CategoryPolitik

News

N

Gute Neuigkeiten aus Wien: Öffentliche Aufträge der Stadt werden zukünftig an Maßnahmen zur Frauenförderung gekoppelt werden. SP-Frauenstadträtin Sandra Frauenberger und die grüne Stadträtin Monika Vana präsentierten am Donnerstag das rot-grüne Maßnahmenpaket. Die Umsetzung: Ein Unternehmen, das für die Stadt Wien einen Auftrag bearbeitet, muss künftig frauenfördernde Maßnahmen innnerhalb einer bestimmten Frist umsetzen. Außerdem werden bereits „gendersensible“ Leistungsbeschreibungen in Ausschreibungen enthalten sein, Genderkompetenz in einem Betrieb wird zusätzlich in die Beurteilung eines Angebots einfließen. Einen ausführlichen Bericht dazu gibt es auf diestandard.

Deprimierend: in Sachen Einkommensschere ist Österreich nach wie vor EU-Schlusslicht. Nur in Estland sind die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen noch größer. Statistisch gesehen arbeiten österreichische Frauen ab dem 29. September (Equal Pay Day 2010) bis Jahresende gratis. Ein Interview mit Gabriele Heinisch-Hosek zur schreienden Ungerechtigkeit gibt es auf FM4.at.

„Newsweek“ hat der „männlichen Befreiung“ eine Titel-Story gewidmet. „To survive in a hostile world, guys need to embrace girly jobs and dirty diapers. Why it’s time to reimagine masculinity at work and at home.“ Artikel und Kommentare gibt es hier.

Erneute Diskussion um das Recht auf Abtreibung unter republikanischen (und demokratischen) Kandidat_innen für die bevorstehenden Senats-Wahlen gibt es bei Rachel Maddow.

Und: Kaufen! Die neuen Ausgaben von „Fiber“ (Thema: „Farce“) und „Anschläge“ sind da.

Steiermark-Wahl

S

Zurück nach Österreich: am Sonntag wird in der Steiermark gewählt. Nachdem es laut Umfragen anscheinend noch sehr viele unentschlossene Wählerinnen und Wähler gibt, könnte die Aktion „Damenwahl“ hier in letzter Minute Abhilfe schaffen. Die unabhängige Gruppe hat frauenpolitische Wahlprüfsteine für die steirische Landespolitik definiert und die Parteiprogramme der einzelnen Parteien auf frauen- und genderpolitische Ideen hin durchforstet. Besonders schlecht schneiden wie zu erwarten die FPÖ und die CPÖ ab, mehr Punkte konnten Grüne und KPÖ sammeln. Die Ergebnisse im Detail findet ihr auf der Damenwahl-Website: Link

(Das in pink gehaltene Design und die Namensgebung ist dann doch auch irgendwie interessant…)

Don’t Ask, Don’t Tell

D

Ich bin wieder in Wien angekommen – zumindest physisch. (Ich hoffe, ihr habt mich, bzw. meine Beiträge vermisst!) Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich meine Eindrücke verarbeitet habe, zunächst gibt es aber einen TV-(bzw. Onlinevideo-)Tipp für euch. In den amerikanischen News-Programmen werden zur Zeit zwei Themen in sämtlichen Sendungen verarbeitet: Das Voting um die absurde „Don’t Ask, Don’t Tell“ Policy des US-Militärs und der Rummel um die Teaparty-Kandidatin (und Delaware Vorwahl-Siegerin) Christine O’Donnell, die in einem Talkshow-Video aus alten Zeiten über ihre „Witchcraft“-Erfahrungen erzählt und aktuell in einen Skandal um den Missbrauch von Parteispenden verwickelt ist.

