Die deutsche Familienministerin Kristina Schröder hat dem Spiegel ein skandalträchtiges Interview gegeben – auf der Mädchenmannschaft und dem Mädchenblog wurde der Text bereits treffend analysiert. „Ministerin Schröder rechnet mit Feminismus ab“ freut man sich da in der Redaktion des Nachrichtenmagazins. Schließlich wird Alice Schwarzer kritisiert und darauf hingewiesen, dass Partnerschaft (mit einem Mann!) und Kinder doch glücklich machen (was „der“ Feminismus schließlich ablehnt, wie wir alle wissen).
Was sich die konservative Nachfolgerin von Ursula von der Leyen ebenso wünscht, ist ein künftiger Schwerpunkt auf Jungen- und Männerarbeit. Stichwort: Bildungsverlierer junge Männer. Die größten Probleme in der Schule hätten heutzutage nämlich die Jungs aus bildungsfernen Schichten. Da hat Schröder nicht unrecht: Rein statistisch gesehen liegen Mädchen und Jungs was den Schulerfolg betrifft im Durschnitt und an der Spitze in etwa gleich auf, doch im untersten Bereich sind Buben zahlenmäßig sehr viel stärker vertreten.
Ein Männlichkeitsforscher und ehemaliger Lehrer, bei dem ich in diesem Semester einen Kurs besuche, versuchte das Problem neulich folgendermaßen auf den Punkt zu bringen: Im familiären Umfeld bildungsferner Schichten passen Vorstellungen von Männlichkeit und Lernen nicht zusammen – bei Mädchen sieht das anders aus. Was konservative Politikerinnen wie Kristina Schröder uns jedoch nahe legen, ist nicht das Aufbrechen von engen Geschlechterrollen durch eine gendersensible Pädagogik, sondern das Zementieren jener Rollenkorsetts. Mädchen interessieren sich für Ponys und Schmetterlinge, Jungs buchstabieren dann richtig, wenn beim Diktat eine Fußball-Geschichte verhandelt wird.
Solche biologistische Fehlschlüsse sind Thema zahlreicher Parodien im Netz: Das „Boys Game“ Schach wird etwa dann für Mädchen interessiert, wenn die Schachfiguren rosa Kleider tragen und nach Erdbeeren duften. Auch „Mädchen in die Technik“ Programme reproduzieren immer wieder Geschlechterklischees, anstatt die Verknüpfung von Technik und Männlichkeit(en) zu dekonstruieren. Dass solche Strategien nicht von Erfolg gekrönt sind, verwundert kaum.
Auch das immer wieder zitierte Klischee, dass die Schule grundsätzlich ein „weibliches System“ sei, ist wenig haltbar: Vieles, was nach wie vor zur Struktur des Schulalltags gehört, ist dem Militär nachempfunden, Buben beanspruchen in den Schulstunden mehr Redezeit und besetzen einen Großteil des physischen Raums (laut einer deutschen Studie ist das Verhältnis der Raumaufteilung zwischen Jungen und Mädchen in etwa 10 zu 1). Stillsitzen und brav sein, das entspreche dem „Naturell“ der Mädchen, die in der Schule die besseren Noten bekommen, lassen die Konservativen immer wieder verlauten. Dass gerade diese Verhaltensweisen von den Pädagoginnen und Pädagogen gefördert werden – daran wird nicht gedacht. Und oft sind es die selben Menschen, die den Mangel an weiblichen Führungskräften mit der fehlenden Durchsetzungskraft von Frauen begründen.
Was also fehlt, sind neue Männlichkeitsentwürfe, die sich mit Büchern und Neugier, mit kommunikativer Kompetenz und Einfühlungsvermögen vereinbaren lassen. Entgegengesetzte Bilder sind nach wie vor allgegenwärtig: Männliche Helden in Film und Fernsehen verlassen sich auf ihre Muskelkraft, brechen die Schule ab und erhalten als Belohnung schlussendlich die schöne Prinzessin. Vielleicht bangen manche Politiker_innen jedoch gerade um dieses (vom Feminismus bedrohten!) Ideal des dominanten Ernährers. Da bleibt nur der fromme Wunsch, dass in der (viel zu spät) aufkeimenden Debatte um Männlichkeiten endlich auch progressive Stimmen gehört werden.