CategoryWissenschaft

Wochenende

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Vormerken: Darwin ist the Newton of Biology? Am 3. November kommt Evelyn Fox-Keller nach Wien. Die Physikerin, die am MIT lehrt, „wird im deutschsprachigen Raum als ‚grande dame‘ des wissenschaftskritischen Feminismus wahrgenommen“. Im Christian-Doppler-Saal (Boltzmanngasse 5) wird sie darüber sprechen, „ob aktuelle gentechnische Forschungsergebnisse Kants Aussage ‚es werde nie einen Newton des Grashalms geben‘ Lügen strafen.“ 3.11. 2010, 17-19 Uhr. Link

Nachlesen: Wer den erfrischend klugen Kommentar von Andrea Roedig zum Thema Verschleierung noch nicht gelesen hat, sollte das nachholen. Unter dem Titel „Schleier der Wahrheit“ wägt die Philosophin feministische Positionen zu Burka, Niqab und Co ab: „Es kann durchaus sein, dass im arabischen Raum ein Widerstand gegen jede Form von Verschleierung die einzig richtige feministische Option wäre. Für Europa ist das – bis auf weiteres – nicht angemessen.“ Link zum Artikel auf diestandard.at

Mit mir freuen: In der Oktober-Ausgabe der „Anschläge“ ist ein äußerst netter Hinweis auf die Denkwerkstatt zu finden: „Der noch nicht einmal ein Jahr alte Blog behandelt zeitkritisch, akademisch und gut lesbar Gender Studies, Feminismus und Popkultur. Alle paar Tage finden sich hier neue Links, theoretische Überlegungen, politische Beiträge, (…) Veranstaltungstipps, Gewinnspiele und spannende Interviews zu Männlichkeitsforschung, Film und Frauenpolitik. Den Blog gibt es auch auf Facebook. We like!“ Außerdem in der Oktober-Ausgabe: Spannende Beiträge zum Thema Väterrechtsbewegung. Eine Vorschau auf die Inhalte im November findet ihr hier.

Gespannt sein dürft ihr auf Teil 2 des Interviews mit Anna Bakba. Den gibt es morgen.

Interview: Binnen-I, Unterstrich und Sprachreinheit, Teil 1

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Die Denkwerkstatt Interview-Reihe geht in die nächste Runde – diesmal haben wir die Literaturwissenschafterin Anna Babka getroffen, um mit ihr über die Effekte von Sprache und geschlechtersensibles Formulieren zu sprechen.

Du bist eine glühende Verfechterin der gendersensiblen Sprache – warum? Was bringt uns das Binnen-I?

Es bringt uns wahnsinnig viel, weil es unser Bewusstsein verändert. Es geht dabei immer um zwei Dinge: Sichtbarmachen und Symmetrie. Indem man Frauen über die Sprache sichtbar macht, verändert man ihre Realität – weil Sprache performativ ist und das, was sie beschreibt, hervorbringt. Es ist rein theoretisch gesehen ein einfach erklärbarer Effekt. Insofern kann man das auch ganz einfach argumentieren. Sprache bildet schließlich nicht nur ab, sie kreiert, sie handelt.

Kannst du das anhand eines Beispiels näher erläutern?

Machen wir es gleich an der Geschlechterdifferenz fest: Wenn ein Kind geboren wird, dann sagt die Ärztin oder der Arzt: „Das ist ein Junge“ oder „Das ist ein Mädchen“. Wäre dieser Sprechakt nicht getan, dann existierte dieser Mensch nicht einfach als männlich oder weiblich. Der Sprechakt hat natürlich eine gewisse Referenz, aber die ist nicht ausschlaggebend, weil einfach von den primären Geschlechtsorganen ausgegangen wird. Und würden wir diesen Sprechakt nicht ein Leben lang fortsetzen und ihn dann auch performativ ausfüllen – über Kleider, den Habitus, Gesten – dann würde man nicht wissen, dass wir Männer oder Frauen sind.