Treffsichere Kommentare und Analysen zu solchen Themen findet man/frau auf MSNBC, genauer gesagt bei Rachel Maddow. Maddow ist Host der allabendlichen „Rachel Maddow Show“ und die erste „openly gay“ Anchor Woman im US-Amerikanischen TV. Das Voting um die Abschaffung der „Don’t Ask, Don’t Tell“ Regelung, die es Homosexuellen verbietet, sich offen zu ihrer Sexualität zu bekennen und gleichzeitig beim Militär zu dienen, wurde bereits entschieden: Eine Debatte und folgende Abstimmung im Senat wurde von den Republikaner_innen verhindert. „Are we run by assholes?“ lautet John Stewarts entsprechende Reaktion. Rachel Maddow sieht rund um die Debatte und den Erfolg der Teaparty-Kandidat_innen einen neuerlichen „Culture War“ innerhalb der Republikanischen Partei aufflammen: Abtreibung und die Rechte von Homosexuellen werden wieder heiß diskutiert, was es brauche, seien „traditionelle Werte“ rund um die heterosexuelle Kleinfamilie. Das entsprechende Video seht ihr hier.

Eine andere (amüsante) Analyse rund um die neue „Insani-Tea“ gibt es auf Youtube:

Sommergespräche: Brustvergrößerungen als Frauenpolitik

S

Sommergespräche führt nicht nur der ORF, auch in der Tageszeitung Standard werden alljährlich Persönlichkeiten aus der  Politik mit diversen Prominenten zusammen an den Tisch gesetzt. So auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Schon zum zweiten Mal war sie nun geladen und während die Redaktion ihr im vergangenen Jahr Castingshow-Model Larissa Marold gegenüberstellte, war es diesmal Schönheitschirurg Artur Worseg. Josef Pröll, Maria Fekter oder Beatrix Karl diskutierten hingegen mit Künstler_innen, Wissenschafter_innen und Unternehmer_innen. Frauenpolitik hat also irgendwie mit Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen und der Sehnsucht nach 3 Minuten Ruhm zu tun, sagt uns der Standard. Und schon die Einstiegsfrage vermittelt diese Haltung auf amüsante Weise: „Frau Minister, im Ästhetic-Center von Artur Worseg legen sich jährlich hunderte Frauen unters Messer, um schöner, fitter, jünger zu wirken. Hat damit der Feminismus nicht krass versagt?“

Ja, die Frauen, für die sich Heinisch-Hosek und die anderen Feministinnen da abstrampeln, wollen in Wirklichkeit doch nur eines, nämlich schön und schlank sein. Um das Ganze noch  zu präzisieren, legt die Standard-Redakteurin nach: „Frauen lassen sich Fett absaugen, Cellulite wegtherapieren, dafür Implantate einsetzen, Make-up tätowieren“. Männer sind da nicht so blöd, die lassen nicht an sich herumdoktern. Ein Umstand, den Worseg mit intelligenter Tiefenschärfe analysiert: „Weil hierzulande noch immer der Ausspruch der Tante Jolesch gilt: „Alles, was ein Mann schöner ist als ein Aff, ist Luxus.“ Die meisten Männer, die zu mir kommen, sind Zuwanderer. Das sind sehr eitle Männer, die gerne zum Friseur gehen.“

Mehr noch, der Schönheitschirurg outet sich als Hobby-Psychologe und „Frauenversteher“: „Ihr Gatte hat etwa seit Jahren eine Freundin. Oder er greift sie nicht mehr an. Da besteht dann oft die Hoffnung: Nach der Operation schaut er mich sicher wieder an.“ Heinisch-Hoseks Bemühungen, dem Gespräch so etwas wie Niveau zu verleihen, werden von Worseg mit vollem Eifer bekämpft: „Sie haben sich ja auch schon einmal massiv gegen die Verlosung einer Brust-OP in einer Diskothek eingesetzt. Damals habe ich mir gedacht: Was spielt sich denn bitte sonst noch alles in so einer typischen Land-Disco ab? Alkohol-gelage, Drogenverkauf, Schlägereien. Nahezu jede zweite Familie hat ein Kind zu beklagen, weil es im Auto mit Angesoffenen heimfahren wollte.“

