes Volk Gottes betrachtet, waechst aufgrund hoher Geburtenraten sogar kontinuierlich.

Die nettesten Plaetze in Pennsylvania findet man/frau abseits der Highways. Lokale Baeckereien (die nicht nur Cupcakes und Cookies verkaufen), stillgelegte Fabriken und idyllische Landschaften. Oder aber Baldwin’s Book Barn in Chester County. Die alte Scheune beherbergt auf vier Stockwerken tausende von gebrauchten Buechern, einige Hauskatzen und gemuetliche Lese-Ecken. Kaum zu fassen, aber wahr: Auch eine Gender Studies Abteilung wurde eingerichtet. Ich darf nun eine abgenutzte Essay Sammlung von Teresa de Lauretis mein Eigen nennen.

Urlaubs-Lektüre

U

In den Bücherregalen meiner Freund_innen und Bekannten stehen meist Romane, die von Männern geschrieben wurden, nur selten reihen sich ein Astrid-Lindgren-Klassiker aus vergangen Tagen oder ungelesene Bachmann-Texte dazwischen. Nun gut, vielleicht auch wenig verwunderlich. Schon in der Schule analysieren wir im Deutsch-Unterricht nur Kafka und Jandl, lesen Goethe, Grass und Handke und auch im Englisch-Unterricht sieht es nicht anders aus. Besonders bemühte Leherer_innen vermitteln vielleicht noch etwas, das sie mit dem Stempel „Frauen-Literatur“ versehen. Schluss damit. Die Denkwerkstatt empfiehlt fünf großartige Romane, die noch dazu urlaubstauglich sind (In diesem Sinne wurden Bachmann und Jelinek ausgeklammert).

Connie Palmen: Die Freundschaft (Diogenes Verlag)
Der meiner Ansicht nach beste Roman der niederländischen Autorin, in dem sie die Geschichte der Freundschaft zweier Frauen erzählt. „Ein brillanter, schnoddriger, ironischer, philosophischer Roman, getarnt als Entwicklungsroman einer Freundschaft“, sagt der Norddeutsche Rundfunk.

Marlen Haushofer: Die Wand (z.B. Ullstein und List Verlag)
Ein absoluter Klassiker, der wichtigste Roman der 1970 verstorbenen Österreicherin. „Eine Frau wacht eines Morgens auf einer Jagdhütte in den Bergen auf und findet sich eingeschlossen von einer unsichtbaren Wand, hinter der kein Leben mehr existiert“, ist im Klappentext zu lesen. Unzählige Werkbesprechungen finden sich im Netz, der atmosphärische, kafkaeske Text lässt viele Interpretationsmöglichkeiten offen und fesselt ungemein. Der Stoff wird im übrigen gerade verfilmt, in der Hauptrolle wird Martina Gedeck zu sehen sein.

Francoise Sagan: Bonjour Tristesse (z.B. Ullstein und Penguin Verlag)
Der Überraschungserfolg einer 18-jährigen Französin, 1954 in Paris veröffentlicht, 1958 verfilmt. Der Roman „machte seine Autorin über Nacht berühmt, brachte ihr aber auch schärfste Kritik wegen seiner angeblichen Unmoral ein: Für ein Mädchen, das frei und zu seinem reinen Vergnügen über seinen Körper auch gegenüber dem anderen Geschlecht bestimmt und seine Sexualität ohne Sorgen oder Schuldgefühle auslebt, war die Zeit zwar langsam reif, aber die Zeitgenossen noch nicht.“

Erica Jong: Fear of Flying (z.B. Signet Verlag)
„Fear of Flying“ ist mir erst begegnet, nachdem ich „Bitterfotze“ gelesen hatte. (Im Buch der Schwedin Maria Sveland wird der 1973 veröffentlichte  Roman mehrmals zitiert.) Obwohl der Roman weit mehr ist als das, wurde er vor allem aufgrund der Schilderungen von Sexualität diskutiert. „Männliche Schriftsteller wie Henry Miller oder Philip Roth konnten schon lange über Sex schreiben. Aber nicht Frauen. Ich wusste zwar, wie viele Vorurteile es gibt, aber nicht, was mich erwarten würde. Ich wurde als Hure und Schlampe beschimpft, in einer Talkshow sagte der Moderator zu mir: ‚Geben Sie es zu – Sie wollen nur im Stehen pinkeln können.'“, sagte Jong dazu dem Stern gegenüber.