Dieser performative Akt ist absolut notwendig, er zitiert etwas, das vorgängig ist, aber was sich nicht auf ein Original bezieht, sondern auf einen Diskurs. Die Auffassung darüber, was Männer und Frauen sind, verändert sich schließlich historisch gesehen laufend, im 18. Jahrhundert gab es noch das Einfleischmodell, das mehr oder weniger davon ausging, dass Männer und Frauen sich nur dadurch unterscheiden, dass Männer bestimmte Organe ‚außen‘ tragen, die Frauen diese im Körper tragen. Dieses Modell ist im 18. Jhrdt. in das Zweifleischmodell übergangen und dort wurde der weibliche Körper pathologisiert. Zum Beispiel hat man über die Gebärmutter verschiedene Zuschreibungen vorgenommen. Dabei handelt es sich aber um einen diskursiven Effekt, der nicht auf einer biologischen Grundlage basiert, sondern auf der sprachlichen Interpretation biologischer Gegebenheiten. Wer sagt uns, was dieser Unterschied tatsächlich ausmacht? Er muss in eine Geschichte gepackt werden, sonst hätte er überhaupt keinen Effekt, keinen Belang. Oder mit Judith Butler gesprochen: Sex wird immer schon Gender gewesen sein…

Wir müssen uns also permanent selbst daran erinnern, dass wir ein Geschlecht „haben“?

Stefan Hirschauer, ein deutscher Soziologe, hat das einmal sehr schön formuliert. Er geht auch von diesem ersten performativen Sprechakt aus und er sagt: Würde diese Information in ein Archiv eingeschlossen und nie mehr herausgeholt werden, dann würden wir vergessen, dass dieser Mensch ein Mann oder eine Frau ist. Also es ist absolut notwendig, die Binarität in einem wiederholten Akt immer wieder herzustellen und festzuschreiben.

In der Frage der Intersexualität wird diese Binarität auch ganz stark in Frage gestellt – das ist der Punkt, wo der Unterstrich als geschlechtersensible Schreibweise ins Spiel kommt (z.B. Student_innen, Anm. d. R.). Für Personen, die sich nicht in die eine oder andere Richtung zuordnen können oder möchten. Das ist sozusagen der neueste Zugang – alle existierenden und möglichen Geschlechter im Unterstrich zu vereinen. Das kann man mögen oder nicht, es macht jedenfalls Sinn. Ich selbst verwende das Binnen-I, das ist mittlerweile auch eine institutionalisierte Schreibweise. Allerdings finde ich es in Ordnung, den Unterstrich zu verwenden und kann ihn als theoriegeleiteten Eingriff in die Sprache auch nur unterstützen.

Ist gendersensible Sprache in Diplom- und Seminararbeiten, die von dir beurteilt bzw. betreut werden, ein Muss?

Ja, ich verlange das in Diplom- und auch Seminararbeiten und mir ist dabei egal, welche Schreibweise verwendet wird. Warum man darüber noch streiten muss, verstehe ich überhaupt nicht. Ich würde das auch wirklich als Grundanforderung für wissenschaftliches Arbeiten einführen. Mittlerweile wird geschlechtersensible Sprache von offiziellen Stellen verwendet, es gibt Leitfäden für geschlechtergerechtes Formulieren vom Bundesministerium, weil das ja auch gesetzlich verankert ist innerhalb des Gender Mainstreamings. Der öffentliche Diskurs muss so funktionieren.

Das Argument, dass die Sprache damit verunstaltet wird, ist lächerlich. So als gäbe es die richtige Sprache oder die schöne Sprache. Wer sagt, was Sprache wirklich sein soll? Das legen wir SprachbenutzerInnen fest und das ist ein extrem dynamischer Prozess. Der Duden hinkt dieser Dynamik hinterher. Schön ist eben, dass es mittlerweile aufgrund des europaweiten Gender Mainstreamings in der Union rechtlich verankert ist und man deshalb eigentlich nicht mehr darüber diskutieren muss.

Erlebst du an der Universität Wien Widerstand gegen geschlechtergerechte Sprache?

