Und hier Teil 2 des Interviews:
Dein Buch trägt den Titel „Liminal Masculinities“ – Was kann man/frau sich darunter vorstellen und was war dein Forschungsinteresse daran?
Ursprünglich habe ich gedacht, dass es zu Männlichkeiten und Film noch sehr wenig Arbeiten gibt – aber ich musste feststellen, dass das gar nicht stimmt. Besonders zu historischen Aspekten, aber auch zu marginalisierten Männlichkeiten – also zur Frage: Wo werden im Mainstream-Kino bestimmte Männlichkeiten benachteiligt: schwule Männer, schwarze Männer oder Männer aus der dritten Welt zum Beispiel. Aber für mich war dann die Frage spannend, wo diese Trennlinie zwischen einer normativen Männlichkeit und einer ausgegrenzten Männlichkeiten verläuft. So habe ich „liminale Männlichkeit“ für mich definiert – wo liegt die Grenze zwischen „richtigem“ und nicht „richtigem“ Mann. Ich habe also wirklich subordinierte Männlichkeiten außer Acht gelassen und mich mit der Grauzone beschäftigt.
Das ist zum Beispiel beim jugendlichen Mann so – ein Junge ist noch kein „richtiger“ Mann und hat innerhalb des Systems der Männlichkeiten einen anderen Status. Oder auch ein alter Mann zum Beispiel ist kein „richtiger“ Mann mehr. Das weiß man auch aus den Disability Studies: Aus simpler psychoanalytischer Sicht nehmen wir an, ein Mann ist kein richtiger Mann mehr wenn er seinen Penis verliert. Aber auch beim Verlust eines Beines oder Armes, oder bei geistiger Behinderung wird die Männlichkeit gesellschaftlich in Frage gestellt. Es zeigt sich also, dass normative Männlichkeit nicht eine scharfe Grenze aufweist, sei es zur Weiblichkeit oder zu „unmännlichen“ Männlichkeiten.
In diesen Grauzonen der normativen Männlichkeit liegt glaube ich großes Veränderungspotential. In meinen Arbeiten habe ich ja auch immer ein politisches Interesse an der Veränderung und in diesem Sinne habe ich das Projekt angelegt. Also ich denke, wir werden nie ganz wegkommen von normativen Konzepten, aber man kann sie erweitern oder verschieben oder neue zulassen. Sodass zum Beispiel gewalttätige Männlichkeiten nicht mehr als normativ gesehen werden, sondern etwa „weiche“ Männlichkeiten.
Um noch einmal auf die Frage der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten zurückzukommen: Ein deutscher Psychologe schreibt in seinem Buch „Der männliche Habitus“: „Nichts liegt Männern mehr fern, als sich selbst und ihre Lebensweisen zu hinterfragen und sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu machen.“ Würdest du diesem Befund zustimmen?
Nun, das würde mir natürlich schmeicheln, nachdem ich es gemacht habe… (lacht). Also als historischen Befund kann man es schon sagen, es ist teilweise erst durch Druck entstanden. Wenn Männer vorher über Film reflektiert haben, haben sie über den Film reflektiert und dabei schon auch über ihre Männlichkeit reflektiert, aber nicht bewusst. Etwas Ähnliches hat ein anderer Wissenschafter gesagt: Wenn man sich als Mann mit Männlichkeit auseinandersetzt, in einem akademisch-theoretischen Sinne, dann kommt es zu einem Gender-Vertigo, einem Gender Schwindel, einer großen Verwirrung und Unsicherheit – und das habe ich selbst empfunden.
Also ich würde nicht sagen, dass es für Frauen leichter ist, weil es da andere Schwierigkeiten gibt – aber für Frauen liegt in der feministischen Arbeit die Möglichkeit, Muster zu durchschauen, die ihnen schaden und sich dadurch dagegen zu positionieren. Eine der Hauptschwierigkeiten liegt glaube ich darin, mit dieser Analyse umzugehen und nicht in Depression oder Verzweiflung zu verfallen, weil noch so viel zu tun ist und in der Gesellschaft aber vermittelt wird: Da ist eh nichts oder jetzt ist eh alles gut.
