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Raewyn Connell im Interview – Teil 1

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Raewyn Connell gilt als eine der Mitbegründerinnen der akademischen Männlichkeitsforschung, ihr Werk „Masculinities“ (1995) ist das meistzitierte in diesem Feld. Derzeit lehrt die Soziologin an der Universität von Sydney, wo sie einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften innehat. Auf der „Männertagung“ 2011, die Ende Oktober in Graz (Österreich) stattfand, sprach sie mit mir über ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“, rechtskonservative Strömungen innerhalb der Männlichkeitsforschung und skrupellose Manager.

Raewyn Connell
Foto: Männertagung Graz

Bücher wie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit und auch in den Medien sind (angebliche) Geschlechterunterschiede ein Dauerbrenner. Sie haben solche Publikationen in ihrem Vortrag als „knowledge-free zone“ bezeichnet. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg und wie sollten feministische WissenschafterInnen Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?

Diese Bücher geben vereinfachte Antworten auf Fragen, die durchaus viele Menschen beschäftigen. Menschen fragen sich, wie und warum sich Geschlechterbeziehungen verändern und woran sie sich orientieren können. Die populärwissenschaftliche Literatur gibt darauf falsche und irreführende Antworten, aber sie liefert unterhaltsame Antworten. Diese „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ Bücher sind ein wenig mit Horoskopen zu vergleichen: Es werden dir unterhaltsame Geschichten erzählt und „Fakten“ präsentiert, die du bereits zu wissen glaubst – du findest dich darin wieder und wirst in deinen Vorurteilen bestätigt.

Die Ratgeber-Industrie macht so mit der Verunsicherung der Menschen ein gutes Geschäft. Und diese Bücher sind fast allesamt konservativ und anti-feministisch, wir müssen sie also kritisieren. Wir müssen aber auch die Bedürfnisse erkennen, die hier bestehen. Ich bewundere Feministinnen sehr, die es schaffen, in den Massenmedien gute Geschichten zu erzählen und wichtige Problemstellungen einfach und verständlich aufzubereiten. Ich denke, das ist ungeheuer wichtig.

Ihr Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit” ist innerhalb der Männlichkeitsforschung sehr einflussreich, ihr Werk „Masculinities“ ist das meistzitierte in diesem Feld. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Ich denke, das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ ist sehr einflussreich, weil es WissenschafterInnen ermöglicht hat, die Verbindung zwischen verschiedenen Problemstellungen zu erkennen. So wurde etwa sichtbar, dass es nicht nur eine Männlichkeit, sondern sehr verschiedene Männlichkeiten gibt. Außerdem fokussiert es auf Geschlechterbeziehungen, es ermöglichte WissenschafterInnen, zu verstehen, wie Unterschiede zwischen Männlichkeiten mit den Geschlechterbeziehungen zwischen Männern und Frauen verwoben sind.

Außerdem konnten sie über Männlichkeit sprechen, ohne diese zugleich ablehnen oder bestätigen zu müssen; sie konnten erkennen, dass es bestimmte Muster im Konzept Männlichkeit gibt, die äußerst schädlich sind und dass Männer auch alternative Positionen innerhalb der Geschlechterordnung einnehmen können. Wenn wir in einem dichotomen Denken verhaftet bleiben, das die sozialen Gruppen „Männer“ und „Frauen“ getrennt voneinander behandelt, dann können wir auch nicht über Wege nachdenken, wie Männer von Positionen innerhalb des patriarchalen Systems abrücken und wie Allianzen zwischen Feministinnen und bestimmten Gruppen von Männern entstehen können. Ich denke, es fehlte auch an einem Konzept, um über Positionen von homosexuellen Männern innerhalb der Geschlechterbeziehungen nachdenken zu können.

Ich nehme also an, dass die Sprache der hegemonialen Männlichkeiten, der marginalisierten, komplizenhaften und der untergeordneten Männlichkeit eine Analyse von bestehenden Komplexitäten und ein strategisches Nachdenken über potentielle Veränderung von Männlichkeiten ermöglichte. Natürlich wurde mein Konzept in bestimmten Kreisen auch abgelehnt, ich glaube, Queer-TheoretikerInnen mögen es nicht besonders und auch WissenschafterInnen, die eher einen funktionalistischen Ansatz vertreten, können nicht viel damit anfangen.

In der feministischen Wissenschaft bzw. in den Gender Studies herrscht eine rege Diskussion über die eigenen Begrifflichkeiten, über ein „feministisches Subjekt“ und damit verbundene Essentialismen. In der Männlichkeitsforschung scheinen solche Diskussionen eine untergeordnete Rolle zu spielen – würden Sie dieser Beobachtung zustimmen?

