CategoryMännlichkeiten

Der Mann an der Gitarre

D

„Ty IckX“ Harald Noiges ist Gitarrist der Grazer Band „Jerx“ und auch auf dem neuen Album der österreichischen Kult-Formation „EAV“ zu hören. Mit seinen Bandkollegen teilt er sich eine WG in Berlin Wedding und widmet sich trotz abgeschlossenem JUS-Studium ganz der Musik.
Rockmusik ist weiß, männlich und heterosexuell – obwohl sie als „treibende popkulturelle Kraft von 1968“ gilt und E-Gitarren mit „Wut und Unmut genauso wie sexuelle Energie und Entgrenzung“ assoziiert werden, stabilisierte sie schlussendlich dennoch „die Idee des authentischen, weißen, hetero-männlichen Rockstars“, schreibt Queer-Theoretiker Tim Stüttgen. Grund genug einmal nachzufragen. Ein Interview über Männer an der Gitarre und „Rock’n’Roll – Ambitionen“.

„The girls come easy and the drugs come cheap“ – Sieht so der Alltag eines Rockmusiker aus?
Wie auch außerhalb der Rockmusik bleibt es jedem selbst überlassen, Angebot und Nachfrage zu definieren.

Gitarristen gelten als Objekte der Begierde. „Ich finde Gitarre spielende Männer auch mehr sexy als andere“, schreibt ein junges Mädchen in einem Forum. Was hat es mit den Gitarristen auf sich? Macht eine E-Gitarre „männlich“?
Hmmm… Wenn mir eine Bassistin gefällt, ist sie ja auch nicht männlich… Die Frage verdreht der jungen Dame das Wort im Mund: „Sexy“ bedeutet ja nicht unbedingt „männlich“. Dass gewisse Talente anziehend wirken ist ja jedem bereits aufgefallen und keinem von uns fremd. Ich bin auch ohne Gitarre „Mann“ – und sterbe demnach auch statistisch gesehen früher als ihr Frauen.

In deiner Band gibt es nur männliche Musiker – warum?
Schön, dass du dir da so sicher bist… Das hat sich wohl so ergeben… Oder ist es Kalkül? Eine Band ist eine Gesinnungsgemeinschaft. Fakt ist, dass sich Gesinnungen geschlechterspezifisch unterscheiden. Es gibt tatsächlich weniger Frauen mit den selben Rock’n’Roll-Ambitionen wie meine Jungs. Klar gibt es sie. Aber in weitaus geringerem Ausmaß. Das ist wohl soziologisch begründbar.

Und warum denkst du gibt es so wenige erfolgreiche Frauen-Bands im Rock’n’Roll?
Schon wieder so eine seltsame Frage.  Ich hoffe, die sind alle ernst gemeint und zielen nicht darauf ab, den Interviewten an den Pranger zu stellen? Vielleicht kaufen Frauen zu viele Männer-CDs?  Hehe… Deswegen sollte man aber keinen Kaufzwang für gewisse CDs einführen! Bitte nicht! Man sollte der Menschheit ein gewisses Ausmaß an Selbstbestimmung zutrauen. Nein ernsthaft: Eigentlich habe ich diese Frage schon im Laufe der Vorigen beantwortet.

Wie wichtig ist für dich der Erfolg mit deiner Musik?
Nicht unwichtig. Wobei emotionaler Erfolg den finanziellen in Wichtigkeit überragt. Ich denke, dass Erfolg für jede/n Frau/Mann wichtig ist. Die Unterschiede liegen lediglich in der Definition von „Erfolg“ für jeden Einzelnen.

Was fällt dir spontan ein, wenn du das Wort „Männlichkeit“ hörst?
Rülpsende Frauen mit Brusthaaren.

Kannst du dich daran erinnern, schon jemals etwas getan zu haben, um als „männlich“ zu gelten?
Ich ließ mir einen Bart wachsen.