Bei Männern kommt hinzu, dass man sich in ein Feld begibt, das natürlich sehr kritisch gegenüber Männlichkeit ist und sein muss. Und wenn man das ernst nimmt, ist es natürlich selbst sehr in Frage stellend. Deshalb verstehe ich dieses Zitat. Also ich denke, er meint bestimmt die Kritik an patriarchalen Zuständen. Aber wenn ich das aus meiner Erfahrung anschaue, denke ich mir: Ja, ich weiß schon, warum ich gezögert habe, warum es manchmal schwer ist und warum es nicht mehr Männer tun. Im Prinzip ist es schwer, ja. Es braucht eine gewisse Überwindung.
Gender Studies sind mittlerweile – wenn auch nicht institutionell – an den österreichischen Universitäten angekommen. Lehrangebote zur Männlichkeitsforschung gibt es dennoch kaum. Glaubst, dass es sich hier wieder um eine zeitverzögerte Entwicklung handelt, oder könnte es dafür andere Gründe geben?
Also die grundsätzliche akademische Struktur in Österreich – die sich jetzt verändert – ist etwas träger als etwa die US-Amerikanische. In den USA hat man einfach früh, wenn ein Thema gesellschaftlich präsent war, dazu ein Department gegründet und man hat aber auch Departments wieder zugesperrt. Hier ist das aber extrem schwierig. Dazu gab es die Strategie in Österreich, nicht Gender Studies Departments zu gründen, sondern Koordinationsstellen für Frauenforschung – um eine „Ghettobildung“ zu vermeiden.
Mittlerweile fährt man eine Doppelstrategie und versucht doch zu institutionalisieren, was auch seine Vorteile hat. Mit den neuen Gender-Programmen kommen jetzt erst die Überlegungen, was alles Platz finden muss und Queer Studies sind hier schon sehr relevant, Männlichkeit wäre für mich ebenfalls ein interessanter Aspekt. Aber es besteht dann auch die Gefahr, dass Männer diesen Bereich okkupieren. Deswegen mache ich meine Forschung in die selbe Richtung, aber ich bringe mich in Gender Studies nur ein, wenn ich angefragt werde, weil ich nicht versuche, die Positionen zu besetzen.
Ich kann es eigentlich nicht wirklich sagen, vielleicht nimmt das auch schon ab. Also derzeit gibt es schon noch sehr viel Forschung zu Männlichkeit, aber eine Zeit lang ist das neu, the cool thing, und das war Männlichkeit und Film auch und dann ist es irgendwann nicht mehr so und dann wird weniger dazu publiziert und dann findet es auch nicht mehr so leicht einen Platz in den Programmen.
Zu einer aktuellen Diskussion: Buben schneiden im Vergleich zu Mädchen im österreichischen Bildungssystem immer schlechter ab – werden sie in einem angeblich „weiblichen“ System benachteiligt?
Persönlich sehe ich das nicht, nicht in einer Art wie die gesamtgesellschaftliche strukturelle Benachteiligung von Frauen. Wenn die Buben im Unterricht so massiv benachteiligt werden würden – das wäre dann ja schon sehr lange, Frauen sind nicht erst seit ein paar Jahren im Lehrberuf vertreten – dann müssten die ganzen Managementpositionen schon längst von Frauen besetzt sein.
Es kann sicher sein, dass grundlegende Bedürfnisse von Buben, wobei ich jetzt nicht meine als Buben, sondern als Kinder, in einem offenen breiten Feld nicht genügend berücksichtigt sind, aber da würden auch alle feministischen Ansätze dafür sein, Buben in der Erziehung eine Vielzahl von Möglichkeiten zu eröffnen.
Wer sich mit Geschlecht auseinandersetzt, hat oftmals mit sehr negativen Reaktionen zu rechnen – ob im persönlichen Umgang oder in Internet-Foren. Ist dir das auch schon passiert?
Mir hat einmal jemand gesagt – weil ich mich über ein Posting aufgeregt habe: “ Diese Postings darf man nie lesen…“ Es ist einfach eine ganz spezifische Publikationsform, wo sich unter anderem Menschen mit enormer neurotischer Energie Luft machen.
