„Heute gibt es keine Frauenbewegung mehr“ – über diesen Satz bin ich schon öfter gestolpert. Nun gut, da stellt sich die Frage, was mensch denn eigentlich unter „Frauenbewegung“ versteht, aber diese Feststellung verblüfft mich doch immer wieder. Auch Bettina Haidinger hat dies zuletzt bei den „Wiener Vorlesungen“ geäußert, wie Feminist Mum berichtete. Interessant ist, dass sowohl Feminist*innen als auch Menschen, die sich nicht feministisch engagieren, Ähnliches behaupten (mal abgesehen von jenen, die sich von Dekonstruktivistinnen bedroht fühlen).
Wie eine Sicht von „außen“ auf das feministische Geschehen in Österreich aussehen könnte, kann ich selbst kaum beurteilen: Was wird wahrgenommen und was nicht? Einen Star, eine feministische Integrationsfigur (oder Abgrenzungsfigur?) gibt es dabei gegenwärtig meiner Meinung nach nicht. Und ich will damit auch gar nicht sagen, dass das notwendig wäre – aber: Österreich hat eben keine Alice Schwarzer, die in der Krone ebenso besprochen wird wie in den an.schlägen, weil mensch einfach nicht an ihr vorbeikommt. In den Mainstream-Medien ist Feminismus selten Thema, selbst rund um den 100. Internationalen Frauentag fiel die Berichterstattung recht spärlich aus.
Wer morgens die Zeitung aufschlägt, erfährt also nicht unbedingt, was sich in den feministischen Szenen in Österreich bzw. Wien denn so abspielt. Allerdings – vielleicht überrascht das einige – tut sich da eine Menge. Abseits der parteipolitischen Organisationen und Interessenvertretungen sind es verschiedene (meist staatlich geförderte) Vereine, die feministische Projekte umsetzen. Im Bereich Arbeit zum Beispiel Sprungbrett, LEFÖ setzt sich unter anderem mit Sexarbeit auseinander, bei Maiz vernetzen sich Migrantinnen, Fiftitu% und Femous leisten wichtige Vernetzungsarbeit in Kunst und Kultur, die Frauenhetz ist ein zentraler Ort für feministische Bildung bzw. Wissenschaft und der Verein AÖF fungiert als Drehscheibe für österreichische Frauenhäuser. Selbst eine Dachorganisation für Frauenvereine wurde gegründet: Der Frauenring vereint mehr als 40 Organisationen, seit 2011 gibt es die Plattform 20000frauen.
Aber das ist noch lange nicht alles. In Wien gibt es zahlreiche politische Initiativen und Orte, an denen feministische/queere/lesbische/antirassistische Politik stattfindet. Das FZ etwa, das Frauen*café, die Rosa Lila Villa, das Gugg, das queer und das Flash Mädchencafé. Viele Projekte entstehen außerdem im Umfeld des Frauen*referats der ÖH der Uni Wien. Selbst feministische Medien konnten in Österreich erfolgreich Gegenöffentlichkeiten schaffen: die an.schläge, fiber, die Frauensolidarität oder etwa die AEP Informationen – einzigartig als kommerzielles Medium ist auch diestandard.at. Wer feministisches Theater erleben möchte, sollte das KosmosTheater besuchen, Stichwort bietet ein Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung und seit kurzem hat Wien auch wieder eine feministische Buchhandlung.*
Seit 2007 findet jährlich die FrauenSommerUni in einem anderen Bundesland statt und auch im Netz tut sich mittlerweile einiges: Im August hat in Wien das erste Netzfeministische Bier stattgefunden und immer wieder starten neue feministische Blogs (z.B. hier und hier). Auch drei Watchgroups gegen sexistische Werbung (Graz, Wien, Salzburg) sind online zu finden.