Hast du dich schon einmal bemüßigt gefühlt, deine Männlichkeit verteidigen zu müssen?
Fragst Du das im Ernst einen Musiker, der im Rahmen einer Jerx-Tour Damenstrümpfe an den Armen trug um engstirnigen Geistern etwas zum Gaffen zu geben? Ich fand es (ty)ickxtreeeem lustig… Nein! Sah mich nie genötigt.

Braucht es eine Männerbewegung, um die Bandbreite möglicher männlicher Lebensentwürfe zu erweitern und mit starren Rollenbildern zu brechen?
Starre Rollenbilder brechen sich selbst. Außerdem sind Adjektiva wie „männlich“ oder „fraulich“ nach Ort und Zeit wandelbar – zumindest, solange es nicht die biologische Seite betrifft. Wir sprechen hier von Soziologie. Statt ständiger Gegenbewegungen und Konfrontationen würde ich mir eine Kooperationsbewegung wünschen. Da sollten sich Frauen und Männer dieser Welt angesprochen fühlen. Oder veranstaltet ein Voting! Das ist gerade sehr „in“. Vielleicht sind jetzt einige enttäuscht und hätten von mir als Rockmusiker gerne eine Aussage gehört wie: “Ich habe nichts gegen Frauenbewegungen, solange sie auf mir stattfinden.” Sorry! Auch Männer sind vielschichtig und erfüllen nicht jedes Klischee.

Letzte Frage: Sollen die österreichischen Töchter in die Bundeshymne aufgenommen werden?
Wenn es den österreichischen Töchtern dann besser geht.

Link: Jerx

A****f*** im Hauptabendprogramm

A

Bushido ist in der „gesellschaftlichen Mitte“ angekommen. Der Rapper war bereits in unzähligen Talkshows zu Gast, lacht von der „Bravo“-Titelseite und wird auf Jugendsendern mit Preisen überhäuft; zuletzt entschied sich Bernd Eichinger dafür, seine Lebensgeschichte in Spielfilmlänge zu erzählen. Nach der Wiener Filmpremiere des entstandenen Werks „Zeiten ändern dich“ wurde Bushido vergangenen Freitag auch  in der österreichischen „ZIB 24“ als „Deutschlands bester Rapper“ im Nachrichtenstudio begrüßt. Politiker wolle er werden, erzählte Bushido und gab sich wie gewohnt höflich und sachlich. „Sie haben Recht, natürlich sind die Sachen, die ich mir in der Vergangenheit geleistet habe, nicht glorreich gewesen. Und wir brauchen nicht darüber reden, dass Körperverletzung oder auch Drogenkonsum natürlich illegal und auch nicht vertretbar sind“, erklärte er seine Vergangenheit und verwies auf sein Bemühen, Jugendliche vor seinen eigenen Fehlern bewahren zu wollen.

Dieses Bild des netten, biederen jungen Mannes – wie passe das überhaupt zum Image des Skandalrappers mit den deftigen Texten, fragte Moderatorin Lisa Gadenstätter gespielt provokant. Auf die „deftigen“ Texte ging sie dabei nicht näher ein, vermutlich könnte sie Zeilen wie diese gemeint haben (damit auch alle wissen, wovon hier die Rede ist, gebe ich die  Songtexte hier wieder): (Inhaltswarnung: sexualisierte Gewalt)

„Wie du in deinem Bett sitzt, halbnackt du Dr**ks***k
ich wusste das du so bist, und jeden Dreck f***t
weil du eine Frau bist und man dir in den Bauch f***t
heisst es nicht dass ich dich nicht schlage bis du blau bist.“

Oder aber:

„Ein Sch***z in den Arsch, ein Sch***z in den Mund
Ein Sch***z in die F***e, jetzt wird richtig geb***t.“

Zugegeben, abgesehen von solchen Inhalten in (bereits etwas älteren) indizierten Songs wie „Dreckstück“ fallen Bushidos Texte im Hinblick auf sexualisierte Gewalt und Frauenverachtung fast schon gemäßigt aus – im Vergleich zu seinen Rap-Kollegen. „Aggro-Berlin“ Mann Sido, der gerne bei Stefan Raab auf der Couch sitzt und vom Jugendsender VIVA mit verschiedenen Awards ausgezeichnet wurde, singt in seinem „Arschficksong“:

„Katrin hat geschrien vor Schmerz
mir hats gefallen
ich hab gelernt man kann ne Hand reinschieben
und dann ballen
ich hab experimentiert
Katrin war schockiert
sie hat nich gewusst dass der N***rdildo auch vibriert
ihr Arsch hat geblutet
und ich bin gekommen.“

Oder da wäre noch Kool Savas, der in der Bertelsmann-Kampagne „Du bist Deutschland“ für ein neues Nationalgefühl wirbt und unter anderem gegen Massentierhaltung auftritt. Auf der Bühne singt er über „Ticke Titten Enge Muschi“:

„Ich mach auf künstlich interessiert und N****n denken ich bin nett,
doch wenn ich fertig bin mit rammeln, sieht dein Loch aus wie Kotelette, F****e!
Genug gesabbelt, lass uns fi***n bis es knallt.
Steck‘ die Zunge in mein Ar******h und ich scheiss dir in den Hals.
Hoes die sagen, ich bin träge, animiere ich durch Schläge.“

Nicht nur Bushido – sexistischer Rap ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Musiker wie Bushido, Sido oder Kool Savas werden von den Medien hofiert, sie treten im Hauptabendprogramm auf, diskutieren bei Johannes B. Kerner und predigen an deutschen Schulen gegen Gewalt und Gesetzesbruch.  Und daran scheint sich kaum jemand zu stören. Darauf angesprochen, dass er Frauen in seinen Songtexten häufig als „Nutte“, „Pussy“ oder „Fotze“ bezeichnet, erklärt Bushido Johannes B. Kerner, dass er die Frauen doch eh lieben würde, schließlich sei auch seine Mutter eine Frau. „Aber Herr Kerner, wenn ich ein Konzert gebe stehen neben der Bühne zehn Frauen, die mich noch nie gesehen haben und Sex mit mir wollen, die sind doch nicht zu respektieren“, ergänzt der Rapper. Alle lachen, niemand kontert.

Bushidos Liebe zu seiner Mutter widmete sich nun auch eine erklärte Gegnerin des Musikers – Alice Schwarzer. In einem offenen Brief wendet sie sich auf ihrer Website an den Rapper. Der Hintergrund: Bushido hatte vor einigen Jahren die Einladung zu einer Talkshow, in der Alice Schwarzer Sandra Maischberger vertrat, kurzfristig abgesagt. In einem aktuellen Interview erklärte er nun noch einmal, warum er nicht mit Schwarzer sprechen wolle. „Hey, Bushido, wie waren denn die Titten damals von deiner Mutter? Als du als kleiner Junge daran gesaugt hast“, könnte ihn Schwarzer fragen und damit seinen wunden Punkt treffen. „Ey, Fotze! Fick dich ins Knie!“ – so würde Bushidos Antwort lauten.

In ihrem Brief bedient sich Schwarzer der Sprache des Rappers, bezeichnet ihn als „Muttersohn“ und spielt auf die tunesische Herkunft seines Vaters an. „Indem Schwarzer die Herkunft der Eltern betont, schafft sie es auch implizit, Gewalt zu kulturalisieren“, kritisiert Blog-Autorin Magda die Frauenrechtlerin auf mädchenmannschaft.net. Schwarzer würde Bushidos Sexismus mit Xenophobie begegnen und sich dabei selbst einer diskriminierenden Rhetorik bedienen. Es stellt sich tatsächlich die Frage, was Alice Schwarzer mit ihrem wütenden Text erreichen möchte. Macht es Sinn, sich mit Bushido auf eine Schlammschlacht einzulassen? Wohl kaum. Auch wenn sie es vielleicht tatsächlich geschafft hat, „Deutschlands Rapper Nr.1“ persönlich zu treffen, indem sie auf seine nicht ganz so „harte“ Männlichkeit, die enge Beziehung zu seiner Mutter und seinen Migrationshintergrund zielt. Ändert das etwas am Sachverhalt? Texte, die Frauen erniedrigen und sexualisierte Gewalt verherrlichen, sind (besonders in Hinblick auf die minderjährige Fangemeinschaft) inakzeptabel – egal, von wem sie vorgetragen werden.