Nachdem die Standard-Redakteurin nachfragt, wie schön Frauen im Beruf sein müssen und wie wichtig physische Attraktivität für Politikerinnen sei, gibt Worseg sein Highlight zum Besten: „Mir fällt aber auf, dass am Beginn der Frauenbewegung die Vertreterinnen eher Mann-Frauen waren. Vom Gehabe her, auch vom Aussehen. Heute sind die Politikerinnen richtige Frau-Frauen. Sie schauen gut aus und haben alle weiblichen Attribute.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte es Heinisch-Hosek wohl niemand übel nehmen können, wenn sie das Gespräch abgebrochen hätte. Dann wären ihr die restlichen Weisheiten über Männer als schlechte Hemden-Bügler und Mädchen, die ja doch nur Friseurinnen werden wollen, erspart geblieben.

Wie schon im vergangenen Jahr (wo es hauptsächlich darum ging, dass junge Frauen doch alles mit sich machen lassen, um reich und berühmt zu werden) ist auch das Sommergespräch 2010 mit Heinisch-Hosek ein Armutszeugnis für den Standard. Wie jede andere Politikerin und jeder andere Politiker hätte es die Frauenministerin verdient, über ihre politische Arbeit und ihre Anliegen sprechen zu dürfen, anstatt von Schönheitschirurgen und Casting-Models ins Lächerliche gezogen zu werden.

In den Medien

I

Zur Obsorge-Debatte: In Deutschland wird ein neues Gesetz vorbereitet, unverheiratete Väter werden nun gleichgestellt, indem die automatische Bevorzugung unverheirateter Mütter fällt. Väter können nun ohne Zustimmung der Mutter eine gemeinsame Obsorge beantragen. Kommentare zur angeblichen „Willkür der Mutter“ und biologischen Definitionen von Vaterschaft gibt es auf der Mädchenmannschaft und bei Antje Schrupp.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat auch in Österreich für Schlagzeilen gesorgt. Während Justizministerin Bandion-Ortner hierzulande eine ähnliche Regelung erwirken möchte, spricht sich Frauenministerin Heinisch-Hosek nach wie vor gegen eine gemeinsame Obsorge aus.

Gute Nachrichten aus Kalifornien: Das Verbot der Ehe für homosexuelle Menschen ist aufgehoben worden, Bundesrichter Walker erklärte es für diskriminierend und damit verfassungswidrig. Eine wie immer brilliante Auseinandersetzung mit den entsetzten Reaktionen der Konservativen gibt es bei Stephen Colbert.

Die Netzneutralität ist in Gefahr: Nachdem Details über Kooperationen zwischen Google und Verizon bekannt wurden, wird nun eine von bestimmten Anbietern finanzierte bevorzugte Datenübertragung befürchtet. „Im Kern geht es aber darum, dass Google seine Daten schneller zu den Kunden bringen will und bereit ist, dafür zu bezahlen. Das allerdings bedroht die Netzneutralität, die neben der Dezentralisierung eines der beiden Basisprinzipien der Internets ist“, so Zeit Online. Eine Petition für die Netzneutralität kann bereits online unterzeichnet werden: Link , auf der Mädchenmannschaft gibt es einen Kommentar zu Netzpolitik im feministischen Kontext.

Die überflüssigste wissenschaftliche Studie der Woche ist auf ORF Science zu finden: „Männer in Rot ziehen Frauen stärker an.“
Der doofste Werbespot kommt diesmal von „Kornland“:

Sexismus – Die Hirter-Debatte

S

Das „Fasstypen-Plakat“ der Hirter-Brauerei (die Denkwerkstatt hatte den ersten Bericht) hat Wellen geschlagen. Es wird gemunkelt, es handle sich dabei um eine Sommerloch-Debatte, doch immerhin haben sich mittlerweile zahlreiche Journalist_innen und sogar Politikerinnen mit der Werbung auseinandergesetzt. Trotz aller Proteste wurde Hirter-Bier jedoch vom Werberat nur zu zukünftiger Sensibilisierung aufgefordert, eine Verurteilung erfolgte nicht.

