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Interview: Frauenbewegung in Österreich – Teil 2

I

In den skandinavischen Ländern wurden in den 60er Jahren Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert, in Österreich wurde auf ausländische Arbeitskräfte gesetzt. Hängt diese Entscheidung auch mit der katholischen Tradition Österreichs zusammen?

Das ist eine gute Frage. Ich denke nicht, dass es in den skandinavischen Ländern, die ja oft ein leuchtendes Vorbild für emanzipatorische Politik sind, nur ein Thema von Gleichberechtigung gewesen ist. Es ging viel mehr darum, Humanressourcen zu mobilisieren – wie es so schön heißt. Frauen, die aus Gründen der Kinderbetreuung oder sonstigen Betreuungsaufgaben keiner Erwerbsarbeit nachgingen, stellten eine riesige Ressource dar. Und die skandinavischen Länder haben sich dafür entschieden, diese Ressource zu heben, zu mobilisieren, aber auch aus einem nationalistischen Motiv. Man wollte keine ausländischen Arbeitskräfte ins Land holen.

In Österreich war dieses nationalistische Motiv offenbar in den sechziger Jahren weniger stark als das Motiv, die herrschenden Geschlechterverhältnisse aufrecht zu erhalten. Das wiederum denke ich hat durchaus mit dem katholischen Einfluss zu tun, auch mit einer langen Tradition des Kompromisses zwischen katholischen und sozialdemokratischen Geschlechterbildern. Daher war das in Österreich offenbar die naheliegendere Lösung. In Skandinavien stand der Wille nach einer geschlossenen Nation im Vordergrund.

In Bezug auf Finnland kenne ich die Situation genauer. Dort gab es einerseits eine sehr späte Nationsbildung, andererseits sind Frauen als Mütter schon sehr früh in die nationale Gemeinschaft aufgenommen worden. Und zwar als politische Subjekte. Im nationalen Kampf gegen Schweden und gegen Russland gab es die Idee, alle Teile des politischen Kollektivs in die Nation zu integrieren. Das hat auch dazu geführt, dass in Finnland die Frauen als erstes Land in Europa überhaupt das Wahlrecht bekommen haben. Wobei es wichtig ist zu wissen, dass die Integration der Frauen nicht als Menschen mit Menschenrechten passiert ist, sondern als Mütter. Das alles sind so Grundhaltungen, die politisches Handeln und gesamtgesellschaftliche Werte bestimmen, ohne dass sie den Handelnden immer bewusst sind.

In Österreich gilt Johanna Dohnal als eine Ikone der Frauenpolitik. Nach ihrem Tod wurden Stimmen laut, die eine „neue“ Dohnal forderten. Sind die Erfolge von Johanna Dohnal tatsächlich an ihrer Person festzumachen?

Johanna Dohnal war eine ausgezeichnete Politikerin, eine sehr entschlossene Person, eine Person, die ihre Ziele gut kommunizieren konnte, die nicht zurückgeschreckt ist vor Ablehnung und vor Konflikten. Das zeichnet sie als Politikerin aus, das hat sie sicher erfolgreich gemacht. Ich glaube, in der heutigen Zeit gibt es so einen rückwärtsgewandten Wunsch nach den Heldinnen des Beginns oder auch den Helden des Beginns. Ein Teil dieser Sentimentalität ist auch der Wunsch nach einer neuen Johanna Dohnal, sie war in der Aufbruchszeit institutioneller Frauenpolitik aktiv und sie war die richtige Person an dieser Stelle, da gibt es keine Zweifel.

Allerdings würde sie heute auch andere Strategien anwenden müssen und in anderen Kontexten agieren. Sie wäre wahrscheinlich mit den Mitteln der späten 60er Jahre am Beginn der 10er Jahre nicht mehr so erfolgreich, wie sie es gewesen ist. Außerdem war sie in ihrer Zeit als Staatssekretärin ja nicht die Ikone, als die sie heute an manchen Orten gilt, sondern eine ganz umstrittene und emotionalisierende Politikerin. Das vergisst man manchmal in dieser rückwärtsgewandten Euphorie. Es gab sehr viele Konflikte und Johanna Dohnal ist nicht auf umfassende Zustimmung gestoßen, auch nicht unter den frauenbewegten Frauen.

