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Der schöne Karl-Heinz

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Wer sich mit der akademischen Männlichkeitsforschung auseinandersetzt, kommt an zwei einflussreichen Arbeiten nicht vorbei. „Die männliche Herrschaft“ von Pierre Bourdieu wird  ebenso wie das Konzept der „Hegemonialen Männlichkeit“ der australischen Soziologin Raewyn Connell (vormals: Robert Connell) häufig zitiert und bearbeitet (Ansätze der Literatur- und Sprachwissenschaft konnten sich hingegen bisher kaum durchsetzen…).

Und wovon sprechen die beiden Soziolog_innen? Das zentrale Konzept Connells zeigt sich in ihrem „Dreistufenmodell“, „über das sich das soziale beziehungsweise kulturelle Geschlecht im Sinne einer ‚hegemonialen Männlichkeit’ in der westlichen Welt herausbildet.“  Die zentralen Unterscheidungen, in denen Geschlechterverhältnisse organisiert sind, sind laut Connell Macht- und Produktionsbeziehungen und die emotionale Bindungsstruktur. Connell fokussiert dabei vor allem auf die heterosoziale Dimension der Macht:  In der westlichen Welt stelle die bedeutendste Achse der Macht in der Geschlechterordnung die männliche Dominanz und damit die Unterordnung von Frauen dar. In den Produktionsbeziehungen zeigt sich die materielle Macht, die auf einem auf geschlechtlicher Arbeitsteilung basierenden kapitalistischen Wirtschaftssystem beruht. Die emotionale Bindungsstruktur meint schließlich Begehren als geschlechtliche Praxis, die in Form einer Zwangsheterosexualität die Dominanz der Männer stützt. Hegemoniale Männlichkeit sei dabei jene Männlichkeit, die das Patriarchat am effektivsten aufrechterhält.

Pierre Bourdieu legt im Gegensatz zu Connell seinen Schwerpunkt auf die homosoziale Dimension – auf die Beziehungen zwischen Männern. Männlichkeit wird bei Bourdieu als ein relationaler Begriff beschrieben, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblichkeit konstruiert ist, aus einer Angst vor dem Weiblichen. Männer müssen sich in „sozialen Spielen“ gegenseitig ihre Männlichkeit beweisen, die männliche Ehre sowie die Männlichkeit per se muss ständig neu hergestellt und verteidigt werden. Dies geschieht in sämtlichen Gesellschaftsbereichen, vor allem in den Handlungsfeldern der bürgerlichen Gesellschaft, die Domänen der männlichen Dominanz darstellen: Ökonomie, Politik, Wissenschaft, Militär, sowie Vereine, Clubs und Freundeskreise, in denen Männer unter sich sind.

Die beiden Autor_innen begreifen Männlichkeit beide als historisch und kulturell variables Konstrukt, das auf sozialer Ebene permanent hergestellt und verteidigt werden muss – „hegemoniale Männlichkeit“ stellt sich als äußerst komplex dar. Was theoretisch ein wenig sperrig klingt, lässt sich anhand konkreter Beispiele täglich beobachten. Da wäre etwa Karl-Heinz Grasser. Österreichs jüngster Finanzminister (2000-2007) hat schon vor drei Jahren der Politik den Rücken gekehrt, dennoch vergeht kaum ein Monat, in dem Grasser nicht in den heimischen Schlagzeilen auftaucht. Gegen den ehemaligen Minister wird in mehreren Fällen ermittelt, ihm wird unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen. Grasser wird zunehmend mit dem Wort „Skandal“ in Verbindung gebracht – doch das war nicht immer so. Viele Jahre galt der politische Schützling Wolfgang Schüssels als Vorzeige-Erfolgsmensch. Mit 25 Jahren hatte Grasser bereits das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters in Kärntnen inne, als Finanzminister der schwarz-blauen Koalition prägte er die politische „Nulldefizit“-Kultur.

