CategoryMännlichkeiten

Das „Eigene“ und das „Fremde“

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In diesem Semester habe ich ein Seminar belegt, in dem wir uns mit Männlichkeiten und Ethnizität auseinandersetzen müssen. Ich bin in der Werbungsgruppe gelandet und habe mich auf die Suche nach verschiedenen Spots mit sexualisierten Darstellungen gemacht. Fündig bin ich sogleich – wie könnte es anders sein – in der Welt des Fußballs  geworden. Seht euch die beiden Spots mit Didier Drogba und Cristiano Ronaldo an. Und vergleicht die Musik, die Kamerapositionen, die Schnitte, die Kleidung, Bildausschnitte. Ich denke, sie sprechen für sich selbst (ohne dass weitere Erklärungen notwendig wären).

Missbrauch, Kirche, Macht

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Sexueller Missbrauch und Macht sind untrennbar miteinander verbunden. „Sexueller Mißbrauch ist Gewalt in Machtstrukturen und kein Sex. Deshalb ist die Frage nach sexueller Gewalt nicht nur, aber zu aller erst, eine Frage nach der Macht“, schreibt Bastian Dietz im Leserartikel auf Zeit Online. Insofern bieten hierarchische Institutionen wie die Kirche, Schulen, Internate – und nicht zuletzt, sondern zu allererst die Familie –  den Nährboden für (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder, die auf Machtmissbrauch beruht.

In den unzähligen Medienberichten, die derzeit zu diesem Thema auftauchen, wird jedoch häufig mit Stereotypen gearbeitet, die die kriminellen Handlungen in einen falschen Kontext stellen oder haarsträubende Schlüsse nahelegen. Der Standard Online berichtete heute über Vorwürfe der psychischen und körperlichen Gewaltausübung bei den Florianer Sängerknaben in Oberösterreich: „Schläge, stundenlanges Stehen in der Ecke oder Knien vor dem Pult, wenn man geschwätzt habe. In den Unterkünften hätten ‚lagerähnliche‘ Zustände geherrscht“.

Und weiter wird aus der APA-Meldung zitiert:

„Der Präfekt habe die Kinder aber nie sexuell belästigt, denn er habe eine Freundin gehabt.“

Der Artikel erzählt uns also, dass der betroffene Geistliche die Sängerknaben nur deshalb nicht sexuell belästigt habe, weil er sich in einer (heterosexuellen) Beziehung befindet und es deshalb offensichtlich nicht nötig hat, seine „sexuellen Triebe“ an den Kindern zu befriedigen. In einem solchen Satz sind verschiedene Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht zu finden. Er zeichnet das Bild eines Mannes, der über einen „unzügelbaren“ Sexualtrieb verfügt und diesen an einem Objekt befriedigen muss, sei es eine Frau, oder eben ein Kind. Eine solche Vorstellung passt ebenso zu der Forderung, das kirchliche Zölibat abzuschaffen, um Kindesmissbrauch zu verhindern. Der Täter (es gibt natürlich auch einzelne Täterinnen, doch ich beziehe mich hier auf eine Vorstellung, die üblicherweise Männern zugeschrieben wird) wird so zum Opfer seiner Triebe stilisiert – eine solche Argumentation tritt auch in anderen Zusammenhängen auf: Immer wieder stoße ich auf die Aussage, dass Frauen die Prostitution zugute komme, da die Freier ohne die Möglichkeit des käuflichen Sex andere Frauen (Nicht-Prostituierte) vergewaltigen würden.
Auch wenn das Zölibat, wie Psycholog_innen anmerken, eine gestörte sexuelle Entwicklung begünstigen kann, würde dessen Abschaffung das Problem des sexuellen (Macht-)Missbrauchs wohl kaum aus der Welt schaffen.

Zugleich werden Frauen in einer solchen Vorstellung zu Objekten der sexuellen Erfüllung:  Der Artikel suggiert, dass die Freundin des Präfekten aufgrund ihrer sexuellen Beziehung zum Betroffenen seine „Triebenergie“ auf sich lenken und somit einen möglichen Kindesmissbrauch verhindern konnte.