Welche Rolle spielte Bruno Kreisky für die Frauenpolitik – war Bruno Kreisky ein Feminist?

Nein, er war sicher kein Feminist. Bruno Kreisky war ein guter Kommunikator und Bruno Kreisky hat schnell verstanden, was Zeitströmungen sind und was man daraus politisch machen kann. Daher denke ich hat er 1979 diese vier Staatssekretärinnen eingesetzt. Um die Frauenquote in der Regierung zu heben und auch um ein öffentliches Zeichen zu setzen. Er hat schon zuvor während seiner Kanzlerschaft das Familienrecht liberalisiert, also egalitärer gestaltet, es wurde das Strafrecht liberalisiert, damit auch der Schwangerschaftsabbruch. Das waren aber beides sozialdemokratische Forderungen zumindest von Beginn des 20. Jahrhunderts an – wenn nicht noch früher. Und unter der Alleinregierung Kreisky – das war die erste sozialdemokratische Alleinregierung – ist diese Umsetzung der jahrzehntelang erhobenen Forderungen dann auch auf der Agenda gestanden. Es war wohl weniger ein Kraftakt Kreiskys, sie auf die Agenda zu setzen.

Kreisky hatte einen hohen Anteil an der Erringung der absoluten Mehrheit, die wiederum Voraussetzung für all diese Reformen war. Aber eigentlich hat seine Regierung auf langjährige Forderungen und Konzepte der sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Partei – je nachdem, von welcher Zeit wir sprechen – zurückgegriffen. Kreisky hat erkannt, dass das Zustimmung bringen würde, aber gerade bei der Fristenregelung war er eigentlich zögerlich und wurde schließlich von seinem Justizminister Christian Broda und der SPÖ-Frauenorganisation angestoßen. Die Person Bruno Kreisky ist ein Grund für die durchgesetzten Reformen der 70er Jahre, aber es gibt noch ganz wesentliche strukturelle Gründe. Und ich denke nicht, dass er Feminist war.

In den USA ist Abtreibung in jedem Wahlkampf heißes Thema, in Österreich scheint es doch einen breiten Konsens für die Fristenregelung zu geben – oder trügt hier der Schein?

Das Thema taucht schon immer wieder auf in den Wahlkämpfen, in Landtagswahlkämpfen, in Salzburg beispielsweise, auch Vorarlberg, manchmal Tirol. Also es ist noch immer ein Thema, mit dem versucht wird, zu emotionalisieren, zu mobilisieren – und das von beiden Seiten. Auch die SPÖ tut das ja mitunter, wenn sie sagt: wir schützen die Fristenregelung. Ich denke, dass die Fristenregelung zur Gewohnheit geworden ist. Das bedeutet, dass für die Frauen, die davon betroffen sind, es einfach lebensweltlich von so großer Bedeutung ist, in dieser Weise nicht mehr dem Strafgesetz in ihren privaten und ohnehin nicht leichten Entscheidungen ausgesetzt zu sein, dass eine Rückkehr zur Bestrafung der Abbrüche vor dem Ende des 3. Monats politisch nicht realistisch ist und daher auch von keiner der großen Parteien ernsthaft erhoben wird. Das würde eher Wählerinnenstimmen kosten, als welche bringen. Aber es gibt immer wieder Versuche, über das Thema zu emotionalisieren und zu mobilisieren.

Ich denke, dass die Frage der Fristenregelung zukünftig wohl eher tangential berührt werden wird, es geht heute um Pränataldiagnostik, also um die Frage, wie man mit Fortpflanzung umgeht, welchen Einfluss hier die Gesellschaft und der Staat nimmt. Die Abtreibung ist wahrscheinlich seit den 90er Jahren nicht mehr dieses Marker-Thema für Positionen, wie das in den USA der Fall ist. Das hat vor allem mit der religiösen Landschaft Österreichs zu tun. In Österreich spielen radikale religiöse Gruppen wie Evangelikale beispielsweise weniger eine Rolle, weil die katholische Kirche trotz des Bedeutungsverlusts in den vergangenen zwanzig Jahren doch noch immer eine zentrale Stellung einnimmt. Und diese verhält sich zwar ablehnend gegenüber der Fristenregelung, greift aber nicht so radikal und emotionalisierend in die Politik ein.