Frauenstadträtin Sandra Frauenberger meldete sich etwa in der Debatte zu Wort – eine Selbstkontrolle der Werbewirtschaft sei nicht ausreichend, eine bundesweite Regelung zur Eindämmung sexistischer Werbung hingegen wünschenswert. Schützenhilfe kommt dabei von Maggie Jansenberger, Leiterin der Watchgroup gegen sexistische Werbung in Graz.  Auf der Website der Watchgroup werden sexistische Darstellungen in der Werbung gesammelt, Beschwerden an den Werberat können per Formular verschickt werden. Auch auf Wien.at stehen mittlerweile zwei Musterbriefe zum Download, die eine Beschwerde bei Unternehmen oder dem Werberat erleichtern sollen.

Michael Schmid fragt sich auf FM4.at, ob hinter einer sexistischen Werbekampagne nicht das bewusste Kalkül der Marketing-Abteilung steckt: „Mehr noch, der Protest ist längst Teil der Marketingstrategie geworden: Virales Marketing mit primitivsten Sexismen im Zeitalter der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Dort, wo früher Kredibilität im Vordergrund stand und über Jahre am positiven Image von Marken gebastelt wurde, regiert jetzt die Aufmerksamkeit allein. Und mit allen Mitteln, denn Protest verkauft sich in den Köpfen der Werbeindustrie offensichtlich ähnlich gut wie Sex.“

Tatsächlich reihten sich in den vergangenen Tagen Hirter-Werbespots auffallend oft in die Werbeschleife von Supermarkt-Radios. Hirter ist im Gespräch. Und auf der Website des Unternehmens wird bereits nach den männlichen Fasstypen gesucht: „Egal, ob Morchl, 1270 oder Pils – egal ob Glas oder Flasche – wichtig ist nur: schick uns ein Foto mit dem Hirter Bier, von dem du glaubst, dass es genau dein Typ ist. Es ist auch möglich, dass du gemeinsam mit deinen Freunden – genau wie die Dirndl`n auf unserem Plakat – eine Hirter-Fasstypen Gruppe bildest. Hauptsache, es macht durstig, ist lustig und passt zu unseren Hirter Fasstypen!“, ist da zu lesen. Das klingt nicht so, als ob sich die Gegenstücke zu den lustigen „Dirndl’n“ bis aufs Bierglas entblößen müssten.

Auf FM4 wurde auch eine Diskussionsrunde zum Thema (zum Nachhören: Link) gestartet – entsprechende Reaktionen waren vorprogrammiert. Er könne nicht verstehen, wer bei einer solchen Werbung konkret beleidigt oder verletzt würde, meinte etwa ein Anrufer. Und überhaupt seien es einmal wieder die politisch Überkorrekten, die hier einen künstlichen Aufschrei erzeugen. Nicht zuletzt gebe es viele andere Werbungen, die weitaus schlimmer seien. Nun, dem kann man/frau eigentlich nur zustimmen: Immer wieder übertrifft ein sexistischer Werbespot den anderen – doch keiner steht alleine für sich in einem luftleeren Raum. Werbung passiert innerhalb der Gesellschaft und rekurriert auf kollektives Wissen. Das Hirter-Plakat etwa aktualisiert unser Wissen, dass Frauen Objekte der Begierde sind, ihre nackten Körper sind das untrügerische Zeichen (der Signifikant) dafür. Dabei bildet es nur einen kleinen Baustein im System sexistischer Darstellungen, die eine entsprechende Ordnung  am Leben erhalten. „Men look at women; women watch themselves being looked at“, schrieb etwa John Berger. Oder anders gesprochen: „The Gaze is not about desire. It is about power.“

Hirter Bier kann übrigens nicht nur tolle Plakate, sondern noch tollere Werbespots inszenieren:

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 1

V

Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender-Wissenschaft zu kommunizieren. Damit dies nicht zu kurz kommt, gibt es endlich wieder ein Interview mit einem Männlichkeits-Wissenschafter. Diesmal: Paul Scheibelhofer, ein Nachwuchs-Wissenschafter bzw. Soziologe, der vorwiegend zu den Themen Geschlecht (insbesondere Männlichkeit), Migration, Rassismus und Jugend forscht.