Dennoch hat hier offensichtlich ein Prozess der Normalisierung stattgefunden – Kool Savas – Lyrics schockieren nicht mehr, sie sind zum „Style“ der „Rüpel-Rapper“ geworden. „Extrem populär, ein echtes Jugendidol“, so nennt Sony-Chef Berger Bushido. Nur dass die eigene 13-jährige Tochter sich auf den Konzerten der Rapper vergnügt – das wollen die meisten dann doch lieber nicht.

Der schöne Karl-Heinz

D

Wer sich mit der akademischen Männlichkeitsforschung auseinandersetzt, kommt an zwei einflussreichen Arbeiten nicht vorbei. „Die männliche Herrschaft“ von Pierre Bourdieu wird  ebenso wie das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ der australischen Soziologin Raewyn Connell (vormals: Robert Connell) häufig zitiert und bearbeitet (Ansätze der Literatur- und Sprachwissenschaft konnten sich hingegen bisher kaum durchsetzen…).

Und wovon sprechen die beiden Soziolog_innen? Das zentrale Konzept Connells zeigt sich in ihrem „Dreistufenmodell“, „über das sich das soziale beziehungsweise kulturelle Geschlecht im Sinne einer ‚hegemonialen Männlichkeit’ in der westlichen Welt herausbildet.“  Die zentralen Unterscheidungen, in denen Geschlechterverhältnisse organisiert sind, sind laut Connell Macht- und Produktionsbeziehungen und die emotionale Bindungsstruktur. Connell fokussiert dabei vor allem auf die heterosoziale Dimension der Macht:  In der westlichen Welt stelle die bedeutendste Achse der Macht in der Geschlechterordnung die männliche Dominanz und damit die Unterordnung von Frauen dar. In den Produktionsbeziehungen zeigt sich die materielle Macht, die auf einem auf geschlechtlicher Arbeitsteilung basierenden kapitalistischen Wirtschaftssystem beruht. Die emotionale Bindungsstruktur meint schließlich Begehren als geschlechtliche Praxis, die in Form einer Zwangsheterosexualität die Dominanz der Männer stützt. Hegemoniale Männlichkeit sei dabei jene Männlichkeit, die das Patriarchat am effektivsten aufrechterhält.

Pierre Bourdieu legt im Gegensatz zu Connell seinen Schwerpunkt auf die homosoziale Dimension – auf die Beziehungen zwischen Männern. Männlichkeit wird bei Bourdieu als ein relationaler Begriff beschrieben, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblichkeit konstruiert ist, aus einer Angst vor dem Weiblichen. Männer müssen sich in „sozialen Spielen“ gegenseitig ihre Männlichkeit beweisen, die männliche Ehre sowie die Männlichkeit per se muss ständig neu hergestellt und verteidigt werden. Dies geschieht in sämtlichen Gesellschaftsbereichen, vor allem in den Handlungsfeldern der bürgerlichen Gesellschaft, die Domänen der männlichen Dominanz darstellen: Ökonomie, Politik, Wissenschaft, Militär, sowie Vereine, Clubs und Freundeskreise, in denen Männer unter sich sind.