Noch eine Frage zu Ihrer Arbeit als Historikerin: Mit welchem Geschlechterbegriff arbeiten Sie? Gibt es in der Geschichtswissenschaft überhaupt Möglichkeiten, Geschlecht abseits von einem dichotomen Konzept zu denken?

Ja, ich denke schon, dass es das gibt. Wenn man mit einem historisch genauen Blick auf die Akteure und Akteurinnen der Vergangenheit blickt, wird deutlich, dass Geschlecht keine Positionen definiert. Geschlecht ist eine strukturelle Kategorie, die nahe legt, aber nicht zu hundert Prozent festlegt, dass eine Person wahrscheinlich weniger Geld verdient, wahrscheinlich bestimmte Positionen nie erreicht und so weiter. Aber als Historikerin muss man die Individualität der historischen Akteure und Akteurinnen ernst nehmen und nicht mit einem vorgefertigten Muster nach einer scharfen Trennlinie suchen. Sondern sich vielmehr einen offenen Blick bewahren für verschiedene Lebensrealitäten. Da ist Geschlecht ein Bestimmungsmerkmal, aber nicht immer das allerwichtigste. Es gibt sicher Zeiten und Situationen, in denen die soziale Lage, der Migrationsstatus einer Person viel wesentlicher ist für die Definition ihrer Handlungsspielräume als das Geschlecht.

Es ist wichtig, sich diesen Blick zu bewahren, also nicht mit diesem dichotomen Geschlechterraster, das uns die 50er und die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts nahegelegt haben, auf vergangene Gesellschaften zu schauen. Das ist so zentral, da die Geschichte ja immer wieder herangezogen wird als Legitimation für Dinge, die in der Gegenwart passieren. Dieses Argumentationsmuster: „Das war schon immer so“ ist ja ein beliebtes und ich denke, dass gerade der Blick in die Vergangenheit deutlich macht, dass es nicht immer schon so gewesen ist, sondern dass das, von dem wir denken, dass es immer schon so gewesen ist, manchmal 50 Jahre alt ist, manchmal 100 Jahre alt ist.

Daher ist ein dekonstruktivistischer Blick auf Vergangenheit, der unterschiedliche Positionen akzeptieren kann und akzeptieren will gerade im Verhältnis zur Geschichte gar kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Es geht auch darum, Geschichte diesen Charakter einer Legitimationswissenschaft zu nehmen. Denn wie es geworden ist, das ist immer auch eine Geschichte dessen, was alles an Konzepten und Mustern unterlegen ist. Das verschwindet aus der Geschichtsschreibung. Und nach diesen unterlegenen Mustern zu suchen ist eine wichtige Aufgabe von Historikern und Historikerinnen. Ohne sie simplifizieren wir vergangene Gesellschaften.

Die Plattform „20.000 Frauen“ sammelt derzeit zentrale frauenpolitische Forderungen. Welche drei Forderungen sind Ihre wichtigsten?

Ach, wir haben das schon diskutiert und sind zu keiner wirklichen Lösung gekommen. Ich denke, eine gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist gegenwärtig von großer Bedeutung. Das halte ich für eine zentrale geschlechterpolitische Forderung. Kann ich es bei einer belassen?

Ja, wenn das für Sie die wichtigste ist…

Ich denke, dass es der wichtigste Ansatz ist, ja.

Links:
Teil 1 des Interviews
Stiftung Bruno Kreisky Archiv
Maria Mesner auf Wikipedia

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 2

V

Teil 2 des Interviews mit Paul Scheibelhofer, Soziologe und Gender- bzw. Männlichkeitswissenschafter:


Fühlst du dich manchmal als Einzelkämpfer – als Mann innerhalb der Gender Studies und als kritischer Männlichkeitsforscher im deutschsprachigen Raum?

Also ich habe mich in letzter Zeit explizit mehr auf deutschsprachigen Konferenzen beworben, weil ich gemerkt habe, dass ich fast nur mehr im englischsprachigen Raum unterwegs war. Und auch die Literatur, die ich zitiere, da muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass es auch deutschsprachige Literatur gibt, ja, da gibt es durchaus Entfremdungsprozesse, aber ich finde das auch total spannend, Literatur aus dem einen Kontext in den anderen zu Überführen und zu sehen, was da möglich ist. Derzeit probiere ich etwa feministische postkoloniale Zugänge für die Analyse von Migration, Rassismus und Männlichkeit fruchtbar zu machen.