Missbrauch und Gewalt, die sich gegen Schwächere richtet, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schon die Frauenbewegung der 70er Jahre zu einem ihrer wichtigsten Anliegen machte. Es muss als ein strukturelles Problem erkannt werden – ob in der Familie oder innerhalb der katholischen Kirche, die sich noch lange mit Machtmissbrauch, Hierarchie und Unterdrückung der Frauen auseinander zu setzen haben wird.

In den Medien

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Interessante Artikel aus den vergangenen Wochen:

„Eine Chimäre stellt die traditionelle Theorie der Geschlechtsentwicklung infrage“ schreibt Robert Czepel auf science.orf.at.  Neuer Stoff für Anne Fausto-Sterling: Biolog_innen suchen bei Hühnern jetzt nach der Geschlechtsidentität auf der Ebene der Zellen. Link

85 Prozent der abgelehnten Anträge auf Notstandshilfe in Österreich betreffen Frauen. Nachzulesen auf standard.at. Link

Tina Groll titelt in der „Zeit“: „Frauen müssen auf junge Väter setzen“ Link

Ebenfalls in der „Zeit“ berichtet Johanna Kutsche vom Männerkongress „Neue Männer – Muss das sein?“ Link

Im „Spiegel“ inspirierte der Kongress Jens Lubbadeh zum Text „Frau muss man sein!“. „Jungen müssen in der Schule ihre Körperlichkeit und Aggression einbringen können“ wird da unter anderem behauptet. Link

87 Prozent der Autor_innen auf Wikipedia sind Männer – darauf weist EMMA-Journalistin Susanne Patzelt in „Nichts wie rein ins Internet“ hin. Link

Die „taz“ lieferte zum Internationalen Frauentag Sonderseiten zum Thema Männer ab. Da wurde unter anderem vom „Neuen Mann“ als „scheues Reh“ berichtet. Link

„Richtige“ Männer, abwesende Väter und Johnny Depp, Teil 2

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Und hier Teil 2 des Interviews:

Dein Buch trägt den Titel „Liminal Masculinities“ – Was kann man/frau sich darunter vorstellen und was war dein Forschungsinteresse daran?

Ursprünglich habe ich gedacht, dass es zu Männlichkeiten und Film noch sehr wenig Arbeiten gibt – aber ich musste feststellen, dass das gar nicht stimmt. Besonders zu historischen Aspekten, aber auch zu marginalisierten Männlichkeiten – also zur Frage: Wo werden im Mainstream-Kino bestimmte Männlichkeiten benachteiligt: schwule Männer, schwarze Männer oder Männer aus der dritten Welt zum Beispiel. Aber für mich war dann die Frage spannend, wo diese Trennlinie zwischen einer normativen Männlichkeit und einer ausgegrenzten Männlichkeiten verläuft. So habe ich „liminale Männlichkeit“ für mich definiert – wo liegt die Grenze zwischen „richtigem“ und nicht „richtigem“ Mann. Ich habe also wirklich subordinierte Männlichkeiten außer Acht gelassen und mich mit der Grauzone beschäftigt.

Das ist zum Beispiel beim jugendlichen Mann so – ein Junge ist noch kein „richtiger“ Mann und hat innerhalb des Systems der Männlichkeiten einen anderen Status. Oder auch ein alter Mann zum Beispiel ist kein „richtiger“ Mann mehr. Das weiß man auch aus den Disability Studies: Aus simpler psychoanalytischer Sicht nehmen wir an, ein Mann ist kein richtiger Mann mehr wenn er seinen Penis verliert. Aber auch beim Verlust eines Beines oder Armes, oder bei geistiger Behinderung wird die Männlichkeit gesellschaftlich in Frage gestellt. Es zeigt sich also, dass normative Männlichkeit nicht eine scharfe Grenze aufweist, sei es zur Weiblichkeit oder zu „unmännlichen“ Männlichkeiten.

In diesen Grauzonen der normativen Männlichkeit liegt glaube ich großes Veränderungspotential. In meinen Arbeiten habe ich ja auch immer ein politisches Interesse an der Veränderung und in diesem Sinne habe ich das Projekt angelegt. Also ich denke, wir werden nie ganz wegkommen von normativen Konzepten, aber man kann sie erweitern oder verschieben oder neue zulassen. Sodass zum Beispiel gewalttätige Männlichkeiten nicht mehr als normativ gesehen werden, sondern etwa „weiche“ Männlichkeiten.