Was ich damit sagen wollte (vielleicht ist es euch schon aufgefallen): Es gibt sehr viele (queer-)feministische Vereine, Projekte, Medien und Initiativen – meine Aufzählung hier stellt nur einen kleinen Ausschnitt dar. Allerdings darf dieser Umstand nun auch nicht falsch ausgelegt werden, viele Organisationen kämpfen um ihre Finanzierung und sind auf die Arbeit von prekär beschäftigten Frauen* angewiesen. Warum nun aber dieses Gefühl, dass eine Frauen*bewegung bzw. Bewegungen nicht mehr existent seien, wenn in so vielen Kontexten feministische Politik betrieben wird?
Historisch betrachtet hat sich seit den 1970er Jahren natürlich einiges verändert. „Von den 1970er Jahren bis zu den 1990er Jahren standen Thematisierungen des Geschlechterverhältnisses, institutionelle und autonome Politik in einer engen Wechselbeziehung, während danach soziale Bewegungen, die die Geschlechterverhältnisse in Frage stellten, durch die institutionelle Politik immer mehr marginalisiert wurden“, schreiben Johanna Gehmacher und Maria Mesner in „Land der Söhne“. Dass Frauenpolitik eine Institutionalisierung erfuhr und in die viel beschworene Mitte der Gesellschaft rückte, hatte und hat auch Auswirkungen auf die „autonome“ Frauen*bewegung (siehe Denkwerkstatt-Interview mit Maria Mesner).
Zugleich sprechen viele Autor_innen von einem neuen antifeministischen Backlash, die britische Kulturwissenschafterin Angela McRobbie spricht etwa von einer „Desartikulation des Feminismus“: Politische und mediale Diskurse zielen darauf ab, die Notwendigkeit feministischer Politik als historisch erledigt und überholt erscheinen zu lassen. Feministische Forderungen werden dementsprechend als „übertrieben“ und „zu radikal“ abgestempelt. In einer solchen Situation erscheint es noch schwieriger, feministische Themen in den Medien zu positionieren – Frauenpolitik und Feminismus bleiben ein Spartenprogramm.
Die nackten Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache – von überholt keine Spur. Noch immer werden dieselben Forderungen (Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!) formuliert, Frauenhäuser werden wieder in Frage gestellt, die Debatte um eine automatische gemeinsame Obsorge wird von väterrechtlichen Positionen dominiert und auch für das Recht auf Abtreibung muss nach wie vor auf die Straße gegangen werden.
Ist also wieder die Zeit für mehr Gemeinsamkeit gekommen? Braucht es mehr Vernetzung und Solidarität, auch wenn das trügerische „Wir“ der Frauen*bewegung als ausschließend und vereinnahmend entlarvt wurde? Ist die Kategorie „Frau“ angesichts neuer ökonomischer Härten obsolet geworden oder ist gerade das ein Trugschluss?
In Österreich hat die Plattform 20000frauen einen solchen Versuch der Gemeinsamkeit gestartet: Organisationen vernetzen, gemeinsame Aktionen planen – der Versuch wurde in unterschiedlichen Kontexten mehr oder weniger positiv aufgenommen. „Heute, 100 Jahre später, sind viele der damals eingeforderten Rechte umgesetzt, manche werden schon wieder in Frage gestellt, andere noch gar nicht eingelöst und viele neue Forderungen und Visionen sind dazugekommen. Wir wissen, dass wir uns – trotz aller Unterschiede – nicht spalten lassen dürfen, wollen wir als gemeinsame Bewegung Kraft entfachen“, so wurde es in der Vision der 20000frauen formuliert.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich in Österreich gerade etwas im Aufbruch befindet. Vielleicht können wir ja bei der FrauenSommerUni darüber diskutieren (dort stellt sich auch die Plattform 20000frauen zur Diskussion).
*Hierbei handelt es sich um eine kleine, subjektive Auswahl aus meinem Erfahrungszusammenhang- kein Anspruch auf Vollständigkeit! Hinweise werden gerne entgegengenommen!