Also ich mache eigentlich gar nicht so viel explizite Männerforschung, ich sehe mich auch eher als jemand, der Genderforschung mit Fokus auf Männlichkeit macht, pure Männerforschung – da spüre ich manchmal ein wenig Unbehagen. Auf Tagungen zu reinen Männerthemen kommt es zum Beispiel oftmals zum Streit zwischen kritischen und unkritischen Forschern. Wenn ich hingegen zwischen Queer-Theoretiker_innen sitze, fühle ich mich um einiges wohler, weil da doch ein politischer Grundkonsens besteht. Also ich bin es mittlerweile eher gewohnt, der einzige Mann in einem Raum zu sein, als mich mit einer Gruppe von Männerforschern zu unterhalten.

Mit welchem Konzept von Geschlecht arbeitest du wissenschaftlich? Braucht man als Soziologe das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit?

Ich habe da kein Konzept, das ich in zwei, drei Sätzen abschließend zusammenfassen könnte, das hat sich für mich auch geändert im Rahmen meiner akademischen Auseinandersetzung, es trägt die Spuren meiner bisherigen Laufbahn. Ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht ist mir prinzipiell sehr wichtig und ich finde Weiterentwicklungen in Richtung Queer Theory und Poststrukturalismus und kulturwissenschaftliche Ansätze sehr spannend, allerdings ist mir eine Rückbindung an soziale Verhältnisse sehr wichtig. Ich halte es für wichtig, sich zu fragen, wie Zweigeschlechtlichkeit hergestellt, kontrolliert und durch tausende Techniken stabilisiert wird.

Das sind eben ganz reale Effekte, wenn der Staat daran glaubt, dass es nur Männer und Frauen gibt. So lange so viele Institutionen darauf aufgebaut sind, dass es zwei Geschlechter gibt, gibt es gute Gründe, sich mit dieser zweigeschlechtlichen Welt auseinanderzusetzen. Ich würde Jeff Hearn zustimmen, wenn er sagt, im Endeffekt geht es darum, Männlichkeit aus der Welt zu schaffen. Männlichkeit ist ein Ausdruck patriarchaler Verhältnisse, bis wir in einer anderen Gesellschaft leben, ist es aber notwendig, sie kritisch zu beforschen.

Dein Dissertationsprojekt trägt den Titel: „Constructing Turkish Migrant Masculinities in an era of ‘Multicultural Trouble’”. Was darf man/frau sich darunter vorstellen?

Mein zentrales Interesse ist, wie in Zeiten verstärkten Integrations- und Diversitätspolitiken Bilder fremder Männlichkeit genutzt werden, um Migrant_innen zu disziplinieren und was von Seiten aktivistischer junger Männer mit Migrationshintergrund dem entgegengesetzt wird. Ich habe mich schon während meiner Diplomarbeit mit der Konstruktion migrantischer Männlichkeiten auseinandergesetzt und es hat sich ein Unbehagen bei mir breit gemacht, weil sich so viele Menschen für das Thema interessiert haben. Viele Leute meinten: Ja, das muss man doch einmal untersuchen, was mit diesen Jungs los ist. Und das habe ich dann als Anlass genommen, um die Perspektive zu verschieben.

Weg von der Frage, wie diese Männer mit Migrationshintergrund jetzt eigentlich sind, hin zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen bestimmte Bilder fremder Männlichkeit produziert werden. Also wie im Reden über „den türkisch-muslimischen Mann“ ein bestimmtes rassistisches Wissen generiert wird. Und diese sogenannte Krise des Multikulturalismus, die ist denke ich sehr wichtig, um zu verstehen, wie derzeit über fremde Männlichkeit gesprochen wird. Aus der Politik kommen Signale, es gebe eben diese gefährlichen Parallel-Gesellschaften und wir müssen jetzt härter durchgreifen, indem wir Integrationsprogramme installieren und Einwanderer testen, wie ihre Einstellung zu Homosexualität und Gleichberechtigung aussieht.