Um noch einmal auf die Frage der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten zurückzukommen: Ein deutscher Psychologe schreibt in seinem Buch „Der männliche Habitus“: „Nichts liegt Männern mehr fern, als sich selbst und ihre Lebensweisen zu hinterfragen und sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu machen.“ Würdest du diesem Befund zustimmen?

Nun, das würde mir natürlich schmeicheln, nachdem ich es gemacht habe… (lacht). Also als historischen Befund kann man es schon sagen, es ist teilweise erst durch Druck  entstanden. Wenn Männer vorher über Film reflektiert haben, haben sie über den Film reflektiert und dabei  schon auch über ihre Männlichkeit reflektiert, aber nicht bewusst. Etwas Ähnliches hat ein anderer Wissenschafter gesagt: Wenn man sich als Mann mit Männlichkeit auseinandersetzt, in einem akademisch-theoretischen Sinne, dann kommt es zu einem Gender-Vertigo, einem Gender Schwindel, einer großen Verwirrung und Unsicherheit – und das habe ich selbst empfunden.

Also ich würde nicht sagen, dass es für Frauen leichter ist, weil es da andere Schwierigkeiten gibt – aber für Frauen liegt in der feministischen Arbeit die Möglichkeit, Muster zu durchschauen, die ihnen schaden und sich dadurch dagegen zu positionieren. Eine der Hauptschwierigkeiten liegt glaube ich darin, mit dieser Analyse umzugehen und nicht in Depression oder Verzweiflung zu verfallen, weil noch so viel zu tun ist und in der Gesellschaft aber vermittelt wird: Da ist eh nichts oder jetzt ist eh alles gut.

Bei Männern kommt hinzu, dass man sich in ein Feld begibt, das natürlich sehr kritisch gegenüber Männlichkeit ist und sein muss. Und wenn man das ernst nimmt, ist es natürlich selbst sehr in Frage stellend. Deshalb verstehe ich dieses Zitat. Also ich denke, er meint bestimmt die Kritik an patriarchalen Zuständen. Aber wenn ich das aus meiner Erfahrung anschaue, denke ich mir: Ja, ich weiß schon, warum ich gezögert habe, warum es manchmal schwer ist und warum es nicht mehr Männer tun. Im Prinzip ist es schwer, ja. Es braucht eine gewisse Überwindung.

Gender Studies sind mittlerweile – wenn auch nicht institutionell –  an den österreichischen Universitäten angekommen. Lehrangebote zur Männlichkeitsforschung gibt es dennoch kaum. Glaubst, dass es sich hier wieder um eine zeitverzögerte Entwicklung handelt, oder könnte es dafür andere Gründe geben?

Also die grundsätzliche akademische Struktur in Österreich – die sich jetzt verändert – ist etwas träger als etwa die US-Amerikanische. In den USA hat man einfach früh, wenn ein Thema gesellschaftlich präsent war, dazu ein Department gegründet und man hat aber auch Departments wieder zugesperrt. Hier ist das aber extrem schwierig. Dazu gab es die Strategie in Österreich, nicht Gender Studies Departments zu gründen, sondern Koordinationsstellen für Frauenforschung – um eine „Ghettobildung“ zu vermeiden.

Mittlerweile fährt man eine Doppelstrategie und versucht doch zu institutionalisieren, was auch seine Vorteile hat. Mit den neuen Gender-Programmen kommen jetzt erst die Überlegungen, was alles Platz finden muss und Queer Studies sind hier schon sehr relevant, Männlichkeit wäre für mich ebenfalls ein interessanter Aspekt. Aber es besteht dann auch die Gefahr, dass Männer diesen Bereich okkupieren. Deswegen mache ich meine Forschung in die selbe Richtung, aber ich bringe mich in Gender Studies nur ein, wenn ich angefragt werde, weil ich nicht versuche, die Positionen zu besetzen.