Ja, auch am Institut für Germanistik gibt es diesen Widerstand. Nicht nur, aber auch. Da werden dann irgendwelche Beispiele herangezogen, wo das Formulieren mühsam wird. Aber ich glaube, wenn jemand in der Lage ist, zu schreiben und Texte zu formulieren, dann ist er oder sie auch kreativ genug, dafür eine Lösung zu finden. Und wenn man sich nicht auskennt, dann schaut man eben in diesen offiziellen Leitfäden nach, die an vielen Stellen vorhanden sind. Ich kann mittlerweile gar keinen Text mehr lesen, der nicht gendersensibel formuliert wurde. Ich verstehe ihn auch nicht mehr, ein solcher Text wirkt mir unverständlich. Weil er nicht deutlich macht, worum es geht und wer gemeint ist.

Das nächste Mal in Teil 2: Warum Michael Fleischhacker ein Problem mit Gerechtigkeiten hat und die Biologie keine guten Argumente liefert.

Anna Babka ist Literaturwissenschaftlerin am Institut für Germanistik in Wien mit Schwerpunkten in Literaturtheorie, Gender Studies und Postcolonial Studies. Link zur Website

Neue Studien, alte Erkenntnisse

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Eine Studie der Statistik Austria zum Thema Hausarbeit liefert wenig überraschende Ergebnisse: Österreichische Frauen erledigen mehr Hausarbeit als Männer und widmen sich häufiger den unangenehmeren Tätigkeiten wie Putzen und Bügeln. 8000 Männer und Frauen hatten für diese Studie ein Jahr lang ihre täglichen Tätigkeiten aufgelistet. Die beliebtesten Aufgaben bei den Männern sind Einkaufen und mit den Kindern spielen. Link , Kommentar der Denkwerkstatt zum Thema Hausarbeit

Die Biochemikerin Margarete Maurer ist eine Pionierin der feministischen Forschung in den Naturwissenschaften. Im Interview mit Ö1 / orf.science spricht sie über ihr Verständnis von Feminismus und Geschlechterstereotype in den „Hard Sciences“: Link

Erich Lehner, Psychologe und Theologe hat diestandard.at ein Interview gegeben – er spricht über sein Engagement in der Männlichkeitsforschung und die aktuelle Väter-Debatte: Link

Der Rechtsstreit um die Töchter in der österreichischen Bundeshymne ist entschieden: Der Texteingriff der Werbeagentur, die die Kampagne für das Unterrichtsministerium gestaltete (die Denkwerkstatt berichtete), ist zulässig. Wenn von Söhnen und Töchtern gesprochen wird, so sei das „eine zeitgemäße, die primären Adressaten der Kampagnen ansprechende abgewandelte Fassung.“

Wie das Thema Hausarbeit in Partnerschaften auf Fox News verhandelt wird, seht ihr hier:

Gewinnspiel!

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Um das Sommerloch ein wenig angenehmer zu gestalten, gibt es hier exklusiv für alle (wissenschaftlich interessierten) Leserinnen und Leser der Denkwerkstatt Spannung, Spiel und einen Preis. Zu gewinnen es gibt es einen von drei kürzlich vorgestellten Romanen, nämlich „Bonjour Tristesse“, „The Bell Jar“ oder „Fear of Flying“. Der/die glückliche Gewinner/in darf selbst wählen. Die Aufgabe: Die passende Autorin oder den passenden Autor zum Zitat finden. Und das Ergebnis an denkwerkstattblog@gmail.com schicken. Unter allen richtigen Antworten entscheidet das Los. Schluss des Gewinnspiels: 26. August, 23.59 Uhr. Der Rechtsweg oder Bestechungen sind ausgeschlossen.