In den 70er Jahren wurde noch darüber gesprochen, ob die so genannten Gastarbeiter gesund, stark und jung sind, um dann hier schlecht bezahlte, gefährliche Arbeit zu verrichten. Dieser Kontext hat sich geändert und damit einher gehen auch andere Bilder von Fremdheit – was ist wünschenswert, was ist bedrohlich, wer soll kommen, wer muss gehen? Für diese Fragen spielen Ideen von eigenen und fremden Kulturen eine wichtige Rolle und diese werden nicht zuletzt über Bilder von Geschlechterverhältnissen und Sexualität ausgehandelt. In meiner Dissertation schaue ich mir neben solchen Diskursen noch ethnographisch an, wie sich Männer, die der so genannten zweiten türkischen Generation angehören, in künstlerischer und politischer Form in diese Aushandlungsprozesse einreklamieren – welche alternativen Bilder da entwickelt werden und wie sie es schaffen oder nicht schaffen, den dominanten Bildern etwas entgegenzusetzen.

Deine Dissertation schreibst du an der CEU, einer Privatuniversität in Budapest. Warum nicht in Österreich?

Ich bin auf diese Universität gestoßen und mich hat es fasziniert, welche Leute dort unterrichten. Es gibt dort ein Gender-Studies Departement mit sehr hohem wissenschaftlichen Niveau und es werden auch Stipendien bezahlt. Ich finde, dass es spätestens bei der Dissertation jemanden geben muss, der einen dafür bezahlt. Man kann das nicht ewig auf Basis von Selbstausbeutung machen. Es ist aber auch recht widersprüchlich, dass ich dort studiere. Im Winter haben wir hier im Rahmen der Hochschulproteste für freien Hochschulzugang und demokratische Universitäten gekämpft und ich schreibe zugleich meine Dissertation an einer Universität, die sich als Elite-Institution am europäischen Hochschulsektor positioniert und nur sehr wenige Studierende aufnimmt.

Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Einerseits habe ich gemeinsam mit einer aktivistischen Gruppe an der CEU versucht, die Themen und Diskussionen der österreichischen Uniproteste auch dort publik zu machen und Leute anzuregen, sich über Bologna, elitäre Wissensproduktion etc. kritische Gedanken zu machen. Andererseits würde ich sagen, dass die Verhältnisse an der Uni Wien ja fast der worst case sind. Also komplett unterfinanziert, hierarchische Strukturen, etc. Da gibt es an der CEU eben klare Verhältnisse, sie versuchen, amerikanisch zu sein und das hat Vor- und Nachteile. Bei der Situation der österreichischen Unis sehe ich derzeit fast nur Nachteile, was jetzt nicht heißt, dass es nicht auch sehr tolle und kritische Lehrende, Forschende und Institute gibt. Man kann also nicht einfach sagen „gutes österreichisches System“ versus „böses System der CEU“. Hier gibt es, denke ich, keine einfachen Lösungen. Sehr wohl gibt es an beiden Orte gute Gründe für Studierenden- und Lehrendenproteste.

Siehst du dich in zwanzig Jahren noch immer als Wissenschafter? Wie hoch ist das Frustrationspotential im Bereich der Männlichkeitsforschung?

Ich bekomme durchaus sehr viel positives Feedback, also ich habe schon das Gefühl, dass, wenn diese erste Verwunderung verschwunden ist, es sehr viel Interesse für das Thema gibt. Es gibt aber auch kritische Rückmeldungen von feministischer Seite, die ich zum Teil gut nachvollziehen kann. Auf Ö1 etwa gab es vor kurzem eine komplett unkritische Sendereihe zu Männlichkeit und Gefühlen, da verstehe ich, dass Menschen damit ein Problem haben, wenn das Männlichkeitsforschung sein soll: Oje, wie können wir wieder richtige Männer werden? Kritische Männlichkeitsforschung macht eigentlich genau das Gegenteil. Männlichkeit zu dezentrieren, aus den Angeln zu heben und zu fragen, wie schaffen wir soziale Verhältnisse, in denen es nicht mehr um die Frage geht, was richtige und falsche Männlichkeit ist.