Ich kann es eigentlich nicht wirklich sagen, vielleicht nimmt das auch schon ab. Also derzeit gibt es schon noch sehr viel Forschung zu Männlichkeit, aber eine Zeit lang ist das neu, the cool thing, und das war Männlichkeit und Film auch und dann ist es irgendwann nicht mehr so und dann wird weniger dazu publiziert und dann findet es auch nicht mehr so leicht einen Platz in den Programmen.

Zu einer aktuellen Diskussion: Buben schneiden im Vergleich zu Mädchen im österreichischen Bildungssystem immer schlechter ab  – werden sie in einem angeblich „weiblichen“ System benachteiligt?

Persönlich sehe ich das nicht, nicht in einer Art wie die gesamtgesellschaftliche strukturelle Benachteiligung von Frauen. Wenn die Buben im Unterricht so massiv benachteiligt werden würden – das wäre dann ja schon sehr lange, Frauen sind nicht erst seit ein paar Jahren im Lehrberuf vertreten – dann müssten die ganzen Managementpositionen schon längst von Frauen besetzt sein.
Es kann sicher sein, dass grundlegende Bedürfnisse von Buben, wobei ich jetzt nicht meine als Buben, sondern als Kinder, in einem offenen breiten Feld nicht genügend berücksichtigt sind, aber da würden auch alle feministischen Ansätze dafür sein, Buben in der Erziehung eine Vielzahl von Möglichkeiten zu eröffnen.

Wer sich mit Geschlecht auseinandersetzt, hat oftmals mit sehr negativen Reaktionen zu rechnen – ob im persönlichen Umgang oder in Internet-Foren. Ist dir das auch schon passiert?

Mir hat einmal jemand gesagt – weil ich mich über ein Posting aufgeregt habe: “ Diese Postings darf man nie lesen…“ Es ist einfach eine ganz spezifische Publikationsform, wo sich unter anderem Menschen mit enormer neurotischer Energie Luft machen.

Ich war auch lange in einer Diskussionsliste zu Männlichkeitsforschung und da waren feministische Männer dabei, aber auch sehr viele, für die das ein starkes Thema ist, aber sie enorm verunsichert und die dann schnell untergriffig werden. Und wenn man mit denen in eine Diskussion einsteigt, ist der Endpunkt oft nur, dass sie auf rein biologistische Argumentationen rund um die Fortpflanzung zurückgreifen. Wenn die glauben, dass man wirklich sämtliche Gender-Aspekte in unserer Gesellschaft darauf zurückführen kann, dann wird man ihnen das nicht ausreden können. Ich habe mich dann irgendwann von diesen Listen abgemeldet, es ist vielleicht nicht sinnvoll, sich auf Diskussionen mit solchen Leuten einzulassen. Man verschwendet seine Energie und irgendwann frustriert es einen dann. Ein Burnout hilft niemandem weiter.

Was werden deine nächsten Forschungsprojekte sein?

Im Moment sind es zwei Hauptprojekte. Ich habe mir überlegt, mal von Gender wegzugehen, mich mit etwas zu beschäftigen, das mir nicht so nahe geht. Und das sind amerikanische Ikonen, ikonische Figuren wie John Wayne oder Marylin Monroe, da interessiert mich die Frage, wie in der Bilderflut bestimmte Bilder herausragend werden.

Und das zweite Thema, das mich sehr stark interessiert, sind Vater-Tochter-Verhältnisse. Im Film, aber auch in Selbsthilfe-Büchern und Ähnlichem. Dieses Verhältnis ist sowohl in der Repräsentation, als auch in der akademischen Aufarbeitung unterbeleuchtet. Vater-Sohn-Verhältnisse sind immer schon behandelt worden und feministische Analysen haben sich sehr stark für die Mutter-Tochter Verhältnisse interessiert, aber Mutter-Söhne und Vater-Töchter Verhältnisse sind unterbeleuchtet. Und wie immer merkt man auf den zweiten Blick, dass doch schon einiges vorhanden ist, vor allem das Thema Missbrauch schwingt oft ganz stark mit. Eigentlich wollte ich einen positiven Zugang versuchen – eine Modellbildung für positive Vaterschaft. Da spielt natürlich mein persönliches Interesse hinein, weil ich selbst zwei Töchter habe.