Sylvia Plath: The Bell Jar (z.B. Harper Perennial Modern Classics)
Wer Sylvia Plath ist, muss ich an dieser Stelle vermutlich nicht erklären. Und auch ihr Roman wird den meisten Leser_innen bekannt sein. Wer ihn noch nicht zuhause im Regal stehen hat, sollte das schleunigst nachholen. „The Bell Jar tells the story of a gifted young woman’s mental breakdown beginning during a summer internship as a junior editor at a magazine in New York City in the early 1950s. The real Plath committed suicide in 1963 and left behind this scathingly sad, honest and perfectly-written book, which remains one of the best-told tales of a woman’s descent into insanity“, sagt ein Klappentext.

Fußball, Fußball, Fußball

F

Neuigkeiten abseits der Fußball-WM:

Der Quotenantrag der SPÖ-Frauen wurde auf dem gestrigen Bundesparteitag der Sozialdemokrat_innen einstimmig beschlossen: Ab sofort gilt das Reißverschlussprinzip. Bei der Erstellung von Listen rückt also hinter jeden Mann eine Frau und umgekehrt, somit sollen Frauen trotz 40 Prozent Quote nicht mehr auf den hintersten Plätzen landen. Blog Heinisch-Hosek

Ob lesbische Paare gute Eltern abgeben, haben in den USA Wissenschafter_innen untersucht. Die „interessante“ Fragestellung: „Kinder aus homosexuellen Familien (zeigen) eine geringere Tendenz zu aggressivem Verhalten und schneiden bei Wissenstests besser ab. In medizinischer Hinsicht bestehen hingegen keine Unterschiede.“ ORF Science

Und: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist in vollem Gange, neben wochenlangem Mitfiebern und Entspannen bedeutet das auch jede Menge sexistische Werbung und interessante Diskussionsrunden zum Thema Fußball. Fußball ist nämlich zum beliebten Thema der Sozialwissenschafter_innen avanciert: Auf dem Rasen und in der Kabine werden die Inszenierung von Geschlecht, männliche Rituale, Homophobie und Sexismus erforscht. Ans Herz gelegt sei euch etwa die Publikation von Eva Kreisky und Georg Spitaler: Arena der Männlichkeit: Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht

Im Vorfeld der Europameisterschaft 2008 in Österreich hat Eva Kreisky ihre Thesen auch bei einer Konferenz an der Uni Wien vorgestellt – nachzulesen im Archiv des EM-Blogs „Kick08„. Auf „Kick08“ – wo ich selbst mitgearbeitet habe – sind auch andere spannende Beiträge zum Thema Fußball und Geschlecht zu finden. Zum Beispiel hier, hier und hier.

Gastgeberland ist in diesem Jahr Südafrika. Ein besonders grausames Detail: Dort ist es statistisch gesehen wahrscheinlicher, dass eine Frau vergewaltigt wird, als dass sie lesen lernt. Beitrag in der ORF TV-Thek

Morgen in Berlin: Fußball und Homophie, Humboldt-Universität zu Berlin
Interessante Beitrage zum Thema Fußball hat auch die Mädchenmannschaft gesammelt

Buch-Tipps

B

Um beim Thema Weihnachten zu bleiben: Zu den Feiertagen sind Gutscheine (vor allem bei Ratlosen) beliebte Geschenke.  Wer darüber nachdenkt, diese gegen wissenschaftliche Literatur einzutauschen, kann bei den folgenden aktuellen Erscheinungen nicht falsch liegen:

Slavoj Zizek (sic!): Lacan. Eine Einführung (Frankfurt am Main 2006)
Wer sich mit den Gender Studies auseinandersetzt, wird früher oder später auch Jacques Lacan begegnen. Das Werk des 1981 verstorbenen Psychoanalytikers hat nicht nur den Poststrukturalismus, sondern auch die (geisteswissenschaftliche) feministische Theorie geprägt. Leider sind seine Schriften in etwa so zugänglich wie Fachartikel über die Stringtheorie. Der slowenische Kulturwissenschafter Slavoj Zizek schafft es in seiner knappen Einführung dennoch, Lacan zur lustvollen Lektüre werden zu lassen, indem er auf Filme, Werbespots und Krimiserien zurückgreift. Auch Menschen, die sich nicht der Wissenschaft verschrieben haben, werden ihre Freude mit diesem Buch haben. Dass es sich hier um eine „verständliche Erklärung der wichtigsten Grundbegriffe im Denken von Lacan“ handelt, stimmt jedoch leider nicht wirklich. In diesem Fall hilft nur das jahrelange Studium der Orginialtexte weiter…

Bettina Mathes: Under Cover. Das Geschlecht in den Medien (Bielefeld 2006)
Auch „Under Cover“ ist nicht nur für Wissenschafter_innen zu empfehlen und bietet einen neuen, interessanten Blick auf eine symbolische Geschlechterordnung, die die Kulturwissenschafterin im Alphabet, an der Börse, in den Gemälden Vermeers und im Internet aufspürt. Bettina Mathes sucht nach den „körperlichen Ursprüngen dieser Medien, Ursprünge, deren Spuren im kulturellen Unbewussten der abendländischen Kultur wachgehalten werden.“

Robin Bauer, Josch Hoenes, Volker Woltersdorff: Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven (Hamburg 2007)
Masculinity Studies und Queer Studies finden sich viel zu selten gemeinsam in einem Buch – in „Unbeschreiblich männlich“ ist diese Verbindung geglückt. „Die Artikel dieses Sammelbands analysieren die vielfältigen Erfahrungen, die in der sozialen Praxis mit der Konstruktion und Reproduktion von heterosexuellen, homosexuellen und Trans-Männlichkeiten gesammelt wurden, und weisen auf Brüche und Verschiebungen sowie die Gefahren neuer Normierungen hin.“ Hier ist unter anderem zu lesen, was „Metrosexualität“ mit Homophobie verbindet und was es mit Jesus und seinem „Lieblingsjünger“ auf sich hat.

Marie-Luise Angerer und Christiane König: Gender Goes Life. Die Lebenswissenschaften als Herausforderung für die Gender Studies (Bielefeld 2008)
„Gender als Wissenskategorie“, Klasse, Geschlecht, Ethnie – das alles ist passé, meint die deutsche Medienwissenschafterin Marie-Luise Angerer. Jetzt ist es das Leben selbst, das in der Theorie von Interesse sei. Wissenschafterinnen wie Rosi Braidotti, Luciana Parisi oder Manuela Rossini sprechen dabei über eine Post-Gender Welt, Neo-Humans und nomadische Subjekte.  „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird nicht mehr doing gender verhandelt, sondern gender goes life.“ Das alles kommt im Sammelband „Gender Goes Life“ ein wenig wirr daher und auch ein roter Faden ist in den verschiedenen Aufsätzen von Braidotti,Parisi, Verhaeghe und anderen schwierig zu finden – dennoch ist es äußerst interessant, sich in solche Texten zu vertiefen und damit auch mitreden zu können. Schließlich rücken die so genannten „Lebenswissenschaften“ immer mehr ins Zentrum der Gender Studies und scheinen poststrukturalistische und psychoanalytische Zugänge allmählich zu verdrängen…

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