Links:
Teil 1 des Interviews
Website Paul Scheibelhofer mit ausführlicher Bibliographie und weiteren Links

Von Feminisierungs-Krisen und Väterrechtlern, 1

V

Die Denkwerkstatt ist unter anderem angetreten, um Gender-Wissenschaft zu kommunizieren. Damit dies nicht zu kurz kommt, gibt es endlich wieder ein Interview mit einem Männlichkeits-Wissenschafter. Diesmal: Paul Scheibelhofer, ein Nachwuchs-Wissenschafter bzw. Soziologe, der vorwiegend zu den Themen Geschlecht (insbesondere Männlichkeit), Migration, Rassismus und Jugend forscht.

Du hast Soziologie studiert und beschäftigst dich jetzt vorrangig mit Gender Studies / Männlichkeitsforschung und Migration. Woher kommt dein Interesse für Gender Studies und Männlichkeitsforschung?

Mein Fokus auf Geschlechterforschung hat sich im Studium eigentlich ganz zufällig ergeben. Ich habe damals mit dem naiven Anspruch, die Welt verbessern zu wollen, zu studieren begonnen. Und einem wirklich kritischen Anspruch bin ich am Soziologie-Institut nur in Gender- oder Migrations-Seminaren begegnet. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass in Gender-Seminaren spannende Gesellschaftskritik passiert. Und dass es um viel mehr geht, als um Geschlechterverhältnisse. Sei es jetzt, sich Philosophiegeschichte aus Geschlechterperspektive anzusehen, zu analysieren, was Sexarbeit mit Globalisierung und ökonomischen Verhältnissen zu tun hat – also im Prinzip hatte ich das Gefühl, dass eigentlich die ganze Welt verhandelt wird. Und als ich dann ein Jahr lang in Amsterdam studiert habe, habe ich die Männlichkeitsforschung für mich entdeckt. Ich hatte zuvor schon immer meine Studienkolleginnen darum beneidet, dass sie nicht nur den Zugang zu diesen tollen theoretischen Ansätzen haben, sondern auch einen persönlichen Bezug entwickeln können. In der Männlichkeitsforschung ist das für mich jetzt ein „added value“, dieser persönliche Bezug und die Reflexionsmöglichkeiten.

Fehlt dir bei Frauenforschung oder Gender Studies also ein solch persönlicher Bezug?

Nein, nicht unbedingt, es ist eben ein anderer persönlicher Bezug. Und ich finde es schon kompliziert genug, als Mann Gender Studies zu machen und da auch Raum zu beanspruchen. Kritische Männlichkeitsforschung zu machen ist dann wohl auch ein bisschen ein Weg, um sich nicht all zu vielen Fragestellungen aussetzen zu müssen. Mein Interesse gilt zwar der Beforschung von Geschlechterverhältnissen, ich finde es in meiner eigenen Forschungsarbeit aber für mich einfacher, es zu legitimieren, als Mann Männer und Männlichkeit kritisch zu beforschen, als Frauen und Weiblichkeit.

Akademische Männerforschung hat sich bisher im deutschsprachigen Raum wenig etablieren können. Warum glaubst du, ist das so?

Nun ja… Ich denke, es hat ja auch lange genug gedauert, bis es die Geschlechterforschung überhaupt an die Uni geschafft hat. Mich überrascht es eher, dass es so viel Zuspruch zur Männlichkeitsforschung gibt. Es gibt zwar vielleicht noch keine Professuren, aber ich erlebe großes Interesse vieler Institute – bis hin zu problematischen Tendenzen. Es scheint mir, dass es sich Gender Studies Institute heute teilweise gar nicht mehr leisten können, Männlichkeitsforschung nicht zu machen. Es ist wohl ein Aushängeschild auch für Geldgeber_innen geworden, um zu zeigen, dass man mit der Zeit geht. In Anbetracht dieser Tendenzen gibt es, denke ich, auch gute Gründe dafür, zu hinterfragen, wie schnell sich Männlichkeitsforschung an den Universitäten etabliert, welche Männlichkeitsforschung das ist und welche Interessen da dahinterstecken.

In den Medien taucht Männlichkeitsforschung meiner Beobachtung nach aktuell häufig im Zusammenhang mit Scheidungsvätern und dem Diskurs um eine Benachteiligung von Jungen im Schulunterricht auf. Teilst du diese Einschätzung?