Ja, es existiert ein sehr weit verbreiteter, essentialistischer Gebrauch des Konzepts „Männlichkeit“. Einerseits natürlich in populärwissenschaftlicher Rategeberliteratur, aber auch in konservativen, männerpolitischen Gruppen. Ich persönlich habe kein Problem damit, von „Männern“ und „Frauen“ zu sprechen – für mich sind das die Namen sozialer Gruppen. Ich mache mir auch nicht so viele Gedanken über Essentialismus, wie das andere WissenschafterInnen tun – vor allem Queer-TheoretikerInnen, DekonstruktivistInnen und PoststrukturalistInnen versuchen ja, Essentialismus um jeden Preis zu vermeiden. Meiner Ansicht nach brauchen wir uns darüber nicht so viele Sorgen zu machen; nicht, weil wir etwa essentialistisch agieren sollten, sondern weil wir die Analyse von Gender auf anderen Grundlagen aufbauen können.

Ich spreche dabei von Gender als eine Strukturkategorie sozialer Beziehungen. Bei Gender handelt es sich um eine soziale Realität, die ebenso eine historische Realität ist – aber keine biologische. Es ist eine historische Realität bezogen auf die Art und Weise, wie Gesellschaften mit Reproduktion umgegangen sind. Ich sehe eine Gefahr in vehementem Anti-Essentialismus – nämlich, dass wir die menschliche Reproduktion vergessen. In dekonstruktivistischen feministischen Texten kommen Kinder praktisch nicht vor. Sie fehlen einfach – ebenso die Erziehung, die Kinderbetreuung, die Beziehungen zu Kindern. Das ist sehr problematisch, denn bei Gender geht es in erster Linie um reproduktive Körper und um die sozialen Beziehungen, die sich in unserem reproduktiven System abspielen.

Das auszusprechen, heißt für mich nicht, in Essentialismus zu verfallen, sondern in den Realismus. Und es bedeutet dabei keineswegs, automatisch davon auszugehen, dass alle reproduktiven Körper gleich wären, was uns essentialistische Ansätze ja erzählen wollen. Für mich hat dieser Zugang zu Gender das größte Potential, er  ermöglicht auch eine kritische Analyse von Macht, Unterdrückung und Ausbeutung. Und es geht also darum, die Verkörperung sozialer Strukturen zu erkennen und zu verstehen. Wir haben nicht eine dichotome Gesellschaft hier und Köper dort – Gender ist eine soziale Struktur, die in die Körper eingeschrieben ist. Dieses Denken führt uns meiner Ansicht nach weit über essentialistische Positionen hinaus. Vielleicht liege ich auch falsch –  aber so sehe ich dieses Problem.

Demnächst in Teil 2: Männlichkeitsforschung als eigene Disziplin und Krisen-Manager.

Dieses Interview ist bereits  in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift „an.schläge“ erschienen.

Medienkritik – biber

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Eigentlich mag ich biber, das Gratismagazin für „neue Österreicher“. Immer, wenn es vor U-Bahn-Stationen verteilt wurde, war es für mich eine willkommene Alternative zu „Heute“ und „Österreich“,  mittlerweile habe ich es auch abonniert. „biber“ ist  unterhaltsam, zuweilen auch ernsthaft. Gut gemachtes Infotainment – diese Beschreibung trifft es wohl am ehesten. Und gerade, weil ich es eigentlich gerne lese, nervt mich das Magazin gewaltig. Der Grund: natürlich die Darstellung von Männern* und Frauen*.

Männer* sind im Magazin meist coole Rapper, abgebrühte Sportler, Politiker, Türsteher, Ladenbesitzer und Fleischesser. In der Oktober-Ausgabe 2011 wurden da etwa serbische Fußballfans porträtiert (und ihren homophoben Parolen ein großflächiges Foto gewidmet), die Geschichte zweier politischer Aktivisten aus Syrien erzählt und „Serbiens Bushido“ interviewt. Ebenfalls zu lesen gab es eine Story über den ehemaligen Box-Staatsmeister Biko Botowamungo und eine Fotoreportage vom Wiener Fußballplatz. Aber auch Frauen* kommen im Oktober-Heft vor: von Seite drei lacht die rumänische Miss Austria und bei einem Artikel über Fernbeziehungen und Cybersex darf ein Model ihre Brüste in Richtung Kamera pressen.