1. „Relationships among gender, brain function, and anatomy are both hard to interpret and difficult to see, so scientists go to great lengths to convince each other and the general public that gender differences in brain anatomy are both visible and meaningful. Some such claims provoke battles that can last for hundred of years. In coming to understand how and why these battles can last so long, I continue to insist that scientists do not simply read nature to find truths to apply in the social world. Instead, they use truths taken from our social relationships to structure, read, and interpret the natural.“

2. „Denn auch die Aristokratie hatte die Eigenart ihres Körpers behauptet; dies geschah in der Form des Blutes (…). Die Bourgeoisie hingegen sah, um sich einen Körper zu geben, auf ihre Deszendenz und auf die Gesundheit ihres Organismus. Das „Blut“ der  Bourgeoisie war ihr Sex.“

3. „Power, authority, aggression, technology are not thematized in feminitiy at large as they are in masculinity. Equally important, no pressure is set up to negate or subordinate other forms of femininity in the way hegemonic masculinity must negate other masculinities. It is likely therefore that actual femininities in our society are more diverse than actual masculinities.“

4. „An analysis of ’sexual difference‘ in the form of a cross-culturally singular, monolithic notion of patriarchy or male dominance leads to the construction of a similarly reductive and homogeneous notion of what I call the ‚Third World Difference‘ – that stable, ahistorical something that apparently oppresses most if not all the women in these countries.“

Viel Spaß und viel Glück!

In den Medien

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Zur Obsorge-Debatte: In Deutschland wird ein neues Gesetz vorbereitet, unverheiratete Väter werden nun gleichgestellt, indem die automatische Bevorzugung unverheirateter Mütter fällt. Väter können nun ohne Zustimmung der Mutter eine gemeinsame Obsorge beantragen. Kommentare zur angeblichen „Willkür der Mutter“ und biologischen Definitionen von Vaterschaft gibt es auf der Mädchenmannschaft und bei Antje Schrupp.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat auch in Österreich für Schlagzeilen gesorgt. Während Justizministerin Bandion-Ortner hierzulande eine ähnliche Regelung erwirken möchte, spricht sich Frauenministerin Heinisch-Hosek nach wie vor gegen eine gemeinsame Obsorge aus.

Gute Nachrichten aus Kalifornien: Das Verbot der Ehe für homosexuelle Menschen ist aufgehoben worden, Bundesrichter Walker erklärte es für diskriminierend und damit verfassungswidrig. Eine wie immer brilliante Auseinandersetzung mit den entsetzten Reaktionen der Konservativen gibt es bei Stephen Colbert.

Die Netzneutralität ist in Gefahr: Nachdem Details über Kooperationen zwischen Google und Verizon bekannt wurden, wird nun eine von bestimmten Anbietern finanzierte bevorzugte Datenübertragung befürchtet. „Im Kern geht es aber darum, dass Google seine Daten schneller zu den Kunden bringen will und bereit ist, dafür zu bezahlen. Das allerdings bedroht die Netzneutralität, die neben der Dezentralisierung eines der beiden Basisprinzipien der Internets ist“, so Zeit Online. Eine Petition für die Netzneutralität kann bereits online unterzeichnet werden: Link , auf der Mädchenmannschaft gibt es einen Kommentar zu Netzpolitik im feministischen Kontext.

Die überflüssigste wissenschaftliche Studie der Woche ist auf ORF Science zu finden: „Männer in Rot ziehen Frauen stärker an.“
Der doofste Werbespot kommt diesmal von „Kornland“:

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 2

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Teil 2 des Interviews mit Paul Scheibelhofer, Soziologe und Gender- bzw. Männlichkeitswissenschafter:


Fühlst du dich manchmal als Einzelkämpfer – als Mann innerhalb der Gender Studies und als kritischer Männlichkeitsforscher im deutschsprachigen Raum?

Also ich habe mich in letzter Zeit explizit mehr auf deutschsprachigen Konferenzen beworben, weil ich gemerkt habe, dass ich fast nur mehr im englischsprachigen Raum unterwegs war. Und auch die Literatur, die ich zitiere, da muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass es auch deutschsprachige Literatur gibt, ja, da gibt es durchaus Entfremdungsprozesse, aber ich finde das auch total spannend, Literatur aus dem einen Kontext in den anderen zu Überführen und zu sehen, was da möglich ist. Derzeit probiere ich etwa feministische postkoloniale Zugänge für die Analyse von Migration, Rassismus und Männlichkeit fruchtbar zu machen.