In ganz vielen Filmen ist es so, dass ein Vater seine Aufgabe ein Leben lang verbocken kann, er nicht da ist, oder seine Tochter vollkommen ignoriert, oder sonst irgendwie ein furchtbarer Vater ist. Und später gibt es einen Wandel oder er tut nur einen positiven Schritt und auf einmal ist alles wieder ok. Alles ist ganz schnell wieder in Ordnung – das vermittelt so ein Bild, als ob es irrelevant wäre, einen Vater zu haben, wenn es reicht, einmal mit siebzig etwas Nettes zu sagen. In den Filmen sind die Väter zwar total wichtig, aber sie müssen nichts dafür tun. Es wird nicht so dargestellt, als ob Vatersein wirkliche Arbeit wäre und Hingabe erfordert.

Kurzbio von Klaus Rieser:

Klaus Rieser ist ao. Univ. Prof. am Institut für Amerikanistik der Universität Graz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Film, Gender, Ethnizität und Cultural Studies. Speziellere Forschungsschwerpunkte innerhalb dieser Gebiete umfassen die Darstellung von Migration im Film und deren kulturelle Signifikanz; Männlichkeit im Film (Habilitation 2006), sowie derzeit US-Amerikanische Ikonen. Er ist Leiter des Instituts für Amerikanistik, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien, und Mitherausgeber der Reihe „American Studies in Austria“.
Online-Visitenkarte von Klaus Rieser

Das Buch: Borderlines and Passages. Liminal Masculinities in Film. Aus der Reihe „Arbeiten zur Amerikanistik“. Essen: Die Blaue Eule 2006.

„Richtige“ Männer, abwesende Väter und Johnny Depp, Teil 1

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Gender Studies gehören in die Öffentlichkeit – unter diesem Motto steht die „Denkwerkstatt“. Um der Forderung gerecht zu werden, soll hier in Zukunft die Arbeit von Wissenschafter_innen, die sich mit Geschlechterforschung auseinander setzen, präsiert werden. Den Anfang macht ein Interview mit dem Filmwissenschafter und Amerikanistik-Professor Klaus Rieser. Klaus Rieser leitet das Institut für Amerikanistik an der Universität Graz, seine Habilitationsschrift hat er dem Thema Männlichkeiten im Film gewidmet. Neben der Kategorie Geschlecht interessiert er sich besonders für Ethnizität und die Darstellung von Migration im Film. Hier das Interview mit dem sympathischen Wissenschafter, Teil 1:

Du hast dich als Filmwissenschafter unter anderem auf Geschlecht und Ethnizität spezialisiert und zuletzt ein Buch zu Männlichkeiten im Film veröffentlicht. Wie ist es dazu gekommen, dass du dich für Geschlecht und Männlichkeit interessierst?

Ich habe einmal eine Aussage von einem Männlichkeitsforscher gelesen, dass es für Männer, die sich mit Feminismus bzw. Geschlechterforschung auseinandersetzen, zwei Königswege in diese Disziplin gibt: Entweder man ist schwul oder man hat eine feministische Freundin/Frau (lacht). Und das stimmt wohl wirklich zu 99,9 Prozent.

Bei mir ist es in gewissem Sinn beides. Also einerseits bin ich über verschiedene Frauen und dann eine langjährige Partnerschaft mit dem Thema in Berührung gekommen, es wurden bei mir selbst blinde Flecken zur Männlichkeit im Patriarchat aufgedeckt. Und andererseits habe ich mich schon davor im Privaten mit Männlichkeit auseinandergesetzt. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in Männer verlieben kann, bin aber dadurch relativ schnell bei mir selbst auf eine Homophobie gestoßen – also es gab Verliebtheit auf einer emotionalen Ebene, aber Angst vor Homosexualität als Sexualität.