Klischees sind im „biber“ überhaupt sehr präsent. Was an manchen Stellen vielleicht als Selbstironie durchgehen mag, schlägt schnell in die immergleiche Reproduktion von Geschlechterstereotypen um. Da sind etwa die „Bibericas“, die folgendermaßen charakterisiert werden: „Die typische Biberica ist  selbstbewusst, hat was am Kasten – und viel im Kleiderschrank. Style und Schönheit sind ihr sehr wichtig. Wöchentliche Shoppingtouren gehören neben ihrer Karriere und kulinarischen Zaubereien für die Großfamilie selbstverständlich dazu.“ Außerdem plant sie in Gedanken stets ihre Traumhochzeit, wie immer wieder zu lesen ist, sie will einen Mann, der sich gut kleidet, aber auf keinen Fall mehr Zeit im Bad verbringt als die Biberica. Und sie ärgert sich, wenn der „Schwabo-Mann“ (Österreicher) im Restaurant getrennte Rechnungen verlangt.

Männer* sind hingegen im „biber“ meist verdammt hart und verdammt lässig. Wenn über Rapper berichtet wird (und das kommt ziemlich häufig vor), bekommen diese schon mal die Frage „Ist Sido schwul?“ gestellt (Ausgabe November 2011). In der aktuellen Ausgabe erzählen Türsteher, die „Macht der Nacht“, aus ihrem Berufsalltag. Und weil die aber so richtige Männer* sind, braucht es natürlich eine ordentliche Portion Sexismus und deutlich artikulierte Homophobie. „Trotzdem bleibt der Job gefährlich: ‚Du darfst keine Schwuchtel sein‘, meint der 27-Jährige Ramzee auf die Frage, was die Voraussetzungen für diesen Beruf seien.“ Und an anderer Stelle: „Ein bekannter Moderator, der angeblich heterosexuell ist und eine Freundin hat, macht jedes Wochenende mit einem anderen Typen rum‘, erzählt Mehmet angewidert und wechselt schnell das Thema.“ Was den Türsteher nicht anwidert, ist klar: „Bist du ein geiles Weib, kommst du rein.“

Spätestens bei solchen Stories vergeht mir das Lachen gründlich. Die Redaktion sollte sich wirklich dringend mit den Geschlechterbildern im eigenen Magazin (inklusive Bildsprache) und offensichtlicher und latenter Homophobie auseinandersetzen. Oder gehört das etwa zum Konzept?

Wochenschau

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BIPA verkauft neuerdings hübsche Accessoires, die Frauen zur Selbstverteidigung dienen sollen – Beate Hausbichler hat auf diestandard.at einen sehr guten Kommentar dazu verfasst.

Für die Dezember-Ausgabe der an.schläge habe ich die Männlichkeitsforscherin Raewyn Connell interviewt – im Jänner wird es das Interview in ungekürzter Form auch hier zu lesen geben. Dennoch empfehle ich euch, dieses großartige Magazin zu kaufen – ein Abo würde sich zum Beispiel als Weihnachtsgeschenk für feministisch Interessierte anbieten…

Von der Männertagung in Graz habe ich bereits berichtet – verschiedene Tagungsinhalte gibt es ab sofort auch auf der Tagungswebsite zum Download.

Zwei Veranstaltungshinweise: Am kommenden Samstag findet im 17. Bezirk der „F(l)airmarkt“ statt. Mit dabei werden auch die Strickistinnen sein – kommt vorbei und besucht uns!
Die großartigen femous-Frauen veranstalten am Samstag, den 17. Dezember einen X-mas Music Punch. Details zur Veranstaltung findet ihr hier.

Auf der Mädchenmannschaft könnt ihr wieder Kandidatinnen für die Bloggerin 2011 vorschlagen.

Zum Abschluss möchte ich euch noch einen Film ans Herz legen. Beeilt euch, er läuft nur noch in wenigen Kinos:

Alles Porno

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Auf der Mädchenmannschaft wurde heute ein Link zu einer Umfrage über Pornografie-Konsum gepostet. Ein Thema, das auch mich gerade sehr beschäftigt. Eigentlich bin ich (noch) gar nicht dazu in der Lage, meine Befürchtungen und Kritikpunkte strukturiert zu artikulieren, es sind vielmehr unzählige Fragen, die sich mir stellen. Pornografie, Pornografisierung und Sexualisierung sind zwar Schlagworte, die seit ungefähr zehn Jahren immer wieder in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion auftauchen, aber meist wird da recht oberflächlich diskutiert. Gerade von feministischen Wissenschafter_innen werden diese Themen meiner Ansicht nach vernachlässigt – obwohl sie uns doch alle betreffen. Ja, wir sollten etwas dazu zu sagen haben.