Also ich mache eigentlich gar nicht so viel explizite Männerforschung, ich sehe mich auch eher als jemand, der Genderforschung mit Fokus auf Männlichkeit macht, pure Männerforschung – da spüre ich manchmal ein wenig Unbehagen. Auf Tagungen zu reinen Männerthemen kommt es zum Beispiel oftmals zum Streit zwischen kritischen und unkritischen Forschern. Wenn ich hingegen zwischen Queer-Theoretiker_innen sitze, fühle ich mich um einiges wohler, weil da doch ein politischer Grundkonsens besteht. Also ich bin es mittlerweile eher gewohnt, der einzige Mann in einem Raum zu sein, als mich mit einer Gruppe von Männerforschern zu unterhalten.

Mit welchem Konzept von Geschlecht arbeitest du wissenschaftlich? Braucht man als Soziologe das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit?

Ich habe da kein Konzept, das ich in zwei, drei Sätzen abschließend zusammenfassen könnte, das hat sich für mich auch geändert im Rahmen meiner akademischen Auseinandersetzung, es trägt die Spuren meiner bisherigen Laufbahn. Ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht ist mir prinzipiell sehr wichtig und ich finde Weiterentwicklungen in Richtung Queer Theory und Poststrukturalismus und kulturwissenschaftliche Ansätze sehr spannend, allerdings ist mir eine Rückbindung an soziale Verhältnisse sehr wichtig. Ich halte es für wichtig, sich zu fragen, wie Zweigeschlechtlichkeit hergestellt, kontrolliert und durch tausende Techniken stabilisiert wird.

Das sind eben ganz reale Effekte, wenn der Staat daran glaubt, dass es nur Männer und Frauen gibt. So lange so viele Institutionen darauf aufgebaut sind, dass es zwei Geschlechter gibt, gibt es gute Gründe, sich mit dieser zweigeschlechtlichen Welt auseinanderzusetzen. Ich würde Jeff Hearn zustimmen, wenn er sagt, im Endeffekt geht es darum, Männlichkeit aus der Welt zu schaffen. Männlichkeit ist ein Ausdruck patriarchaler Verhältnisse, bis wir in einer anderen Gesellschaft leben, ist es aber notwendig, sie kritisch zu beforschen.

Dein Dissertationsprojekt trägt den Titel: „Constructing Turkish Migrant Masculinities in an era of ‘Multicultural Trouble’”. Was darf man/frau sich darunter vorstellen?

Mein zentrales Interesse ist, wie in Zeiten verstärkten Integrations- und Diversitätspolitiken Bilder fremder Männlichkeit genutzt werden, um Migrant_innen zu disziplinieren und was von Seiten aktivistischer junger Männer mit Migrationshintergrund dem entgegengesetzt wird. Ich habe mich schon während meiner Diplomarbeit mit der Konstruktion migrantischer Männlichkeiten auseinandergesetzt und es hat sich ein Unbehagen bei mir breit gemacht, weil sich so viele Menschen für das Thema interessiert haben. Viele Leute meinten: Ja, das muss man doch einmal untersuchen, was mit diesen Jungs los ist. Und das habe ich dann als Anlass genommen, um die Perspektive zu verschieben.

Weg von der Frage, wie diese Männer mit Migrationshintergrund jetzt eigentlich sind, hin zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen bestimmte Bilder fremder Männlichkeit produziert werden. Also wie im Reden über „den türkisch-muslimischen Mann“ ein bestimmtes rassistisches Wissen generiert wird. Und diese sogenannte Krise des Multikulturalismus, die ist denke ich sehr wichtig, um zu verstehen, wie derzeit über fremde Männlichkeit gesprochen wird. Aus der Politik kommen Signale, es gebe eben diese gefährlichen Parallel-Gesellschaften und wir müssen jetzt härter durchgreifen, indem wir Integrationsprogramme installieren und Einwanderer testen, wie ihre Einstellung zu Homosexualität und Gleichberechtigung aussieht.