Ich war auch lange in einer Diskussionsliste zu Männlichkeitsforschung und da waren feministische Männer dabei, aber auch sehr viele, für die das ein starkes Thema ist, aber sie enorm verunsichert und die dann schnell untergriffig werden. Und wenn man mit denen in eine Diskussion einsteigt, ist der Endpunkt oft nur, dass sie auf rein biologistische Argumentationen rund um die Fortpflanzung zurückgreifen. Wenn die glauben, dass man wirklich sämtliche Gender-Aspekte in unserer Gesellschaft darauf zurückführen kann, dann wird man ihnen das nicht ausreden können. Ich habe mich dann irgendwann von diesen Listen abgemeldet, es ist vielleicht nicht sinnvoll, sich auf Diskussionen mit solchen Leuten einzulassen. Man verschwendet seine Energie und irgendwann frustriert es einen dann. Ein Burnout hilft niemandem weiter.
Was werden deine nächsten Forschungsprojekte sein?
Im Moment sind es zwei Hauptprojekte. Ich habe mir überlegt, mal von Gender wegzugehen, mich mit etwas zu beschäftigen, das mir nicht so nahe geht. Und das sind amerikanische Ikonen, ikonische Figuren wie John Wayne oder Marylin Monroe, da interessiert mich die Frage, wie in der Bilderflut bestimmte Bilder herausragend werden.
Und das zweite Thema, das mich sehr stark interessiert, sind Vater-Tochter-Verhältnisse. Im Film, aber auch in Selbsthilfe-Büchern und Ähnlichem. Dieses Verhältnis ist sowohl in der Repräsentation, als auch in der akademischen Aufarbeitung unterbeleuchtet. Vater-Sohn-Verhältnisse sind immer schon behandelt worden und feministische Analysen haben sich sehr stark für die Mutter-Tochter Verhältnisse interessiert, aber Mutter-Söhne und Vater-Töchter Verhältnisse sind unterbeleuchtet. Und wie immer merkt man auf den zweiten Blick, dass doch schon einiges vorhanden ist, vor allem das Thema Missbrauch schwingt oft ganz stark mit. Eigentlich wollte ich einen positiven Zugang versuchen – eine Modellbildung für positive Vaterschaft. Da spielt natürlich mein persönliches Interesse hinein, weil ich selbst zwei Töchter habe.
In ganz vielen Filmen ist es so, dass ein Vater seine Aufgabe ein Leben lang verbocken kann, er nicht da ist, oder seine Tochter vollkommen ignoriert, oder sonst irgendwie ein furchtbarer Vater ist. Und später gibt es einen Wandel oder er tut nur einen positiven Schritt und auf einmal ist alles wieder ok. Alles ist ganz schnell wieder in Ordnung – das vermittelt so ein Bild, als ob es irrelevant wäre, einen Vater zu haben, wenn es reicht, einmal mit siebzig etwas Nettes zu sagen. In den Filmen sind die Väter zwar total wichtig, aber sie müssen nichts dafür tun. Es wird nicht so dargestellt, als ob Vatersein wirkliche Arbeit wäre und Hingabe erfordert.
Kurzbio von Klaus Rieser:
Klaus Rieser ist ao. Univ. Prof. am Institut für Amerikanistik der Universität Graz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Film, Gender, Ethnizität und Cultural Studies. Speziellere Forschungsschwerpunkte innerhalb dieser Gebiete umfassen die Darstellung von Migration im Film und deren kulturelle Signifikanz; Männlichkeit im Film (Habilitation 2006), sowie derzeit US-Amerikanische Ikonen. Er ist Leiter des Instituts für Amerikanistik, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien, und Mitherausgeber der Reihe „American Studies in Austria“.
Online-Visitenkarte von Klaus Rieser
Das Buch: Borderlines and Passages. Liminal Masculinities in Film. Aus der Reihe „Arbeiten zur Amerikanistik“. Essen: Die Blaue Eule 2006.