Die beiden Autor_innen begreifen Männlichkeit beide als historisch und kulturell variables Konstrukt, das auf sozialer Ebene permanent hergestellt und verteidigt werden muss – „hegemoniale Männlichkeit“ stellt sich als äußerst komplex dar. Was theoretisch ein wenig sperrig klingt, lässt sich anhand konkreter Beispiele täglich beobachten. Da wäre etwa Karl-Heinz Grasser. Österreichs jüngster Finanzminister (2000-2007) hat schon vor drei Jahren der Politik den Rücken gekehrt, dennoch vergeht kaum ein Monat, in dem Grasser nicht in den heimischen Schlagzeilen auftaucht. Gegen den ehemaligen Minister wird in mehreren Fällen ermittelt, ihm wird unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen. Grasser wird zunehmend mit dem Wort „Skandal“ in Verbindung gebracht – doch das war nicht immer so. Viele Jahre galt der politische Schützling Wolfgang Schüssels als Vorzeige-Erfolgsmensch. Mit 25 Jahren hatte Grasser bereits das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters in Kärntnen inne, als Finanzminister der schwarz-blauen Koalition prägte er die politische „Nulldefizit“-Kultur.

Karl-Heinz Grasser kann somit auf den ersten Blick einer „hegemonialen Männlichkeit“ zugeordnet werden: der österreichischen Mehrheitsgesellschaft angehörig, akademisch gebildet, heterosexuell, ökonomisch erfolgreich und Inhaber einer machtvollen gesellschaftlichen Position. Gekonnt spielte er auch auf der Klaviatur der männerbündischen Strukturen: über einflussreiche Freunde und Bekannte beteiligte er sich an zahlreichen wirtschaftlichen Unternehmungen und begünstigte langjährige Mitarbeiter und Freunde in seiner Personalpolitik. Während Grasser in der „Kronen Zeitung“ als Traum-Schwiegersohn der Nation in Szene gesetzt wurde, war er zugleich Ziel von Angriffen, die mit seiner geschlechtlichen Identität in Verbindung standen. Nicht nur Kabarettisten sprachen vom „schönen Karl-Heinz“ und machten sich über Haargel und Solarium-Bräune lustig, auch in journalistischen Texten waren immer wieder Seitenhiebe auf seine (unterstellte) Attraktivität und seine modischen Vorlieben zu finden. (Grasser ließ sich – oben ohne – sogar für „Vanity Fair“ ablichten.) Schönheitspflege – das ist nach wie vor eine weibliche Praxis. Männer, die (zu) offensichtlich Wert darauf legen, müssen sich nicht zuletzt „dem Verdacht der Homosexualität erwehren“.

Während Karl-Heinz Grasser also auf ökonomischer Ebene seine Männlichkeit „beweisen“ konnte, geriet er zugleich aufgrund „unmännlicher“ sozialer Praktiken unter Beschuss. Diese Situation verschärfte sich, als Grasser 2005 Fiona Swarovski, Erbin der milliardenschweren Kristall-Dynastie, heiratete. Fiona Swarovski ist nicht nur um einige Jahre älter – ihr geschätztes Vermögen übertrifft jenes des Ex-Finanzministers bei weitem.
Wie Bourdieu schreibt, suchen Frauen sich meist einen größeren und älteren Partner, da dies allgemein akzeptierte Zeichen für Reife und Überlegenheit seien. Frauen befänden sich selbst in der paradoxen Situation, keine dominierende Position einnehmen zu können, die Heirat, „bei der sie in den männlichen Gesellschaften von unten nach oben zirkulieren“, biete „einen – oft den einzigen –  Weg zum sozialen Aufstieg“.

Die Ehe mit Fiona Swarovski, die den von Bourdieu geschilderten Strukturen zuwider läuft, bietet somit eine Angriffsfläche, um Grassers Männlichkeit in Frage zu stellen. „Karl-Heinz Grasser, die Frau von Fiona Swarovski“, hieß es unlängst in der Satire-Sendung „Willkommen Österreich“.  „Wer lebt schon gerne auf Dauer vom Vermögen seiner Frau?“, meinte dazu Andreas Mölzer in Anspielung auf die Causa Hypo Alpe Adria. Auch das Komiker-Trio „maschek“ widmete ihm eine Folge und unterlegte einen Auftritt Grassers mit den Worten: „Wuffi, uns geht es gut, wir müssen nichts arbeiten und unser Weibi finanziert uns das Leben.“