Du hast Soziologie studiert und beschäftigst dich jetzt vorrangig mit Gender Studies / Männlichkeitsforschung und Migration. Woher kommt dein Interesse für Gender Studies und Männlichkeitsforschung?

Mein Fokus auf Geschlechterforschung hat sich im Studium eigentlich ganz zufällig ergeben. Ich habe damals mit dem naiven Anspruch, die Welt verbessern zu wollen, zu studieren begonnen. Und einem wirklich kritischen Anspruch bin ich am Soziologie-Institut nur in Gender- oder Migrations-Seminaren begegnet. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass in Gender-Seminaren spannende Gesellschaftskritik passiert. Und dass es um viel mehr geht, als um Geschlechterverhältnisse. Sei es jetzt, sich Philosophiegeschichte aus Geschlechterperspektive anzusehen, zu analysieren, was Sexarbeit mit Globalisierung und ökonomischen Verhältnissen zu tun hat – also im Prinzip hatte ich das Gefühl, dass eigentlich die ganze Welt verhandelt wird. Und als ich dann ein Jahr lang in Amsterdam studiert habe, habe ich die Männlichkeitsforschung für mich entdeckt. Ich hatte zuvor schon immer meine Studienkolleginnen darum beneidet, dass sie nicht nur den Zugang zu diesen tollen theoretischen Ansätzen haben, sondern auch einen persönlichen Bezug entwickeln können. In der Männlichkeitsforschung ist das für mich jetzt ein „added value“, dieser persönliche Bezug und die Reflexionsmöglichkeiten.

Fehlt dir bei Frauenforschung oder Gender Studies also ein solch persönlicher Bezug?

Nein, nicht unbedingt, es ist eben ein anderer persönlicher Bezug. Und ich finde es schon kompliziert genug, als Mann Gender Studies zu machen und da auch Raum zu beanspruchen. Kritische Männlichkeitsforschung zu machen ist dann wohl auch ein bisschen ein Weg, um sich nicht all zu vielen Fragestellungen aussetzen zu müssen. Mein Interesse gilt zwar der Beforschung von Geschlechterverhältnissen, ich finde es in meiner eigenen Forschungsarbeit aber für mich einfacher, es zu legitimieren, als Mann Männer und Männlichkeit kritisch zu beforschen, als Frauen und Weiblichkeit.

Akademische Männerforschung hat sich bisher im deutschsprachigen Raum wenig etablieren können. Warum glaubst du, ist das so?

Nun ja… Ich denke, es hat ja auch lange genug gedauert, bis es die Geschlechterforschung überhaupt an die Uni geschafft hat. Mich überrascht es eher, dass es so viel Zuspruch zur Männlichkeitsforschung gibt. Es gibt zwar vielleicht noch keine Professuren, aber ich erlebe großes Interesse vieler Institute – bis hin zu problematischen Tendenzen. Es scheint mir, dass es sich Gender Studies Institute heute teilweise gar nicht mehr leisten können, Männlichkeitsforschung nicht zu machen. Es ist wohl ein Aushängeschild auch für Geldgeber_innen geworden, um zu zeigen, dass man mit der Zeit geht. In Anbetracht dieser Tendenzen gibt es, denke ich, auch gute Gründe dafür, zu hinterfragen, wie schnell sich Männlichkeitsforschung an den Universitäten etabliert, welche Männlichkeitsforschung das ist und welche Interessen da dahinterstecken.

In den Medien taucht Männlichkeitsforschung meiner Beobachtung nach aktuell häufig im Zusammenhang mit Scheidungsvätern und dem Diskurs um eine Benachteiligung von Jungen im Schulunterricht auf. Teilst du diese Einschätzung?