Aber einerseits sind da der 80er Jahre Feminismus und die psychologische Medienwirkungforschung, mit der wir uns nicht identifizieren möchten und die auch zu Recht kritisiert werden. Pornografie per se als Frauenunterdrückung zu definieren, wie das etwa Dworkin und Mac Kinnon getan haben, kann nicht die Antwort auf dieses komplexe kulturelle Phänomen sein. Und im Rahmen von Medienwirkungsstudien werden oft die falschen Fragen gestellt. „Werden Pornografiekonsumenten zu Vergewaltigern?“ – diese Frage beinhaltet bereits äußerst problematische Vorannahmen, sodass sie wohl kaum dazu geeignet ist, brauchbare bzw. differenzierte Forschungsergebnisse hervorzubringen.

Auf der anderen Seite kann ich auch mit vielen kulturwissenschaftlichen Zugängen nicht viel anfangen. Wenn da etwa der aktive Umgang von (aktiven!) Rezipientinnen mit pornografisierter Kultur untersucht und herausgefunden wird, dass junge Mädchen ihre eigenen Wege entwickelt haben, damit umzugehen und nicht als „Opfer“ definiert werden können, dann frage ich mich: Und was nun? Was tun mit diesen Erkenntnissen? Ist hier Systemkritik zu finden?

Irgendwie muss es auch ein Dazwischen geben – zwischen totaler Ablehung und „anything goes“. Mir selbst bereiten verschiedene Entwicklungen Unbehagen. Zum Beispiel der Porno Chic in der Popkultur. Diese Pimp-Kultur, die sich in Musikvideos, Perfomances, Bühenshows, Filmen und Werbung durchgesetzt hat, vermittelt ein Bild, das (sprachlose) Frauen im Bikini oder knappen Outfit fast schon als unerschöpfliche Ressource darstellt. Egal, was da über den Bildschirm flimmert, wer etwas auf sich hält, wird von einem Tross von fünf bis zehn weiblichen Models begleitet. Wachsen diese Frauen eigentlich auf den Bäumen? Wer sind diese Frauen? Wissen wir irgendetwas über die Frauen, die sich in den Musikvideos des Porno-Regisseurs Snoop Dogg räkeln?

Sie waren wohl schon immer da. Normal. Mainstream. Deshalb finden es junge Frauen und Männer wahrscheinlich auch nicht mehr ungewöhnlich und erfreuen sich an den pornografisierten Videos von Britney Spears und Co. „Die Frauen machen es doch freiwillig“ ist ein Argument, das mir häufig begegnet. Für mich ein Null- Argument. Abgesehen davon, dass ich trotzdem nicht jeden Tag von (heterosexistischer) Pornografie umgeben sein möchte, gibt es sehr viel, das von Menschen freiwillig gemacht wird und nicht alles, was Frauen machen, ist toll. Oder wollen wir etwa, dass Eva Herman und Barbara Rosenkranz politisch einflussreich agieren können?

Ich möchte auf keinen Fall den Begriff des „falschen Bewusstseins“ bemühen, aber da gibt es doch zum Beispiel die Theorien von Pierre Bourdieu, die sich damit auseinandersetzen, wie Menschen soziales Kapital erwerben und sich um Aufstieg und Ansehen in einem System bemühen und dazu die Mittel nützen, die in diesem System zu Belohnung führen. Aber vielleicht mögen wir auch in einem System der unzähligen „Post-…“-Phänomene explizite Kritik nicht so gerne. Und wir sind gerne zynisch und decodieren kulturelle Codes auf ironische Weise. Pornographie kann ganz schön cool sein.


Clinique Werbung. Oh, right, I get it.

In Österreich ist etwa Renee Pornero eine Zeit lang von den Medien recht hofiert worden. Über die ehemalige Pornodarstellerin und Pornoproduzentin kann und möchte ich nichts sagen, aber den Umgang mit ihr finde ich doch ziemlich symptomatisch. Pornero bloggt (als eine der wenigen Frauen) auf dem beliebten österreichischen Blog „ZiB21“ und wird dort folgendermaßen vorgestellt: „Als ‚Ösimösi‘ anfangs nur der deutschen Szene ein Begriff, eroberte sie vor wenigen Jahren auch den für Porno relevanten Stadtteil von Los Angeles, was in Filmen wie ‚Throat Gaggers‘ (Rachenputzer) bis heute eindrucksvoll dokumentiert wird. Ihr Markenzeichen war von Anfang an ihre bemerkenswerte Kehrseite und ihre Haltung war stets von den zwei Worten ‚No Limits‘ geprägt.“