Am Beispiel Karl-Heinz Grasser zeigt sich nicht zuletzt, wie sich geschlechtliche Normen historisch verändern. Während der erfolgreiche Banker/Manager lange als Inbegriff von dominanter Männlichkeit galt, hat sich dieses Bild vor allem im Zuge der internationalen Finanzkrise verändert. Erfolg, Macht und Dominanz haben zunehmend den Beigeschmack der Rücksichtslosigkeit, der Gier und gar der Illegalität bekommen – sozial erwünschte „männliche“ Verhaltensweisen  werden somit (ansatzweise) einem Veränderungprozess ausgesetzt. „Hegemoniale Männlichkeit ist kein starrer, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann“, schreibt Raewyn Connell.

Links:
Interview mit Raewyn Connell als Audio-Datei
maschek: Karl-Heinz Grasser mit neuem Job
Interview mit Karl-Heinz Grasser auf standard.at (Video)
Ein fescher Skandalminister“ auf sueddeutsche.de (2003)
Karl-Heinz“ – Song von Christoph&Lollo auf Youtube

Deutsch-Mann, Mann-Deutsch

D

Weihnachten naht, da wird es dem/der einen oder anderen unter euch nicht erspart bleiben, ein so tolles Buch wie Langenscheidt’s „Deutsch-Mann Mann-Deutsch“ unter dem Baum zu finden. Ich wurde bereits (bestimmt in guter Absicht) mit dem genannten Buch und anderen Klassikern wie „Männer essen Fleisch, Frauen essen Gemüse“ beschenkt. Auf Geschlechter-Stereotype hat sich mittlerweile eine ganze Industrie konzentriert: „Männer sind anders. Frauen auch“, „Wie Frauen ticken“, „Warum die nettesten Männer bei den schrecklichsten Frauen bleiben“ – diese Liste ließe sich nahezu endlos fortführen. Einen weltweiten Bestseller landeten zuletzt Barbara und Allan Pease mit „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, in dem sie „ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen“ liefern.

Das Frauenbild, das in solchen Publikationen skizziert wird, lässt sich schnell zusammen fassen: Frauen gehen gerne Einkaufen (am liebsten Schuhe), wollen dauernd reden, haben eine Schwäche für Weiches, Pinkes und Schönes und keinen Sinn für Technik oder die Attraktivität von großen Fleischstücken. Männer schneiden in der Regel noch viel schlechter ab: Sie sind ohne Frauen kaum überlebensfähig (zumindest würden sie dann nicht mehr Duschen, Kochen, Aufräumen oder Familienmitgliedern zum Geburtstag gratulieren), haben keinen Geschmack, was Kleidung oder Inneneinrichtung betrifft, denken dauernd an Sex und lesen im besten Fall eine Sportzeitschrift auf dem Klo.

Nun gut, das Ganze könnte man als (mehr oder weniger) amüsante Lektüre ad akta legen und nicht weiter darüber nachdenken. Aber der explosionsartige Anstieg der Veröffentlichungen zu Geschlechter-Unterschieden kann natürlich kaum als „zufällig“ eingestuft werden. Geschlecht, das ist die relevante Unterscheidung unserer Zeit. Und deshalb suchen die Wissenschaft, die Populär-Wissenschaft und die Kabarettszene nach den Unterschieden zwischen den männlichen und weiblichen Gehirnen und Verhaltensweisen. Das spiegelt sich auch in der Naturwissenschaft, die gerne als objektiv und frei von Ideologie präsentiert wird, wider. Das produzierte Wissen der verschiedenen Fachgebiete  ist jedoch stark historisch und gesellschaftlich verankert – war es im 19. Jahrhundert etwa noch „normal“, nach Unterschieden zwischen verschiedenen „Rassen“ zu suchen, hat eine solche Forschung mittlerweile (zum Glück) völlig an Bedeutung und gesellschaftlicher Legitimation verloren.