Und mein Interesse war dann diese Abgrenzung – was gibt es an real lebbarer und spürbarer Bisexualität, wie drücke ich meine Männlichkeit aus und wie will mich von bestimmten Modellen distanzieren. Darin liegt schon eine Chance für Männer, Männlichkeit ist ein ziemlich enges Korsett. Sicher liegt das Hauptproblem patriarchaler Männlichkeitskonstruktionen gegenüber Frauen und Homosexuellen, aber auch für heterosexuelle Männer ist für mich spürbar gewesen: Das schränkt mich ein. Ich war dann auch in Männergruppen, die sich ähnlich wie Frauengruppen in den 70er Jahren später in den 80er und 90er Jahren entwickelt haben. In der Literatur wird ja oft gesagt: Das ist ein konservatives Eck und progressive Männlichkeitsforschung ist etwas anderes, aber in meinem Erlebnis war das sehr durchmischt. Es gab das Bestreben, die eigene „ursprüngliche“ Männlichkeit zu finden, aber dadurch wurde hinterfragt, was das überhaupt sein soll.

Auf der wissenschaftlichen Ebene war es eben so, dass ich mich für Film interessiert habe und die feministische Filmtheorie das zentrale Paradigma in der Filmwissenschaft ist.

Warum ist der Einfluss feministischer Theorie in der Filmwissenschaft so stark? Was unterscheidet die Filmwissenschaft hier von anderen Disziplinen?

Das hat glaube ich damit zu tun, dass die Filmwissenschaften im Sinne einer Institutionalisierung ungefähr zeitgleich mit einer Akademisierung des Feminismus entstanden sind. Zu dieser Zeit waren feministische Theorien stark präsent, es gab innerhalb der feministischen Wissenschaft einen enormen Theoretisierungsschub. Und auch in der Filmwissenschaft hat man sich eher semiotischen und psychoanalytischen Konzepten zugewandt, man ist der Frage nachgegangen, wie Film auf Zusehende und damit auf Gesellschaft wirkt. Film reflektiert nicht nur Realität, zusammen mit anderen Diskursen kreiert er Realität. Bei der Analyse des Subjekts, das durch die Zuseher_innenposition geschaffen wird, liegt es nahe, sich anzusehen, wie diese Position im Sinne von Gender konstruiert wird. Und für diese Frage haben sich sehr viele Frauen interessiert.

Zu Beginn deines Buchs zu Männlichkeiten im Film schreibst du: „Films have a deep impact on gender reality.“ Wie kann man/frau sich das vorstellen?

Wenn wir annehmen, dass unsere Geschlechterrealität, so wie wir sie erleben, Praktiken sind – Alltagpraktiken: Bewegungen, wie wir unseren Körper empfinden, ob wir weinen können oder nicht und wenn, wann und wie wir uns kleiden… Diese Praktiken entnehmen wir wieder aus Repräsentationsformen wie dem Film. Diese sind dort natürlich extrem ideologisch geformt und gefiltert. Beim Film und anderen massenmediale Produkten, die sehr kapitalintensiv sind und die für eine große Menge an Menschen bestimmt sind, gibt es Überlegungen wie: Ist das der Gesellschaft zumutbar? Können sie da schon mitgehen? Und Interessen, die von Personen mit größerem Einfluss vertreten werden, schlagen sich stärker durch.

Deshalb sind Filme und andere Repräsentationsformen dann das, wo etwas, das sich gesellschaftlich vielleicht schon verändert hat, noch einen Prozess durchläuft, teilweise mit großem impact. Also weil ich das Plakat hier gerade sehe: „Brokeback Mountain“ ist zum Beispiel ein totales Mainstreamen von homosexueller Liebe und Sexualität, das plötzlich sehr viele Menschen erreicht.

Wie erklärst du dir den Erfolg von „Brokeback Mountain“?

Extrem geschicktes Marketing (lacht).  Also der Film basiert schon auf einer hervorragenden Kurzgeschichte. Und es gab dann Leute, die sich dahinter geklemmt haben, den Film zu produzieren –  es wurde sehr lange niemand gefunden, der diesen Film machen wollte. Aber schließlich gab es dann ein gutes Drehbuch, einen sehr guten Regisseur – und der hat das äußerst geschickt angelegt.