Nun, ich habe diesen Pornotitel in eine Suchmaschine eingegeben und bin auf ein Video gestoßen, in dem zwei Frauen würgen, um Luft ringen, weinen und spucken. Währenddessen werden sie von zwei Darstellern beschimpft, deren Gesichter (wie so oft in „Gonzo“-Pornos) nicht zu sehen sind. Was dort also „eindrucksvoll dokumentiert“ wird, erzeugt bei mir eher Übelkeit. Wenn ich deshalb „sexualitätsfeindlich“ sein soll, dann läuft mit den Begrifflichkeiten meiner Meinung nach etwas falsch. Auch viele andere Dinge in Mainstream-Pornos gefallen mir nicht. Zum Beispiel die Darstellung von lesbischem Sex. Wobei hier „lesbisch“ wohl das falsche Adjektiv ist, denn Sex zwischen Frauen gehört in den meisten Mainstream-Pornos zum Standard-Repertoire und dient eher zur Belustigung der Pornodarsteller, die den Frauen dann geben, was sie „wirklich“ brauchen.

Und um doch noch einmal auf mögliche Medienwirkungen zurückzukommen – mir sind schon viele Männer begegnet, die beim Wort „Lesbe“ an zwei nackte Models mit künstlichen Fingernägeln denken. Was Pornofilme Männern erzählen, an die sich zu 99 Prozent richten, ist ebenfalls ein eigenes Kapitel. Sie scheinen ausschließlich aus einem dauerharten Penis zu bestehen, der von (mehreren) Frauen bearbeitet wird, andere Bedürfnisse scheinen erst gar nicht zu existieren.

Und wenn ein Großteil der Pornofilme nach diesem Rezept produziert werden, dann ist es auch ziemlich egal, dass es „so ziemlich alles“ auf dem Markt gibt. Die Tatsache, dass es anspruchsvolle Kunstfilme gibt, hat die Qualität von Action-Streifen auch nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, die Konsument_innen sind zunehmend abgestumpft, neue Reize müssen her.

Und worauf wollte ich jetzt eigentlich hinaus? Ich denke, dass wir neue (theoretische) Zugänge zu diesem Themenkomplex brauchen,  gezielte Aufmerksamkeit, neue Begrifflichkeiten, eine andere Sprache. Und eine breite öffentliche Debatte, die über Kinderschutz, Sexualitätsfeindlichkeit und Pornosucht hinausgeht. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass da gerade etwas an uns vorbeizieht. Was meint ihr dazu? Ich werde erst mal weiter nachdenken…

Frauenmangel

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Auf orf.at wurde gestern vor einem „Frauenmangel mit ungeahnten Folgen“ in verschiedenen Ländern Asiens gewarnt. In Indien kommen derzeit 112 Männer auf 100 Frauen, in China ist das Verhältnis 118 zu 100. Grund dafür ist unter anderem die gezielte Abtreibung von weiblichen Föten, die Aktion „50 Million Missing“ in Indien spricht von einem „Female Genocide“ – zum Problem der selektiven Abtreibung kommen grausame Gewalttaten und Ermordungen von Frauen durch Partner oder Familienangehörige hinzu.

Worüber sich Journalist_innen und Bevölkerungswissenschafter_innen nun aber Gedanken machen, sind die Auswirkungen dieses „Frauenmangels“ auf (asiatische) Männer. Die „alarmierende Maskulisierung“ könne nämlich „in den kommenden 50 Jahren einen ähnlich starken Effekt auf die Erde haben wie der Klimawandel.“ Konkret sei das Problem der „Heiratsengpass“, der da auf (junge) Männer zukommt. Die prognostizierten Folgen: Prostitution, Sextourismus, Frauenhandel und sogar kriegerische Auseinandersetzungen.

„Die Politikwissenschaftlerinnen Valerie Hudson und Andrea den Boer gingen in einer umstrittenen These gar so weit zu behaupten, dass asiatische Länder mit Frauenmangel eine Gefahr für den Westen darstellen: Gesellschaften mit starkem Männerüberschuss seien nur durch autoritäre Regimes zu regieren, die häusliche Gewalt eindämmen und sie quasi exportieren – in Kolonien oder einen Krieg.“

Was erzählt uns ein solcher Artikel? Männer (die natürlich allesamt heterosexuell sind) haben ein „natürliches Anrecht“ auf eine Ehefrau. Bekommen sie diese nicht, reagieren sie mit Gewalt und können nur noch von Diktatoren im Zaum gehalten werden. Die Frage nach äußerst problamtischen Formen von Männlichkeit in verschiedenen Gesellschaften wird erst gar nicht gestellt – Männer scheinen „von Natur aus“ so zu sein. Immer wieder werden sie als tickende Zeitbomben präsentiert, die explodieren, wenn die notwendigen Ventile (wie Sex mit Frauen, gut bezahlte Erwerbsarbeit und männliche Autoritäten) fehlen. Frauen spielen in solchen Szenarien die Rolle einer „Ressource“ auf dem Heiratsmarkt, wie der Begriff „Frauenmangel“ es schon anschaulich v0r Augen führt.