In den 70er Jahren wurde noch darüber gesprochen, ob die so genannten Gastarbeiter gesund, stark und jung sind, um dann hier schlecht bezahlte, gefährliche Arbeit zu verrichten. Dieser Kontext hat sich geändert und damit einher gehen auch andere Bilder von Fremdheit – was ist wünschenswert, was ist bedrohlich, wer soll kommen, wer muss gehen? Für diese Fragen spielen Ideen von eigenen und fremden Kulturen eine wichtige Rolle und diese werden nicht zuletzt über Bilder von Geschlechterverhältnissen und Sexualität ausgehandelt. In meiner Dissertation schaue ich mir neben solchen Diskursen noch ethnographisch an, wie sich Männer, die der so genannten zweiten türkischen Generation angehören, in künstlerischer und politischer Form in diese Aushandlungsprozesse einreklamieren – welche alternativen Bilder da entwickelt werden und wie sie es schaffen oder nicht schaffen, den dominanten Bildern etwas entgegenzusetzen.

Deine Dissertation schreibst du an der CEU, einer Privatuniversität in Budapest. Warum nicht in Österreich?

Ich bin auf diese Universität gestoßen und mich hat es fasziniert, welche Leute dort unterrichten. Es gibt dort ein Gender-Studies Departement mit sehr hohem wissenschaftlichen Niveau und es werden auch Stipendien bezahlt. Ich finde, dass es spätestens bei der Dissertation jemanden geben muss, der einen dafür bezahlt. Man kann das nicht ewig auf Basis von Selbstausbeutung machen. Es ist aber auch recht widersprüchlich, dass ich dort studiere. Im Winter haben wir hier im Rahmen der Hochschulproteste für freien Hochschulzugang und demokratische Universitäten gekämpft und ich schreibe zugleich meine Dissertation an einer Universität, die sich als Elite-Institution am europäischen Hochschulsektor positioniert und nur sehr wenige Studierende aufnimmt.

Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Einerseits habe ich gemeinsam mit einer aktivistischen Gruppe an der CEU versucht, die Themen und Diskussionen der österreichischen Uniproteste auch dort publik zu machen und Leute anzuregen, sich über Bologna, elitäre Wissensproduktion etc. kritische Gedanken zu machen. Andererseits würde ich sagen, dass die Verhältnisse an der Uni Wien ja fast der worst case sind. Also komplett unterfinanziert, hierarchische Strukturen, etc. Da gibt es an der CEU eben klare Verhältnisse, sie versuchen, amerikanisch zu sein und das hat Vor- und Nachteile. Bei der Situation der österreichischen Unis sehe ich derzeit fast nur Nachteile, was jetzt nicht heißt, dass es nicht auch sehr tolle und kritische Lehrende, Forschende und Institute gibt. Man kann also nicht einfach sagen „gutes österreichisches System“ versus „böses System der CEU“. Hier gibt es, denke ich, keine einfachen Lösungen. Sehr wohl gibt es an beiden Orte gute Gründe für Studierenden- und Lehrendenproteste.

Siehst du dich in zwanzig Jahren noch immer als Wissenschafter? Wie hoch ist das Frustrationspotential im Bereich der Männlichkeitsforschung?

Ich bekomme durchaus sehr viel positives Feedback, also ich habe schon das Gefühl, dass, wenn diese erste Verwunderung verschwunden ist, es sehr viel Interesse für das Thema gibt. Es gibt aber auch kritische Rückmeldungen von feministischer Seite, die ich zum Teil gut nachvollziehen kann. Auf Ö1 etwa gab es vor kurzem eine komplett unkritische Sendereihe zu Männlichkeit und Gefühlen, da verstehe ich, dass Menschen damit ein Problem haben, wenn das Männlichkeitsforschung sein soll: Oje, wie können wir wieder richtige Männer werden? Kritische Männlichkeitsforschung macht eigentlich genau das Gegenteil. Männlichkeit zu dezentrieren, aus den Angeln zu heben und zu fragen, wie schaffen wir soziale Verhältnisse, in denen es nicht mehr um die Frage geht, was richtige und falsche Männlichkeit ist.