Karl-Heinz Grasser kann somit auf den ersten Blick einer „hegemonialen Männlichkeit“ zugeordnet werden: der österreichischen Mehrheitsgesellschaft angehörig, akademisch gebildet, heterosexuell, ökonomisch erfolgreich und Inhaber einer machtvollen gesellschaftlichen Position. Gekonnt spielte er auch auf der Klaviatur der männerbündischen Strukturen: über einflussreiche Freunde und Bekannte beteiligte er sich an zahlreichen wirtschaftlichen Unternehmungen und begünstigte langjährige Mitarbeiter und Freunde in seiner Personalpolitik. Während Grasser in der „Kronen Zeitung“ als Traum-Schwiegersohn der Nation in Szene gesetzt wurde, war er zugleich Ziel von Angriffen, die mit seiner geschlechtlichen Identität in Verbindung standen. Nicht nur Kabarettisten sprachen vom „schönen Karl-Heinz“ und machten sich über Haargel und Solarium-Bräune lustig, auch in journalistischen Texten waren immer wieder Seitenhiebe auf seine (unterstellte) Attraktivität und seine modischen Vorlieben zu finden. (Grasser ließ sich – oben ohne – sogar für „Vanity Fair“ ablichten.) Schönheitspflege – das ist nach wie vor eine weibliche Praxis. Männer, die (zu) offensichtlich Wert darauf legen, müssen sich nicht zuletzt „dem Verdacht der Homosexualität erwehren“.

Während Karl-Heinz Grasser also auf ökonomischer Ebene seine Männlichkeit „beweisen“ konnte, geriet er zugleich aufgrund „unmännlicher“ sozialer Praktiken unter Beschuss. Diese Situation verschärfte sich, als Grasser 2005 Fiona Swarovski, Erbin der milliardenschweren Kristall-Dynastie, heiratete. Fiona Swarovski ist nicht nur um einige Jahre älter – ihr geschätztes Vermögen übertrifft jenes des Ex-Finanzministers bei weitem.
Wie Bourdieu schreibt, suchen Frauen sich meist einen größeren und älteren Partner, da dies allgemein akzeptierte Zeichen für Reife und Überlegenheit seien. Frauen befänden sich selbst in der paradoxen Situation, keine dominierende Position einnehmen zu können, die Heirat, „bei der sie in den männlichen Gesellschaften von unten nach oben zirkulieren“, biete „einen – oft den einzigen –  Weg zum sozialen Aufstieg“.

Die Ehe mit Fiona Swarovski, die den von Bourdieu geschilderten Strukturen zuwider läuft, bietet somit eine Angriffsfläche, um Grassers Männlichkeit in Frage zu stellen. „Karl-Heinz Grasser, die Frau von Fiona Swarovski“, hieß es unlängst in der Satire-Sendung „Willkommen Österreich“.  „Wer lebt schon gerne auf Dauer vom Vermögen seiner Frau?“, meinte dazu Andreas Mölzer in Anspielung auf die Causa Hypo Alpe Adria. Auch das Komiker-Trio „maschek“ widmete ihm eine Folge und unterlegte einen Auftritt Grassers mit den Worten: „Wuffi, uns geht es gut, wir müssen nichts arbeiten und unser Weibi finanziert uns das Leben.“

Am Beispiel Karl-Heinz Grasser zeigt sich nicht zuletzt, wie sich geschlechtliche Normen historisch verändern. Während der erfolgreiche Banker/Manager lange als Inbegriff von dominanter Männlichkeit galt, hat sich dieses Bild vor allem im Zuge der internationalen Finanzkrise verändert. Erfolg, Macht und Dominanz haben zunehmend den Beigeschmack der Rücksichtslosigkeit, der Gier und gar der Illegalität bekommen – sozial erwünschte „männliche“ Verhaltensweisen  werden somit (ansatzweise) einem Veränderungprozess ausgesetzt. „Hegemoniale Männlichkeit ist kein starrer, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann“, schreibt Raewyn Connell.

Links:
Interview mit Raewyn Connell als Audio-Datei
maschek: Karl-Heinz Grasser mit neuem Job
Interview mit Karl-Heinz Grasser auf standard.at (Video)
Ein fescher Skandalminister“ auf sueddeutsche.de (2003)
Karl-Heinz“ – Song von Christoph&Lollo auf Youtube

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