Ein solcher Zugang zu Problemstellungen ist nicht nur oberflächlich und biologistisch / essentialistisch, sondern angesichts der Gewalt, die etwa Frauen in Indien erfahren, auch grausam zynisch.

This Week

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Brustkrebs-Vorsorge ist in. Die rosa Schleife ziert diverse Produkte und Veranstaltungen, auf Facebook posten Userinnen die Farbe ihrer Unterwäsche. Ina Freudenschuss hat auf diestandard einen Artikel zu diesem „pink washing“ veröffentlicht: Der Schatten der Rosa Schleife
Lesenswert!

Artikel über die Männertagung in Graz wurden auch in der „Presse“ und in der „Kleinen Zeitung“ veröffentlicht. Vorsicht, die dazugehörigen User-Kommentare lehren das Fürchten!

Tipp: „Meine Seele hat kein Geschlecht“ – ein sehr sehenswerter Film über Transmänner, der auf ARTE gesendet wurde. (via Mädchenmannschaft u.a.)

„Feminist Mum“ Antonia hat auf ihrem Blog über Mutterschutzbestimmungen nachgedacht: Link

Einen Bericht über den Vienna Slutwalk findet ihr auf FM4.at.

Zur problematische Berichterstattung rund um die Ermordung von Frauen durch ihre Partner habe ich erst kürzlich einen Blogeintrag verfasst. Auch diese Woche bestätigt sich meine These wieder: „Tödlicher Beziehungsstreit“ vs. „Mann erstochen

Der neueste Beitrag von Feminist Frequency widmet sich diesmal der Darstellung von Feministinnen – wie immer sehenswert!

Wenn Männer tagen

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Warum sich Feministinnen mit der Männlichkeitsforschung und Männerberater mit dem Feminismus auseinandersetzen sollten

Vergangene Woche feierte die Männerberatung Graz ihr 15-jähriges Bestehen, anlässlich des Jubliäums wurde die österreichische „Männertagung“ erstmals in der Steiermark (an der Fachhochschule Joanneum) abgehalten. Auf diese beiden Tage hatte ich mich schon sehr gefreut, da unter anderem Raewyn Connell zu Gast war und Männlichkeitsforschung zu meinen Schwerpunkten innerhalb der Gender Studies zählt.
Was mich schließlich auf der Veranstaltung zum Thema „Diversität von Männlichkeiten“ überraschte, waren nicht unbedingt die Vortragenden, sondern vielmehr einzelne Besucher. Aber erst einmal der Reihe nach.

Am Donnerstag hielt Raewyn Connell, die wohl weltweit am häufigsten zitierte Männlichkeitsforscherin, einen Vortrag und legte dabei ihren Schwerpunkt auf globale Dimensionen der Geschlechterforschung. In ihren jüngsten Publikationen setzt sich die Soziologin mit der westlichen Dominanz in der globalen Wissensproduktion auseinander – ein Thema, das von feministischen Wissenschafter_innen schon lange diskutiert wird. Dass sich eine einflussreiche Universitätsprofessorin wie Connell des Themas annimmt und versucht, konkreten Forschungsprojekten in Südafrika, Chile und dem Iran zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, kann eigentlich nur positiv bewertet werden.

Redebedarf

Am Nachmittag diskutierten wir schließlich in einem der Workshops ein aktuelles Projekt der Männlichkeitsfoscherin zu „business men“. Während sich vor allem Studierende, die zur Tagung angereist waren, mit theoretischen Fragestellungen auseinandersetzten, wurde recht bald klar, dass sich die meisten Männer für andere Themen interessierten. „Wenn ich bei Besprechungen als einziger Mann teilnehme, lassen mich die Frauen genauso nie zu Wort kommen. Oder sie akzeptieren nicht, was ich sage“, erzählte ein Teilnehmer, der in der Männerberatung tätig ist. Überhaupt bestand bei vielen Teilnehmern ein großer Redebedarf, für den vielleicht ein eigenes Format vonnöten gewesen wäre.