Links:
Teil 1 des Interviews
Website Paul Scheibelhofer mit ausführlicher Bibliographie und weiteren Links

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 1

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Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender-Wissenschaft zu kommunizieren. Damit dies nicht zu kurz kommt, gibt es endlich wieder ein Interview mit einem Männlichkeits-Wissenschafter. Diesmal: Paul Scheibelhofer, ein Nachwuchs-Wissenschafter bzw. Soziologe, der vorwiegend zu den Themen Geschlecht (insbesondere Männlichkeit), Migration, Rassismus und Jugend forscht.

Du hast Soziologie studiert und beschäftigst dich jetzt vorrangig mit Gender Studies / Männlichkeitsforschung und Migration. Woher kommt dein Interesse für Gender Studies und Männlichkeitsforschung?

Mein Fokus auf Geschlechterforschung hat sich im Studium eigentlich ganz zufällig ergeben. Ich habe damals mit dem naiven Anspruch, die Welt verbessern zu wollen, zu studieren begonnen. Und einem wirklich kritischen Anspruch bin ich am Soziologie-Institut nur in Gender- oder Migrations-Seminaren begegnet. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass in Gender-Seminaren spannende Gesellschaftskritik passiert. Und dass es um viel mehr geht, als um Geschlechterverhältnisse. Sei es jetzt, sich Philosophiegeschichte aus Geschlechterperspektive anzusehen, zu analysieren, was Sexarbeit mit Globalisierung und ökonomischen Verhältnissen zu tun hat – also im Prinzip hatte ich das Gefühl, dass eigentlich die ganze Welt verhandelt wird. Und als ich dann ein Jahr lang in Amsterdam studiert habe, habe ich die Männlichkeitsforschung für mich entdeckt. Ich hatte zuvor schon immer meine Studienkolleginnen darum beneidet, dass sie nicht nur den Zugang zu diesen tollen theoretischen Ansätzen haben, sondern auch einen persönlichen Bezug entwickeln können. In der Männlichkeitsforschung ist das für mich jetzt ein „added value“, dieser persönliche Bezug und die Reflexionsmöglichkeiten.

Fehlt dir bei Frauenforschung oder Gender Studies also ein solch persönlicher Bezug?

Nein, nicht unbedingt, es ist eben ein anderer persönlicher Bezug. Und ich finde es schon kompliziert genug, als Mann Gender Studies zu machen und da auch Raum zu beanspruchen. Kritische Männlichkeitsforschung zu machen ist dann wohl auch ein bisschen ein Weg, um sich nicht all zu vielen Fragestellungen aussetzen zu müssen. Mein Interesse gilt zwar der Beforschung von Geschlechterverhältnissen, ich finde es in meiner eigenen Forschungsarbeit aber für mich einfacher, es zu legitimieren, als Mann Männer und Männlichkeit kritisch zu beforschen, als Frauen und Weiblichkeit.

Akademische Männerforschung hat sich bisher im deutschsprachigen Raum wenig etablieren können. Warum glaubst du, ist das so?

Nun ja… Ich denke, es hat ja auch lange genug gedauert, bis es die Geschlechterforschung überhaupt an die Uni geschafft hat. Mich überrascht es eher, dass es so viel Zuspruch zur Männlichkeitsforschung gibt. Es gibt zwar vielleicht noch keine Professuren, aber ich erlebe großes Interesse vieler Institute – bis hin zu problematischen Tendenzen. Es scheint mir, dass es sich Gender Studies Institute heute teilweise gar nicht mehr leisten können, Männlichkeitsforschung nicht zu machen. Es ist wohl ein Aushängeschild auch für Geldgeber_innen geworden, um zu zeigen, dass man mit der Zeit geht. In Anbetracht dieser Tendenzen gibt es, denke ich, auch gute Gründe dafür, zu hinterfragen, wie schnell sich Männlichkeitsforschung an den Universitäten etabliert, welche Männlichkeitsforschung das ist und welche Interessen da dahinterstecken.

In den Medien taucht Männlichkeitsforschung meiner Beobachtung nach aktuell häufig im Zusammenhang mit Scheidungsvätern und dem Diskurs um eine Benachteiligung von Jungen im Schulunterricht auf. Teilst du diese Einschätzung?