Ja und ich bin oft überrascht – im negativen Sinn – welche Positionen da vertreten werden, wenn in den Medien Experten zu Männlichkeit eingeladen werden. Da fehlt mir häufig die feministisch-emanzipatorisch-gesellschaftskritische Perspektive. Ich wundere mich darüber, warum die Medien auf solche Leute zurückgreifen. Spannend finde ich dabei vor allem diesen Krisen-Diskurs. Diese Idee, dass Männlichkeit in der Krise ist, mit den unterschiedlichen Ausformungen. Also dass Buben etwa in einer Feminisierungskrise stecken, Lehrerinnen sie nicht zu „echten“ Männern erziehen können. Oder dass Väter in der Krise sind, weil die Mütter ihnen angeblich die Kinder verweigern. Diesen Diskurs muss man beobachten und versuchen zu verstehen, warum er so gut ankommt. Edgar Forster von der Uni Salzburg spricht in einem Text von einer Re-Souveränisierungsstratgie: Im Reden über den armen Mann und den armen Buben kommt es wieder zu einer Etablierung von hegemonialer oder konservativer Männlichkeit. Wenn Schüler von Lehrerinnen angeblich nicht zu „richtigen Männern“ erzogen werden können, steckt dahinter ein stark normatives Bild davon, was es heißt, ein „echter Mann“ zu sein. Und den meisten Väter-Rechtlern geht es offensichtlich nicht um die Frage, wie Reproduktionsarbeit gleichberechtigter organisiert werden kann, sondern es ist eher ein revanchistischer, anti-feministischer Diskurs. Er wird verwendet, um eine konservative Männlichkeit einzureklamieren. Ich habe das Gefühl, hier ist es besonders wichtig, etwas zu unternehmen und alternative Positionen stark zu machen.

Das ist also ein Anliegen deiner Forschungsarbeit?

In meiner derzeitigen Forschungsarbeit steht das noch nicht zentral, was sich aber zukünftig hoffentlich ändert. In der Lehre konzentriere ich mich nun vermehrt auf die kritische Analyse des männlichen Krisen-Diskurses und ich hoffe, dass sich da in näherer Zukunft auch ein Forschungsprojekt ergibt und das Thema nicht zu heiß ist für gewisse Geldgeber_innen. Lothar Böhnisch hat einmal bei einer Tagung gesagt, ein Problem der Männlichkeitsforschung ist, dass sie sich von der Frauenforschung emanzipieren muss.

Und mit welcher Begründung?

Dass, wenn es zu sehr die Frauenforschungs-Perspektive bleibt, es eine verzerrte Perspektive auf Männer entsteht und den realen männlichen Lebensweisen nicht gerecht wird. Ich habe daraufhin einen kleinen Streit mit ihm begonnen, weil ich das überhaupt nicht so sehe, also ich finde das für kritische Männlichkeitsforschung zentral, dass sie sich als Teil von Gender Studies und feministischer Forschung begreift. Es gibt diese Tendenz innerhalb der Männlichkeitsforschung, diese Idee, wir müssen jenseits feministischer Ideen eigene Forschung entwickeln und ich finde das sehr problematisch. Also es gibt, denke ich, durchaus viele Forscher, die etwas zu Männern machen und sich nicht explizit als feministisch verstehen.

Demnächst in Teil 2: Warum Männlichkeit eigentlich aus der Welt geschafft werden muss und warum die Universität Wien eine Art „worst case“ darstellt.

Paul Scheibelhofer lehrt kritische Männlichkeitsforschung sowie Migrationsforschung an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Er studierte Soziologie in Wien und Amsterdam, danach besuchte er den postgradualen Lehrgang Soziologie des Instituts für Höhere Studien, Wien und verfasst derzeit seine Dissertation am Gender Studies Department der Central European University, Budapest. Er engagiert sich in der Forschungsgruppe [KriMi] Kritische Migrationsforschung. In Forschungsprojekten und Publikationen beschäftigt er sich mit den Themen: Migration, Männlichkeit, Rassismus und Jugend.

Links: Interview mit Amerikanistik-Professor und Männlichkeits-Wissenschafter Klaus Rieser, Teil 1 und Teil 2

Neueste Beiträge

Neueste Kommentare

Archive

Kategorien