Dieser Umstand war im Grunde absolut nachhvollziehbar für mich: Über Männlichkeiten und Männer zu reden, das ist etwas Neues, Interessierte brauchen Möglichkeiten und Räume, um sich austauschen zu können. Die Thesen, die manche Teilnehmer allerdings während der Tagung zum Besten gaben, waren äußerst problematisch. Ein Vertreter des deutschen „Bundesforum Männer“ erzählte etwa, dass er Männer dazu ermutige, sich mit Geschlechterrollen zu beschäftigen, da Frauen über ein wichtiges Privileg verfügen würden: Freizeit (Vielleicht, so hoffe ich, konnte er sich aber auch auf Englisch nicht so gut ausdrücken, wie er das gerne gewollte hätte).

Thomas Gesterkamp, der unter anderem zu Männerrechtlern und deren dubiosen Aktivitäten im Internet forscht, sprach am Freitag über die „Krise der Kerle“ und bemühte trotz kritscher Grundhaltung diverse sexistische Klischees und Allgemeinplätze: Arbeitslose „Unterschichtsmänner“ sind doppelte Verlierer und finden aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit keine Frauen. So werden sie auch nicht in Partnerschaft und Ehe „erzogen“ und landen schließlich im Wettbüro. Und Jungen werden in den Schulen doch irgendwie nicht richtig behandelt. Etwa, weil der „männliche“ Bewegungsdrang von den Lehrerinnen als Störfaktor verurteilt wird. Auch der „Boys‘ Day“ sei irgendwie unfair: Während Mädchen spannende Betriebe besichtigen dürfen, müssen Jungs Nudeln kochen oder werden in den „Nähparkour“ geschickt.

Überhaupt fehlte auf der Tagung der Wille zur (theoretischen) Reflexion. Das wurde besonders eindringlich sichtbar, als schließlich Erich Lehner seinen Vortrag hielt. Der Pädagoge und Psychoanalytiker hat sich bereits in diversen (rechten) Männerkreisen äußerst unbeliebt gemacht, da er sich intensiv mit dem Feminismus auseinandersetzt und sich klar gegen die automatische gemeinsame Obsorge ausspricht. Wenn Väter ihre Versorgungspflichten vor einer Scheidung nicht erfüllen, können sie nicht nach einer Trennung Rechte fordern – diese These vertritt Lehner und erzählt in seinen Vorträgen und Vorlesungen von engen Vater-Kind-Beziehungen, die durch Pflegetätigkeiten entstehen.

Rotes Tuch Feminismus

Nachdem er bei der Männertagung davon gesprochen hatte, dass Männerarbeit immer pro-feministisch sein und Männerpolitik einer Frauenministerin unterstellt sein müsse, wurde es unruhig im Saal. Unzählige Hände schnellten in die Höhe, als schließlich Fragen gestellt werden durften. Ein Universitätsprofessor von der Uni Innsbruck konnte seinen Ärger kaum verbergen: Pro-feministisch, das sei doch völliger Blödsinn. Er habe nämlich schon mit Feministinnen gesprochen. „Die verleugnen die Zweigeschlechtlichkeit! Unglaublich! Sitzen wir als Männer und Frauen hier, oder was?“ Dann erzählte er von seinen Experimenten in Kindergärten, wo sich Jungs förmlich auf Männer stürzen würden. Dann wälzen sie sich angeblich am Boden und können ihrer Männlichkeit so freien Lauf lassen. Sein Resümee: „Es gibt ganz klar viele Unterschiede zwischen den Geschlechtern!“

Ein anderer Teilnehmer, der in einer Männerberatung in Innsbruck arbeitet, erregte sich ebenfalls sehr über Lehners Vortrag. „Wenn ich diese wissenschaftlichen Sachen schon sehe, wird mir ganz anders. Defizit, Defizit, Defizit“, sagte er, während einige Männer zustimmend applaudierten. Er versuche, Männern positive Zugänge zu vermitteln, das Ganze müsse einfach Spaß machen.

Was immer wieder auffiel, war der Umstand, dass das Wissen um Feminismus / feministische Theorien und auch Männlichkeitsforschung bei vielen Teilnehmern, die sich zu Wort meldeten, äußerst mangelhaft war. Dass sich manche sogar offen von wissenschaftlichen Zugängen distanzierten, stimmte mich zusätzlich nachdenklich. Gerade in Männerberatungseinrichtungen, wo wichtige Arbeit zu den Themen Gewalt, Beziehung, Trennung und Gesundheit geleistet wird, sollte akademisches Wissen zur praktischen Anwendung kommen.