Die amerikanische Biochemikerin Anne Fausto-Sterling, die Wissenschaftskritik zu ihrem Spezialgebiet erklärt hat, sieht sich in ihrer Forschungsarbeit die Biologie genauer an und fragt nach den Forschungsdesigns und den Vorannahmen und Erwartungen, mit denen Naturwissenschafter_innen ins Feld gehen. In „Sexing the Body“ zeigt sie zum Beispiel, wie die Erforschung des „corpus callosum“ im menschlichen Gehirn, wo verschiedene Wissenschafter_innen die „weibliche Intuition“ und diverse andere vergeschlechtliche Merkmale lokalisiert sehen, von zahlreichen Ungereimtheiten begleitet wird und einst dazu gedient hat, die Unterschiedlichkeit von Europäer_innen und Afrikaner_innen zu beweisen. Nicht zuletzt sind auch in den Naturwissenschaften Methoden und Ergebnisse äußerst umstritten und weichen mitunter stark voneinander ab – davon ist in diversen Büchern jedoch wenig zu lesen.

Die Denkweise, dass Männer und Frauen unterschiedliche Gehirne haben und deshalb auch über unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen verfügen, erfüllt nebenbei auch ein menschliches Bedürfnis: einfache Erklärungen für sehr komplexe Sachverhalte. „Nicht umsonst ist die Pantomime eine von Männern dominierte Kunst. Denn statt vieler Worte benutzen Männer lieber ihren Körper als Medium. Das erspart ihnen erstens den – in ihren Augen unfairen – Kampf mit der bekanntlich verbal überlegenen Frau. (…) Bisweilen hilft es dann, sich den Mann als Tierchen vorzustellen, weil sein Verhalten oft nicht sehr weit von dem entfernt ist, was man sich im Zoo anschauen kann“, schreiben Susanne Fröhlich und Constanze Kleis in „Deutsch – Mann, Mann – Deutsch“. Weil Männer „tief im Inneren“ eben doch Höhlenmenschen sind.

Als Fazit aus einer solchen Lektüre postet ein Leser auf Amazon: „Wer einsieht, dass Mann und Frau nicht nur verschieden aussehen, sondern auch verschieden denken, wird erkennen, dass sie zwei Teile vom gleichen Ganzen sind!!“ Und diese These wird von verschiedenen Autor_innen (und auch Politiker_innen) immer wieder gerne aufgegriffen: Frauen sind anders, Männer sind anders – deshalb müssen sie sich gegenseitig suchen, finden und ergänzen, um glücklich zu werden. Womit auch die hierarchische Ordnung der Sexualitäten wieder erklärt und begründet wäre…

Link: Reader „Gender, Science and Technology“, Referat Gender Studies Wien

Männer in der Sinnkrise?

M

Noch in den sechziger Jahren hatten es Männer einfacher. Es herrschten klare Rollenbilder: Frauen mussten in erster Linie den Haushalt führen und die Kinder versorgen, und sie waren sozial wie finanziell abhängig von den Männern. Doch dann wurden Geschlechterrollen in Frage gestellt – Eltern, Lehrer und Erzieher bemühten sich, Mädchen die gleichen Bildungschancen zu bieten, und förderten sie gezielt. Der Erfolg blieb nicht aus. Frauen haben inzwischen viele typische Männerberufe erobert, besetzen Führungspositionen, bekleiden bedeutende Ämter„, so Henning Engeln im deutschen Spiegel.

Wir schreiben das Jahr 2009 – und ein klares Rollenbild, an dem sich Männer orientieren können, fehlt. Analog zur Emanzipation der Frauen hat der wortkarge Familienernährer ausgedient, plötzlich herrscht Verwirrung – so der Befund vieler Autoren, die sich mit moderner Männlichkeit auseinandersetzen. Auch die Darstellung von Männern als Mängelwesen oder Auslaufmodelle wird vielfach beklagt: „Noch in den sechziger Jahren sind Männer als Schöpfer der Kultur, Entdecker, Religionsstifter, Weise, Heiler, Ärzte und Philosophen gefeirt worden. Wenn wir heute in Literatur und Medien schauen, dann tritt uns der Mann als Zerstörer, Kriegstreiber, Vergewaltiger, Kinderschänder und Pornograph entgegen“, sagt der Soziologe Walter Hollstein.