Ja und ich bin oft überrascht – im negativen Sinn – welche Positionen da vertreten werden, wenn in den Medien Experten zu Männlichkeit eingeladen werden. Da fehlt mir häufig die feministisch-emanzipatorisch-gesellschaftskritische Perspektive. Ich wundere mich darüber, warum die Medien auf solche Leute zurückgreifen. Spannend finde ich dabei vor allem diesen Krisen-Diskurs. Diese Idee, dass Männlichkeit in der Krise ist, mit den unterschiedlichen Ausformungen. Also dass Buben etwa in einer Feminisierungskrise stecken, Lehrerinnen sie nicht zu „echten“ Männern erziehen können. Oder dass Väter in der Krise sind, weil die Mütter ihnen angeblich die Kinder verweigern. Diesen Diskurs muss man beobachten und versuchen zu verstehen, warum er so gut ankommt. Edgar Forster von der Uni Salzburg spricht in einem Text von einer Re-Souveränisierungsstratgie: Im Reden über den armen Mann und den armen Buben kommt es wieder zu einer Etablierung von hegemonialer oder konservativer Männlichkeit. Wenn Schüler von Lehrerinnen angeblich nicht zu „richtigen Männern“ erzogen werden können, steckt dahinter ein stark normatives Bild davon, was es heißt, ein „echter Mann“ zu sein. Und den meisten Väter-Rechtlern geht es offensichtlich nicht um die Frage, wie Reproduktionsarbeit gleichberechtigter organisiert werden kann, sondern es ist eher ein revanchistischer, anti-feministischer Diskurs. Er wird verwendet, um eine konservative Männlichkeit einzureklamieren. Ich habe das Gefühl, hier ist es besonders wichtig, etwas zu unternehmen und alternative Positionen stark zu machen.

Das ist also ein Anliegen deiner Forschungsarbeit?

In meiner derzeitigen Forschungsarbeit steht das noch nicht zentral, was sich aber zukünftig hoffentlich ändert. In der Lehre konzentriere ich mich nun vermehrt auf die kritische Analyse des männlichen Krisen-Diskurses und ich hoffe, dass sich da in näherer Zukunft auch ein Forschungsprojekt ergibt und das Thema nicht zu heiß ist für gewisse Geldgeber_innen. Lothar Böhnisch hat einmal bei einer Tagung gesagt, ein Problem der Männlichkeitsforschung ist, dass sie sich von der Frauenforschung emanzipieren muss.

Und mit welcher Begründung?

Dass, wenn es zu sehr die Frauenforschungs-Perspektive bleibt, es eine verzerrte Perspektive auf Männer entsteht und den realen männlichen Lebensweisen nicht gerecht wird. Ich habe daraufhin einen kleinen Streit mit ihm begonnen, weil ich das überhaupt nicht so sehe, also ich finde das für kritische Männlichkeitsforschung zentral, dass sie sich als Teil von Gender Studies und feministischer Forschung begreift. Es gibt diese Tendenz innerhalb der Männlichkeitsforschung, diese Idee, wir müssen jenseits feministischer Ideen eigene Forschung entwickeln und ich finde das sehr problematisch. Also es gibt, denke ich, durchaus viele Forscher, die etwas zu Männern machen und sich nicht explizit als feministisch verstehen.

Demnächst in Teil 2: Warum Männlichkeit eigentlich aus der Welt geschafft werden muss und warum die Universität Wien eine Art „worst case“ darstellt.

Paul Scheibelhofer lehrt kritische Männlichkeitsforschung sowie Migrationsforschung an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Er studierte Soziologie in Wien und Amsterdam, danach besuchte er den postgradualen Lehrgang Soziologie des Instituts für Höhere Studien, Wien und verfasst derzeit seine Dissertation am Gender Studies Department der Central European University, Budapest. Er engagiert sich in der Forschungsgruppe [KriMi] Kritische Migrationsforschung. In Forschungsprojekten und Publikationen beschäftigt er sich mit den Themen: Migration, Männlichkeit, Rassismus und Jugend.

Links: Interview mit Amerikanistik-Professor und Männlichkeits-Wissenschafter Klaus Rieser, Teil 1 und Teil 2

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