Männerproblem Scheidung

Männer, die vor einer Scheidung stehen oder diese bereits hinter sich haben, sind jene Männer, die am häufigsten eine Beratungsstelle aufsuchen. In einem Workshop zu Trennungskonflikten und Vaterschaft erzählten Mitarbeiter der Männerberatung Graz und Linz am Freitag Nachmittag aus der Praxis. (Automatische) gemeinsame Obsorge ist ein Thema, das unweigerlich polarisiert, so auch bei der Männertagung. Nach kurzer Zeit entstanden Streitgespräche, die allerdings von den  Diskussionsleitern abgefangen wurden. Viele Männer würden erst nach der Scheidung merken, was sie eigentlich verloren haben, erzählte ein Sozialarbeiter. Bei seiner Arbeit erlebt er die unterschiedlichsten Fälle: Väter, die über das Sorgerecht ihre Frauen weiterhin kontrollieren möchten und auch Väter, die sich aufrichtig um ihre Kinder kümmern möchten.

Wie Beispiele aus anderen Ländern zeigen, können viele Sorgerechtsstreitigkeiten in Gesprächen bei Familienberatungsstellen gelöst werden. Worauf sich in der Runde alle einigen konnten, war die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Männer- und Frauenberatungsstellen und Kinderanwaltschaften. Auch gelte es, gegen herrschende Stereotypen anzukämpfen: die Frau, die unbedingt ein Besuchsrecht unterbinden möchte und der Mann, der sich nicht um seine Kinder kümmert.

Ministerbesuch

Als am Freitag auch Sozialminister Hundstorfer auf einen Besuch vorbeischaute, erhielt Raewyn Connell einen Einblick in österreichische Gepflogenheiten. Von fünf Mitarbeitern begleitet betrat der SPÖ-Minister das Audimax, bevor er auf die Bühne geholt wurde, hielten der Rektor der FH Joanneum und ein Vertreter der Stadt Graz (die beide zuvor nicht an der Tagung teilgenommen hatten) Begrüßungsreden. Jener Redner, der Bürgermeister Nagl (ÖVP) vertreten sollte, war angsichts des Themas „Diversität von Männlichkeiten“ nicht gut gebrieft worden: Er erzählte von muslimischen Migranten in Graz, Zwangsheirat und österreichischen Frauenrechten.

Der Sozialminister gab schließlich einen kurzen Abriss der Geschichte der männerpolitischen Grundsatzabteilung und versicherte uns Österreicher_innen, dass er uns von der Wiege bis zur Bahre begleite: „Wenn jemand im Spital geboren wird, haben wir das Arbeitsrecht für die Hebamme geregelt und wenn ihr beerdigt werdet, kontrolliere ich auch die Aufzeichnungen vom Bestattungsamt.“ Kritischen Fragen aus dem Plenum gegenüber zeigte er sich völlig entspannt – auch gegenüber Forderungen nach mehr Geld für Beratungseinrichtungen: „Wisst’s eh, ich brauch‘ euch hier ja kane G’schichterln erzählen.“ (Wie in der abschließenden Runde berichtet wurde, lieferten der Ministerbesuch und „Hegemoniale Männlichkeit auf der Männertagung“ noch Stoff für einen Workshop mit Raewyn Connell zu aktuellen Themen der Männlichkeitsforschung.)

Was bleibt

Für mich persönlich war es besonders interessant, im Rahmen der Tagung Einblick in die österreichische „Männerszene“ zu bekommen. Was meiner Ansicht auf jeden Fall noch ausständig ist, ist eine umfassende Akademisierung und Theoretisierung: Wer sich mit „Gender“ befasst, muss auch wissen, was das eigentlich ist. Auch eine feministische Grundbildung bräuchte es: Der (akademische) Feminismus hat in den vergangenen Jahrzehnten eine unglaubliche Fülle an Theorien und Konzepten hervorgebracht, die sich auch als äußerst praktisch für konkrete politische Arbeit erweisen. Andererseits ist auch eine feministische Einmischung notwendig – Männlichkeitsforschung wird derzeit innerhalb der Gender Studies eindeutig vernachlässigt.

Beide Forschungsschwerpunkte widersprechen sich nicht – ganz im Gegenteil: im Sinne einer Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit ergänzen sich die Ansätze; wie zahlreiche Studien zeigen, leiden Frauen und Männer unter traditionellen Männlichkeitsbildern.

Zu sagen bleibt zudem, dass ich während der Tagung auch sehr interessante und differenzierte Gespräche geführt habe – oftmals sind es ja leider die negativen Erlebnisse, die stärker in Erinnerung bleiben. Besonders nett beendete ein Vertreter des Organisationsteams die Männertagung: „Unsere Tagung wurde im Vorfeld von Männerechtlern ja als ideologisches Onanieren bezeichnet. Ich möchte ihnen ausrichten: Es hat Spaß gemacht!“

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