Der Film ist ja einer der erfolgreichsten Filme im Western Genre. Und natürlich auch einer der erfolgreichsten Filme, die sich mit Gender und Queerness auseinander setzen. Aber eben auch im Western und im Genre der Romantischen Liebe. Auch in der Publikums-Zusammensetzung war er zum Beispiel bei älteren Frauen in konservativen Gegenden der USA sehr erfolgreich. Diese Geschichte der tragischen Liebe hat sie angesprochen – nur eben mit diesem neuen Aspekt. Natürlich wurde das aber auch sehr geschickt vermarktet. Der Regisseur hat in allen Interviews den schwulen Aspekt runtergespielt. Auch der Slogan „Love is a force of nature“ – „Liebe ist eine Naturgewalt“ ist sehr allgemein gehalten und da sind diese wunderschönen Naturaufnahmen – es gibt aber auch sehr viele Widersprüche, um diese geht es im Film ja auch.

Werden Männlichkeiten in Hollywood-Filmen differenzierter dargestellt als noch vor 30 Jahren?

Ja, differenzierter auf jeden Fall. Meine These zu der Funktion von Hollywood ist schon eine kritische – natürlich ist eine Differenzierung in Avantgarde-Filmen, in Experimentalfilmen, im weltweiten Kino viel früher passiert. Aber die erstaunliche Rolle von Hollywood ist eben das Mainstreamen von Neuem und von vorher noch als sehr subversiv geltenden Diskursen. Und da hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren in keinem Bereich so viel getan wie in der Darstellung von Homosexualität. Ich glaube, fünf Jahre vor „Brokeback Mountain“ hätte sich niemand zu sagen getraut, dass so ein Film – es kommt ja auch eine Analverkehr-Szene darin vor – zu den Oscars kommt, schon gar nicht, dass er als der große Oscar-Gewinner gehandelt wird. Und das passiert dann doch immer wieder.

Und das ist natürlich nur ein Beispiel. Also die Darstellung zum Beispiel von weicher Männlichkeit oder effeminierter Männlichkeit und von größeren Varianten von Männlichkeit hat zugenommen, würde ich sagen. Es war auch früher schon viel mehr da, als man jetzt vermuten würde. Es geht eher darum, wie sie jetzt ideologisch eingebunden sind und was Star-Status erreichen kann. Es wäre wahrscheinlich schwierig, einen Johnny Depp Charakter in älteren Filmen zu finden. Außer im komischen Bereich vielleicht, aber im Ernsthaften sind das neue Aspekte.

Was ist ein Johnny Depp Charakter?

In dem Sinne, dass es deutlich männliche und deutliche Queer-Aspekte gibt. Und auch deutliche Aspekte, die sonst als weiblich gegolten haben und vor allem den männlichen Aspekt unterwandert hätten. Das wäre nicht aufgegangen. Das wäre in diesem Sinne nicht akzeptiert worden, außer eben vielleicht bei einem Jerry Lewis, bei einer komischen Figur, wo aber die Komik darin liegt, dass das nicht zusammen passt. Bei Johnny Depp passt das aber mittlerweile zusammen. Und hinzu kommt eine Form der Selbstreferenzialität – es schwingt mit: Ich weiß, ich spiele jetzt mit diesen Elementen, ich bin diese zusammengesetzte Figur. Und anstatt einer Brüchigkeit wird es spielerisch. Diese Offenheit und Fluidität, die glaube ich grundsätzlich in allen Menschen und Genderformen ist – also dass sie performativ sind und nicht eingegrenzt werden können, obwohl sie medial so gezeigt werden – das spiegelt sich in der Figur Johnny  Depp wider.

Kurzbio von Klaus Rieser:

Klaus Rieser ist ao. Univ. Prof. am Institut für Amerikanistik der Universität Graz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Film, Gender, Ethnizität und Cultural Studies. Speziellere Forschungsschwerpunkte innerhalb dieser Gebiete umfassen die Darstellung von Migration im Film und deren kulturelle Signifikanz; Männlichkeit im Film (Habilitation 2006), sowie derzeit US-Amerikanische Ikonen. Er ist Leiter des Instituts für Amerikanistik, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien, und Mitherausgeber der Reihe „American Studies in Austria“.
Online-Visitenkarte von Klaus Rieser

Morgen: Teil 2 des Interviews. Klaus Rieser spricht darüber, warum Männer sich nicht gerne selbst beforschen, warum man/frau Postings nicht lesen sollte und über Modelle für positive Vaterschaft.

 

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