Aber hatten es (westliche) Männer in den sechziger Jahren wirklich einfacher? Kann es wirklich erstrebenswert sein, dass der Arzt (wir schreiben 1960), der im Krankenhaus auf Junge oder Mädchen entscheidet, damit auch die Freiheit, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten, auf ein Minium reduziert? Hatte es in den sechziger Jahren ein homosexueller Mann einfacher? Ein Mann, der nicht im im Stande war, in der Erwerbsarbeit seine Erfüllung zu finden?

Dennoch scheinen wenige (schreibende) Menschen die herrschende Orientierungslosigkeit als Chance zu begreifen, um mit starren männlichen Rollenkonzepten zu brechen und eine Vielfalt von Lebensentwürfen denkbar zu machen. Zahlreiche Sachbuch-Autor_innen wollen uns viel eher sagen, dass ein Leben ohne vergeschlechtlichtes Selbstbewusstsein nicht möglich ist. Im Dschungel der geschlechtlichen Verwirrung bieten sie Konzepte an, die auf eine Rückbesinnung auf „traditionelle Werte“ zielen.

Wer etwa das Seminar von Autor Björn Leimbach besucht, kann „seinen Testosteronwert erhöhen“ und vom „netten Jungen zum echten Mann“ werden. Die Botschaft ist klar: Männer sind von Natur aus aggressiv, wollen in Männerrunden Konkurrenz leben und in Partnerschaften die Führung übernehmen. Doch Pädagoginnen, Mütter und Partnerinnen sind auf dem besten Wege, die Männer zu entmännlichen. Step I – IV wollen Männer zu „Herzenskrieger“ machen, Step III zum Thema Sexualität nennt sich da „Sexualität, Potenz und Dominanz.“ Denn eines ist klar: „Auch die meisten Frauen haben auf Dauer wenig Interesse an einem ’netten‘ Mann“.

„Der Typ John Wayne ist oldfashioned, klar. Aber er hatte ein Koordinatensystem. Er wusste, welche Dinge man tut, weil man ein Mann ist. Und er wusste, welche Dinge man nicht tut, weil man ein Mann ist. Und heute? Es gibt allein in Deutschland 41 Millionen Männer. Bei dieser Masse ist die Identitätskrise des Mannes keine Sache von ein paar Therapeutensitzungen in Altbauwohnungen. Die graue, konturlose Masse Mann verklebt die Kraftadern der Republik“, schreiben Andreas und Stephan Lebert in ihrer „Anleitung zum Männlichsein“.

Männer, die den „Verfall“ der Männlichkeit beklagen, sind längst nicht unter sich geblieben. Die Bestätigung der These, dass Frauen „so einen Mann“ nicht wollen, liefern konservative Geister wie Bettina Röhl oder Eva Hermann. Und auch Barbara Rosenkranz scheint sich in ihrem Buch „MenschInnen“ vordergründig um die Gefährdung „wahrer Männlichkeit“ zu sorgen, wenn Jungen in Wiener Kindergärten nicht nur mit Autos und Bausteinen spielen sollen. (Lauert nicht hinter jeder Barbie die Homosexualität?) Was die genannten Frauen selbst machen, gestehen sie Männern nicht zu – als erfolgreiche Autor_innen (und Politikerin) geben sie der Karriere großen Raum in ihrem Leben und konterkarieren damit ihr eigenes Bild der Mutter und Hausfrau (Barbara Rosenkranz gibt als Beruf „Hausfrau“ an).

Angesichts dessen ist die Zeit gekommen, Gegenbilder zu entwerfen und den Verteidiger_innen der „echten Männlichkeit“ nicht die Definitionsmacht zu überlassen. (Mehr zu konservativen Strömungen in der Männlichkeitsforschung das nächste Mal…)

Neueste Beiträge

Neueste Kommentare

Archive

Kategorien