Ja und ich bin oft überrascht – im negativen Sinn – welche Positionen da vertreten werden, wenn in den Medien Experten zu Männlichkeit eingeladen werden. Da fehlt mir häufig die feministisch-emanzipatorisch-gesellschaftskritische Perspektive. Ich wundere mich darüber, warum die Medien auf solche Leute zurückgreifen. Spannend finde ich dabei vor allem diesen Krisen-Diskurs. Diese Idee, dass Männlichkeit in der Krise ist, mit den unterschiedlichen Ausformungen. Also dass Buben etwa in einer Feminisierungskrise stecken, Lehrerinnen sie nicht zu „echten“ Männern erziehen können. Oder dass Väter in der Krise sind, weil die Mütter ihnen angeblich die Kinder verweigern. Diesen Diskurs muss man beobachten und versuchen zu verstehen, warum er so gut ankommt. Edgar Forster von der Uni Salzburg spricht in einem Text von einer Re-Souveränisierungsstratgie: Im Reden über den armen Mann und den armen Buben kommt es wieder zu einer Etablierung von hegemonialer oder konservativer Männlichkeit. Wenn Schüler von Lehrerinnen angeblich nicht zu „richtigen Männern“ erzogen werden können, steckt dahinter ein stark normatives Bild davon, was es heißt, ein „echter Mann“ zu sein. Und den meisten Väter-Rechtlern geht es offensichtlich nicht um die Frage, wie Reproduktionsarbeit gleichberechtigter organisiert werden kann, sondern es ist eher ein revanchistischer, anti-feministischer Diskurs. Er wird verwendet, um eine konservative Männlichkeit einzureklamieren. Ich habe das Gefühl, hier ist es besonders wichtig, etwas zu unternehmen und alternative Positionen stark zu machen.

Das ist also ein Anliegen deiner Forschungsarbeit?

In meiner derzeitigen Forschungsarbeit steht das noch nicht zentral, was sich aber zukünftig hoffentlich ändert. In der Lehre konzentriere ich mich nun vermehrt auf die kritische Analyse des männlichen Krisen-Diskurses und ich hoffe, dass sich da in näherer Zukunft auch ein Forschungsprojekt ergibt und das Thema nicht zu heiß ist für gewisse Geldgeber_innen. Lothar Böhnisch hat einmal bei einer Tagung gesagt, ein Problem der Männlichkeitsforschung ist, dass sie sich von der Frauenforschung emanzipieren muss.

Und mit welcher Begründung?

Dass, wenn es zu sehr die Frauenforschungs-Perspektive bleibt, es eine verzerrte Perspektive auf Männer entsteht und den realen männlichen Lebensweisen nicht gerecht wird. Ich habe daraufhin einen kleinen Streit mit ihm begonnen, weil ich das überhaupt nicht so sehe, also ich finde das für kritische Männlichkeitsforschung zentral, dass sie sich als Teil von Gender Studies und feministischer Forschung begreift. Es gibt diese Tendenz innerhalb der Männlichkeitsforschung, diese Idee, wir müssen jenseits feministischer Ideen eigene Forschung entwickeln und ich finde das sehr problematisch. Also es gibt, denke ich, durchaus viele Forscher, die etwas zu Männern machen und sich nicht explizit als feministisch verstehen.

Demnächst in Teil 2: Warum Männlichkeit eigentlich aus der Welt geschafft werden muss und warum die Universität Wien eine Art „worst case“ darstellt.

Paul Scheibelhofer lehrt kritische Männlichkeitsforschung sowie Migrationsforschung an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Er studierte Soziologie in Wien und Amsterdam, danach besuchte er den postgradualen Lehrgang Soziologie des Instituts für Höhere Studien, Wien und verfasst derzeit seine Dissertation am Gender Studies Department der Central European University, Budapest. Er engagiert sich in der Forschungsgruppe [KriMi] Kritische Migrationsforschung. In Forschungsprojekten und Publikationen beschäftigt er sich mit den Themen: Migration, Männlichkeit, Rassismus und Jugend.

Links: Interview mit Amerikanistik-Professor und Männlichkeits-Wissenschafter Klaus Rieser, Teil 1 und Teil 2

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